# taz.de -- Rassistische Proteste sind verklungen: Die Ruhe nach dem Sturm | |
> In Dresden-Sporbitz haben monatelang Rechtsextreme gegen eine | |
> Asylunterkunft demonstriert. Wie geht es den kürzlich eingezogenen | |
> Geflüchteten? | |
Bild: Vor der Geflüchtetenunterkunft in Dresden-Sporbitz | |
DRESDEN taz | Viereinhalb Monate. So lange gingen im Dresdner Stadtteil | |
Sporbitz jeden Mittwoch Menschen auf die Straße, um gegen eine geplante | |
Unterkunft für 52 Geflüchtete zu demonstrieren. Mal waren es 90 | |
Teilnehmer:innen, mal 300, im Median 160. Sie trommelten und spielten | |
rechtsextreme Musik, warnten vor „kriminellen Asylanten“, trugen Fahnen der | |
rechtsextremen „Freien Sachsen“ mit sich und hielten Banner mit den | |
Aufschriften „Abschiebung schafft Wohnraum“ oder „Nein zum Heim“. | |
Erfolg hatten die Demonstrierenden mit ihrem rassistischen Protest nicht. | |
Die Stadt Dresden hat die Unterkunft, bestehend aus 13 schneeweißen | |
Wohncontainern, trotzdem errichtet. Vor einem Monat sind die ersten | |
Geflüchteten eingezogen, heute leben 52 Männer dort. Sie sind in | |
Vierbett-Zimmern untergebracht und teilen sich Küche, Bad und WC. | |
Der Großteil der Bewohner:innen ist [1][aus Syrien geflohen], zwei | |
kommen aus Afghanistan, einer aus Marokko. Sie alle haben sich in der | |
[2][Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland] durchgeschlagen. Wie | |
geht es ihnen in dem kleinen Stadtteil, in dem monatelang rechtsextreme | |
Demos stattfanden? | |
Sporbitz liegt ganz im Südosten am Stadtrand von Dresden, knapp 10 | |
Kilometer von der Altstadt entfernt. Von der S-Bahn Haltestelle | |
Dresden-Zschachwitz bis zur Unterkunft läuft man zehn Minuten – erst durch | |
ein Industriegebiet, dann durch eine Wohnsiedlung. Die Container stehen auf | |
dem Gelände einer ehemaligen Schule und sind mit Bauzäunen abgesichert. | |
Wenn die Geflüchteten aus dem Fenster schauen, blicken sie entweder auf das | |
leerstehende Schulgebäude aus dem Jahr 1900 oder auf Einfamilienhäuser mit | |
gepflegten Vorgärten. | |
## Keine rechten Proteste seit Bezug der Unterkunft | |
Die Unterkunft dürfen Journalist:innen nicht betreten. Ein 26 Jahre | |
alter Bewohner, der aus Syrien nach Deutschland geflohen ist und an einem | |
Nachmittag Ende April durch das Stadtteil spaziert, erzählt, wie wohl er | |
sich wohl in Sporbitz fühle. „Der Ort und die Gegend sind sehr ruhig und | |
die Leute ausgezeichnet.“ Unfreundlichen Menschen, sagt der junge Mann, sei | |
er in Sporbitz noch nie begegnet. | |
„Würde man die Geflüchteten fragen, wie es ihnen angesichts der Demos geht, | |
die wochenlang in Sporbitz stattfanden, wüssten sie nicht, wovon man | |
spricht“, sagt Denis Papperitz von den Johannitern Dresden, die die | |
Unterkunft betreiben. „Es ist alles ruhig.“ Seit dem Einzug der | |
Schutzsuchenden habe es keine Vorkommnisse gegeben – keine Proteste, keine | |
Angriffe, keine Beleidigungen, keine Drohungen, nichts. | |
Die drei Sicherheitsbediensteten, die die Unterkunft 24 Stunden am Tag | |
bewachen, hätten bisher kein Mal einschreiten müssen. „Wir sprechen | |
regelmäßig mit den Bewohner:innen der angrenzenden Einfamilienhäuser, | |
alle sind zufrieden“, sagt Papperitz. „Ein Nachbar hat uns sogar gefragt, | |
ob er mit den Geflüchteten Tomaten auf dem Gelände anpflanzen dürfe. Wir | |
errichten nun Hochbeete dafür.“ | |
Zwei Tage bevor die ersten Schutzsuchenden eingezogen sind, [3][am Tag der | |
offenen Tür] in der Container-Unterkunft, war die Stimmung noch eine | |
andere. Neben Besucher:innen, die ihre Hilfe anboten oder „einfach nur mal | |
wissen wollten, wie so eine Unterkunft von innen aussieht“, kamen auch | |
Personen, die gegen Geflüchtete hetzten. | |
## Nur wenige Anwohner:innen nahmen an den Demos teil | |
Einer von ihnen war der Rechtsextreme Max Schreiber, Organisator der | |
rassistischen Proteste in Sporbitz und Chef der [4][„Freien Sachsen“ in der | |
Sächsischen Schweiz]. Schreiber fragte bei der Veranstaltung unter anderem, | |
wie die Stadt den Anwohner:innen garantieren wolle, dass „ihr Kind | |
nicht abgestochen“ werde. Später veranstaltete der ehemaliger | |
NPD-Funktionär, gegen den die Dresdner Staatsanwaltschaft im März Anklage | |
wegen Nötigung erhoben hat, eine Spontan-Demo vor der Unterkunft. | |
Wie kommt es, dass es in dem Stadtteil, in dem monatelang laut gegen die | |
Unterkunft protestiert wurde, nun so ruhig ist? „Das Ziel der Neonazis war, | |
die Unterkunft zu verhindern. Damit sind sie gescheitert und die Luft ist | |
erst einmal raus“, sagt [5][Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen], das | |
sich gegen Rechtsextremismus und für eine demokratische Zivilgesellschaft | |
einsetzt. Nattke hat die Proteste in Sporbitz über mehrere Monate | |
beobachtet. Anwohner:innen hätten nur einen sehr geringen Teil | |
ausgemacht, sagt er. | |
„Die Teilnehmer:innen kamen aus dem gesamten Dresdner Stadtgebiet und | |
angrenzenden Ortschaften. Organisierte Neonazis haben den Ton angegeben.“ | |
Regelmäßig mitgelaufen seien etwa René Despang, ehemaliger | |
NPD-Landtagsabgeordneter und Mitbegründer der rechtsextremen „Freien | |
Kameradschaft Dresden“, Pegida-Mitorganisator Siegfried Däbritz oder Marcus | |
Fuchs, Chef der Dresdner Querdenker. „Da die Mehrheit der Demonstrierenden | |
nicht aus der Nachbarschaft der Unterkunft war, ist jetzt niemand mehr da, | |
der oder die die Demonstrationen wirklich trägt“, sagt Nattke. | |
Hört man sich in unter den Anwohner:innen um, bestätigt sich Nattkes | |
Einschätzung. Die allermeisten haben kein Problem mit der Unterkunft oder | |
den Geflüchteten – sondern mit den rassistischen Protesten. Ein 42 Jahre | |
alter Mann mit Halbglatze, der wenige Meter von der Unterkunft entfernt | |
Altglas in einen Container wirft, spricht von „nervigen Rechten“, die nur | |
„Hass und Ängste“ schürten. „Woche für Woche sind sie laut trommelnd d… | |
unsere Straßen gezogen, die Kinder im Ort hatten Angst vor ihnen“, sagt der | |
Dresdner – und betont, wie wichtig er es finde, dass die Stadt Geflüchtete | |
aufnehme. | |
## Keine Wohnungen für Geflüchtete in Dresden | |
Die Gespräche mit den anderen Sporbitzer:innen verlaufen ähnlich. „Hier | |
haben jede Woche Leute gegen die Unterkunft demonstriert“, sagt ein 16 | |
Jahre alter Junge auf dem Weg von der S-Bahn nach Hause. „Ich habe da nicht | |
mitgemacht, weil ich nichts dagegen habe, dass Geflüchtete zu uns kommen.“ | |
Ein 58-Jähriger sagt, „mich stört die Asylunterkunft nicht“, ein | |
21-Jähriger mit Doc-Martens, dass er froh sei, dass die „Freien Sachsen“ | |
jetzt nicht mehr vor seiner Haustür entlang marschierten. | |
Nur eine zierliche kleine Frau – 69 Jahre alt, kurzes rot gefärbtes Haar, | |
blaue Glitzerohringe – gibt zu, anfangs ein Problem mit der Unterkunft | |
gehabt zu haben. Sie wohnt wenige Meter davon entfernt. „Letztes Jahr habe | |
ich an einer Demo gegen die Unterkunft teilgenommen, weil es hieß, dass | |
dort nur Männer einziehen sollen“, sagt die Rentnerin. „Nun muss ich | |
gestehen, dass sich meine Vorurteile nicht bestätigt haben. Es ist alles | |
ruhig, ich kann mich nicht beklagen.“ | |
Die Geflüchteten bleiben nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend in der | |
Unterkunft in Sporbitz – so lange, bis sie eine Wohnung gefunden haben. Sie | |
alle haben eine Aufenthaltserlaubnis, das heißt, sie dürfen arbeiten und | |
Wohnungen anmieten. Das Problem: günstige Wohnungen sind in der | |
Landeshauptstadt extrem knapp. Deshalb wohnen Hunderte anerkannte | |
Geflüchtete in Dresden notgedrungen in städtischen Unterkünften. | |
„Die Nachfrage nach günstigen Wohnraum ist weit größer ist als das | |
Angebot“, sagt Dresdens Sozialbürgermeisterin Kristin Klaudia Kaufmann | |
(Linke). Daran werde sich so lange nichts ändern, bis die Bundes- und | |
Landesregierung „wirksame Lösungsansätze für die Unterbringung der | |
Geflüchteten und den Wohnungsmarkt gemeinsam mit den Kommunen entwickeln“. | |
## Neun weitere Container-Unterkünfte geplant | |
Die Stadt Dresden rechnet in diesem Jahr mit 2.200 weiteren Geflüchteten – | |
Schutzsuchende aus der Ukraine sind da nicht eingerechnet. Bis zum Herbst | |
will die Stadtspitze daher neun Container-Unterkünfte errichten, in denen | |
gut 800 der asylsuchenden Menschen in diesem Jahr untergebracht werden | |
sollen. Eine der Unterkünfte soll in Dresden-Leuben entstehen. Seit die | |
Rechtsextremen nicht mehr in Sporbitz demonstrieren, ziehen sie in Leuben | |
durch die Straßen und machen dort Stimmung gegen geflüchtete Menschen. | |
„Diese Verrohung eines wenn auch nur sehr kleinen, so aber doch sehr | |
lautstarken Teils der Bevölkerung können wir nicht akzeptieren“, sagt | |
Sozialbürgermeisterin Kaufmann zu den rassistischen Demos. „Mir geht es | |
extrem nahe, wenn ich höre, wie abfällig Menschen über andere Menschen | |
urteilen, die vor allem noch gar nicht da sind, und wie das Schutzrecht mit | |
Füßen getreten wird.“ | |
Doch nicht nur die Rechtsextremen sind gegen die neun geplanten | |
Container-Unterkünfte. Auch Dresdens CDU-Fraktion lehnt sie ab – und | |
fordert die Bundesregierung dazu auf, ihre Asylpolitik „sofort“ zu beenden. | |
„Nein, wir haben keinen Platz mehr“, heißt es in einem | |
[6][Positionspapier]. | |
## Menschen leben in Turnhallen und im Messegelände | |
Ob die Unterkünfte errichtet werden, entscheidet der Stadtrat am 11. Mai. | |
Zusammen mit der AfD und den Freien Wählern, die die geplanten Unterkünfte | |
ebenfalls ablehnen, stellt die CDU 29 von 70 Abgeordneten. Lehnt der | |
Stadtrat die Container-Unterkünfte ab, müssten die geflüchteten Menschen | |
laut Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) in Turnhallen und der Dresdner | |
Messe untergebracht werden. | |
Das wäre nicht nur noch menschenunwürdiger als die Unterbringung in | |
Wohncontainern, sondern auch eine Steilvorlage für die Rechtsextremen. | |
Schon Ende März haben die „Freien Sachsen“ auf Telegram angekündigt, sich | |
den Schul- und Vereinssport nicht nehmen lassen zu wollen. | |
1 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Raketenbeschuss/!5926962 | |
[2] /Gefluechtete-ueber-Huerden-in-Deutschland/!5804874 | |
[3] https://www.dresden.de/de/rathaus/aktuelles/pressemitteilungen/2023/03/pm_0… | |
[4] /Ausschreitungen-in-Sachsen/!5911757 | |
[5] /Nazi-Beratungsprogramm-in-Sachsen/!5146318 | |
[6] https://drive.google.com/file/d/11UVhYlcTmiPVLRdIc2UEE9W-zCqt1hK1/view | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Flucht | |
Sachsen | |
Asylpolitik | |
GNS | |
Unterbringung von Geflüchteten | |
Schwerpunkt Flucht | |
Geflüchtete | |
Flüchtlingspolitik | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Unterkünfte für Geflüchtete: Dresden macht Platz | |
Wochenlang diskutierte die sächsische Landeshauptstadt hitzig über neue | |
Container-Unterkünfte für Geflüchtete. Jetzt hat der Stadtrat zugestimmt. | |
Umgang mit Geflüchteten in Deutschland: Hauptsache weit weg | |
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) plädiert für Asylverfahren an den | |
EU-Außengrenzen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert das | |
scharf. | |
Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge: Bremen bleibt bei Turnhalle | |
Die Bremer Linksfraktion kritisiert die Unterbringung von Geflüchteten in | |
einer Turnhalle. Der Flüchtlingsrat spricht von Kindeswohlgefährdung. | |
Angriffe steigen wieder an: Asylunterkünfte im Visier | |
Nach Jahren des Rückgangs steigt die Zahl der Angriffe auf Unterkünfte | |
wieder an. Opferberatungsstellen zeigen sich alarmiert. |