# taz.de -- Organisierte Kriminalität: Zwischen Bedrohung und Rassismus | |
> Eine Konferenz in Berlin wirft die Frage auf, was die Zivilgesellschaft | |
> mafiöser Organisierter Kriminalität entgegensetzen kann. | |
Bild: Szene im Dresdner Gericht kurz vor Verkündung des Urteils | |
BERLIN taz | Wer steckt hinter Organisierter Kriminalität? Gibt es | |
Mafia-Gruppen in Deutschland? „Allgemein gesprochen benötigen die meisten | |
kriminellen Märkte eine Form der Kontrolle über ein Gebiet oder auch ein | |
Territorium“, sagt Burcu Başdinkçi vom zivilgesellschaftlichen | |
Anti-Mafia-Projekt Echolot. Dieses Gebiet erlangten Gruppen der | |
Organisierten Kriminalität typischerweise durch Schutzgelderpressung. So | |
könnten diese Gruppen „in den von ihnen kontrollierten Gebieten kriminellen | |
Geschäften wie Geldwäsche, Waffen-, Drogen- aber auch Menschenhandel | |
nachgehen“. | |
Başdinkçi war einer der Redner am Montag im Nachbarschaftshaus Urbanstraße | |
beim 2. Berliner Gespräch zu mafiöser Organisierter Kriminalität (mOK). 70 | |
Erzieher*innen, Politiker*innen und Lehrkräfte nahmen daran teil. Das | |
Fachgespräch will die demokratische Zivilgesellschaft, die Verwaltung und | |
andere öffentliche Träger zum Austausch zusammenbringen, so Benno | |
Plassmann, der ebenso zum Ausrichter Echolot gehört. | |
Bei mOK geht es auch immer um Geld und Macht. Dieser Traum vom Geld hat | |
offenbar auch eine Rolle beim aufsehenerregenden Juwelendiebstahl aus dem | |
Grünen Gewölbe in Dresden gespielt, für den am Dienstag [1][fünf junge | |
Berliner zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind]. Dem Prozess | |
war eine groß angelegte Razzia in Neukölln mit mehr als 1.600 | |
Polizist*innen und eine entsprechende, teils rassistisch eingefärbte | |
Medienberichterstattung vorausgegangen. Drei Verdächtige wurden dabei | |
festgenommen. | |
Immer wieder kommt es insbesondere [2][in Neukölln zu massiven | |
Schwerpunktkontrollen gegen sogenannte Clankriminalität]. Sie sorgen vor | |
allem für Verunsicherung. Dabei ist die tatsächlich vorhandene Organisierte | |
Kriminalität ein Problem für viele Menschen in Deutschland – allerdings | |
weniger für die weiße Mehrheitsgesellschaft, als vielmehr für diejenigen, | |
die im von „mOK-Akteur*innen kontrollierten Sozialraum“ leben, wie es | |
Başdinkçi akademisch umschreibt. „Es besteht Angst und Einschüchterung | |
unter Bewohner:innen und Gewerbetreibenden bis hin zu Bedrohung, | |
Schutzgeldsystemen und systematischer Verdrängung und Vertreibung von | |
Gewerbetreibenden.“ | |
Zudem sei der Alltag dort stark durch Codes von mOK-Strukturen geprägt. | |
Diese „territoriale Dominanz“ sei eine Gefahr für die demokratische | |
Zivilgesellschaft, erläutert Başdinkçi: „Sie verlangt Gehorsamkeit, | |
Schweigen, Anerkennung und ein Mitmachen innerhalb der Strukturen. Dort, wo | |
sie wirkt, bedroht und verdrängt sie demokratische Kultur.“ | |
## Eben kein Labelling schaffen | |
Die Verwendung des Begriffs mOK sei „ein Versuch, den zum Teil offen | |
rassistischen Labeln wie ‚Clankriminalität‘ etwas entgegenzusetzen und | |
damit eben kein Labelling zu schaffen“, sagt die Justizstaatssekretärin | |
unter Rot-Grün-Rot, Saraya Gomis, der taz. „Im Rahmen der Veranstaltung | |
wurde sich erfreulicherweise statt auf ein sehr repressives und | |
populistisches sicherheitspolitisches Verständnis auf differenzierteres und | |
wissenschaftliches kriminalpolitisches Verständnis bezogen.“ | |
Während Ingo Siebert von der Landeskommission Berlin gegen Gewalt „mOK für | |
eine Bedrohung der Demokratie“ hält, sind mehrere Teilnehmer*innen des | |
Fachgesprächs der Meinung, dass es noch keine vollkommen etablierten | |
mOK-Strukturen gebe. Viele Menschen gehörten eigentlich nicht zur mOK, | |
sondern bildeten einen Graubereich. | |
Doch wie damit umgehen? Die Teilnehmenden der Veranstaltung erarbeiteten | |
Vorschläge für die Zivilgesellschaft: Demokratische Strukturen müssten | |
gestärkt, Betroffene sichtbar gemacht werden; eine Parteilichkeit mit den | |
Betroffenen sei essenziell. Es müsse aber auch eine Zusammenarbeit mit der | |
Polizei geben, ohne dass der eigene Fokus aus dem Blick gerate. | |
## Sorgen wegen Schwarz-Rot | |
In der Abschlussrunde hatten Politiker*innen das Wort. Mangels | |
CDU-Vertreter blieben die rot-grün-roten Koalitionäre a. D. unter sich, | |
bestehend aus den Abgeordneten Orkan Özdemir (SPD), Vasili Franco (Grüne) | |
und Gomis (parteilos, für die Linke). „Wir drehen uns ganz viel um den | |
Begriff ‚Clankriminalität‘, dabei ist die Organisierte Kriminalität, zu d… | |
auch mOK gehört, ein viel größeres Problem“, befand Franco. Kriminalität | |
sei ein Fehlen von persönlichen und gesellschaftlichen Strukturen. „Wir | |
müssen mit den Akteuren reden, nicht über sie“, sekundierte Özdemir. | |
Von Aufbruchstimmung war angesichts [3][einer befürchteten repressiveren | |
Innenpolitik unter Schwarz-Rot] jedoch nichts zu spüren. Das | |
Opferschutzgesetz stehe nicht mehr im Koalitionsvertrag, bemerkte Franco. | |
Gomis regte einen Unterstützungsfonds und andere Strukturen in der | |
Verwaltung an. | |
Die Initiative Echolot habe es geschafft, viele Akteur*innen | |
zusammenzubringen und ein Konzept zu entwickeln, lobte Özdemir gegen Ende. | |
Doch wie geht es weiter? Dient das Fachgespräch nur als Verwendungsnachweis | |
für die Fördergelder? | |
Benno Plassmann verweist auf eine neu konzipierte Ausstellung, die nach den | |
Sommerferien zu sehen sein wird, und spekuliert auf eine verbesserte | |
Vernetzungsarbeit. Er hofft, dass sich der fortschrittlichere Teil der CDU | |
entscheidet, seriös an Problemen zu arbeiten. Mafiöse OK könne nicht allein | |
von der Polizei gelöst werden, sondern sei auch ein gesellschaftliches | |
System: Ohne Zivilgesellschaft gehe es nicht. | |
17 May 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Darius Ossami | |
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