# taz.de -- Polizeiausbildungszentrum in den USA: Die Stadt der Polizisten | |
> Bei Atlanta soll trotz massiver Proteste das größte | |
> Polizeiausbildungszentrum der USA entstehen. Der Konflikt zeigt tiefe | |
> Uneinigkeit im Land im Umgang mit Polizeigewalt. | |
ATLANTA taz | „Tortuguita“ – kleine Schildkröte – nannte sich Manuel P… | |
Terán. Seine letzten Monate verbrachte der 26-Jährige zusammen mit mehreren | |
Dutzend jungen Leuten in Zelten und Baumhäusern in einem Waldstück im | |
Südosten von Atlanta. Die Stadt will dort das größte | |
Polizeiausbildungszentrum der USA bauen – mit Hubschrauberlandeplatz, mit | |
Schießanlage und mit einer Modellstadt, in deren Häusern, Straßen und Bars | |
die Polizei den urbanen Nahkampf üben kann. Die Waldverteidiger nennen das | |
90-Millionen-Dollar-Projekt „Cop City“ – Bullen-Stadt. Sie wollen es | |
verhindern. | |
Für Tortuguita endete das Unterfangen in einem Kugelhagel der Polizei. Kaum | |
war er tot, beschuldigten die Ermittler ihn, einen Polizisten angeschossen | |
zu haben. Wenig später veröffentlichten sie auf Twitter das Foto einer auf | |
dem Waldboden liegenden Pistole, die Tortuguita benutzt haben soll. Bis die | |
Ermittler Mitte April die offizielle Autopsie vorstellten, ließen sie drei | |
volle Monate verstreichen. | |
Die lang erwartete Autopsie zeigt, dass Tortuguitas Körper von mindestens | |
57 Kugeln durchsiebt war. Schmauchspuren an seinen Händen oder andere | |
Hinweise darauf, dass er selbst geschossen hat, konnten die | |
Gerichtsmediziner nicht finden. | |
„Mein Kind war ein Pazifist“, sagt Belkis Terán, Tortuguitas Mutter, „er | |
glaubte nicht an Schusswaffen. Er liebte Bäume.“ Die gebürtige | |
Venezolanerin beschreibt das Aufwachsen ihrer drei Söhne als privilegiert. | |
Die Familie verbrachte Jahre in Großbritannien, Russland, Ägypten, den USA | |
und anderen Ländern, in denen ihr Mann stationiert war, der für einen | |
Ölkonzern arbeitete. | |
Der 18. Januar veränderte das Leben von Belkis Terán schlagartig. Seither | |
pendelt die Mutter zwischen ihrem gegenwärtigen Wohnort in Panamá und | |
Atlanta. Sie nimmt an Demonstrationen teil. Sie gibt Interviews. Und sie | |
verlangt von den Ermittlern Erklärungen für den Tod ihres mittleren Sohnes: | |
„Ich habe das Recht, es zu erfahren.“ Aber das Georgia Bureau of | |
Information (GBI) mauert. Bislang hat es nicht einmal den Namen des | |
Polizisten genannt, den Tortuguita angeschossen haben soll. | |
Die Polizisten, die Tortuguita bei einer der Razzien in dem Waldstück | |
töteten, sollen keine Körperkameras gehabt haben. Aber Kollegen einer | |
anderen Einheit, die gleichzeitig den Wald durchkämmten, waren damit | |
ausgestattet. Auf ihren Aufzeichnungen vom Morgen des 18. Januar ist zu | |
hören, dass der Kugelhagel, in dem Tortuguita umkam, 11 Sekunden dauerte. | |
„Ist dies ein Zielschießen?“, fragt ein Polizist in der Aufnahme. Ein | |
anderer vermutet laut, dass der angeschossene Polizist von einer | |
Polizeikugel getroffen wurde. [1][O-Ton: „Ihr habt euren eigenen Kollegen | |
fertiggemacht.“] | |
An einem Samstagmorgen sitzt Tortuguitas Mutter in einem T-Shirt mit | |
Schildkrötenaufdruck in einer Gruppe von Anarchos, Klerikern, | |
Umweltschützern und jungen Queer- und Transgender-Aktivisten im | |
Schneidersitz auf dem von der Sonne erhitzten Asphalt vor dem Kapitol von | |
Atlanta. Zwischen den Sitzenden gehen schwarz gekleidete, von Kopf bis Fuß | |
vermummte junge Männer in kugelsicheren Westen und mit geschulterten | |
halbautomatischen Waffen auf und ab. Sie sind die Ordner der Demonstration. | |
Einer von ihnen begründet das militärisch anmutende Auftreten mit einer | |
Drohung der rechtsradikalen [2][Proud Boys], die Demonstration zu stören. | |
Eine ältere Demonstrantin macht die Republikaner in Georgia für die | |
Schusswaffen verantwortlich. | |
Gloria Tatum weist mit dem Finger auf das Gebäude unter der vergoldeten | |
Kuppel des Kapitols: „Die da drinnen sind es, die das offene Tragen von | |
Schusswaffen erlaubt haben.“ Belkis Terán ist in der Demonstration umgeben | |
von mehreren Schwarzen Frauen aus Georgia, deren Söhne und Geliebte von der | |
Polizei in Atlanta getötet worden sind. Ein Sohn wurde bei einer | |
Verkehrskontrolle getötet. Ein anderer, nachdem er verdächtigt wurde, ein | |
Mobiltelefon gestohlen zu haben. Einen jungen Mann traf es beim Kiffen auf | |
der Sitzbank einer Bahnstation des Nahverkehrsbetriebs Marta in Atlanta. | |
Allein im letzten Jahr haben Polizisten in Georgia 62 Menschen getötet. | |
Mehr als 90 Prozent der verantwortlichen Polizisten sind weder angeklagt | |
noch disziplinarisch belangt worden – sie machen ihren Job weiter. Die | |
Zunahme von tödlicher Polizeigewalt in den letzten Jahren ist ein | |
landesweites Phänomen. 2022 Jahr haben Polizisten in den USA fast 1.200 | |
Menschen getötet – so viele wie seit 2013 nicht mehr. Afroamerikaner, die | |
etwa 13 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, trifft diese Gewalt | |
überproportional häufig. [3][Im vergangenen Jahr waren 26 Prozent der | |
Polizeiopfer Schwarz.] | |
„Tortuguita lebt“ und „Stop Cop City“, skandieren die Demonstranten. Wie | |
die anderen hält auch Tortuguitas Mutter ihre Hände schützend vor den Kopf. | |
Die meisten haben rote Kreuze auf ihre Handrücken gemalt. Eine private | |
Autopsie, die im Auftrag der Familie entstanden ist, hat ergeben, dass | |
Tortuguita im Schneidersitz mit erhobenen Händen saß, als er erschossen | |
wurde. Die roten Kreuze symbolisieren Einschüsse. | |
Der Tod des Umweltschützers – der erste, den die Polizei in den USA bei | |
einer Aktion erschossen hat – gibt der Auseinandersetzung über das „Public | |
Safety Training Center“, wie Cop City offiziell heißt, eine zusätzliche | |
Dramatik. Aber neu ist die Kontroverse nicht. Sie spaltet die große Stadt | |
des Südens seit Jahren. | |
Als der Stadtrat von Atlanta im September 2021 eine öffentliche Anhörung | |
über das Projekt organisierte, beteiligten sich mehr als 1.100 Bürger daran | |
– darunter viele, die in den mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnten | |
Stadtteilen rund um das Waldstück leben. Von den insgesamt 17 Stunden | |
langen Wortmeldungen richteten sich 70 Prozent gegen das Projekt. Anwohner | |
kritisierten, dass die Schüsse und Sprengungen von dem Übungsgelände bis in | |
die Klassenzimmer ihrer Schulen und Kinderzimmer hinein hallen und dass die | |
Reste von Sprengstoffen, Schießübungen und simulierten Großbränden und | |
ihrer Löschung das Feuchtgebiet um den South River und den benachbarten | |
Jackson-See belasten würden. Viele verlangten einen Naherholungspark statt | |
eines Polizeiausbildungszentrums. „Im wohlhabenden, weißen Stadtteil | |
Buckhead im Norden von Atlanta würde niemand auf die Idee kommen, eine Cop | |
City zu bauen“, lautete ein Einwand. | |
Der militärische Charakter des Projekts stieß auf harte Kritik. Cop City | |
wird der Gewalt und dem Rassismus in den Reihen der Polizei zusätzlichen | |
Aufschwung geben, befürchten viele. | |
Nach der öffentlichen Kritik an Cop City stimmte der Stadtrat mit zehn zu | |
vier Stimmen für das Projekt. Die Mitglieder des politischen Establishments | |
an der Spitze von Atlanta – inklusive Bürgermeister Andre Dickens und | |
seiner Amtsvorgängerin Keisha Lance Bottoms, die das | |
Polizeiausbildungszentrum auf die Tagesordnung gesetzt hat – sind | |
Demokraten. Viele stammen aus Dynastien von Bürgerrechtsaktivisten. Mit den | |
erzkonservativen und mehrheitlich weißen Republikanern, die die ländlichen | |
Gebiete von Georgia sowie die Regierung des Bundesstaates kontrollieren, | |
haben sie wenig gemeinsam. Aber wenn es um das Polizeiausbildungszentrum | |
geht, ziehen beide Parteien am selben Strang. Beide argumentieren, dass ein | |
neues Ausbildungszentrum die Stadt sicherer mache. Seit Dutzende von | |
Anti-Cop-City-Demonstranten verhaftet wurden, sind sich Sprecher beider | |
Parteien auch darin einig, dass „Agitatoren von außerhalb“ verantwortlich | |
für die Unruhe seien. | |
Priscilla Grim ist eine dieser „outside agitators“. Am ersten | |
Märzwochenende ist die 49-jährige New Yorkerin zu einer Aktionswoche nach | |
Atlanta gereist. „Ich glaube nicht, dass wir Cop City brauchen“, sagt sie, | |
„wir brauchen Gesundheitsversorgung, wir brauchen Bildung, Wohnungen und | |
öffentlichen Nahverkehr.“ Als sich während eines Konzertes während der | |
Aktionswoche eine Gruppe von Vermummten absetzte und anderswo im Wald | |
Steine und Brandsätze gegen Polizisten und Baufahrzeuge schleuderte, | |
reagierte die Polizei mit Wucht. Sie trieb Dutzende Konzertbesucher, | |
darunter Priscilla Grim, auf einen Parkplatz. Dort trennte sie | |
Ortsansässige und Auswärtige voneinander. Wer eine Adresse in Atlanta | |
hatte, durfte gehen, die anderen kamen in Haft. | |
Am selben Tag erschienen Priscilla Grims Name und ihr Foto auf einer von | |
der Polizei veröffentlichten Liste von 23 „gewalttätigen Agitatoren“, geg… | |
die wegen „heimischem Terrorismus“ ermittelt wird. Nur einer von ihnen lebt | |
in Georgia. | |
In den folgenden 31 Tagen bekam Priscilla Grim nur alle 12 bis 14 Stunden | |
etwas zu essen und musste 24 Stunden am Tag Licht in ihrer Zelle ertragen. | |
Als sie am 6. April gegen eine Kaution von 20.000 Dollar freikam, hatte die | |
Computerspezialistin ihren Arbeitsplatz an der Fordham-Universität | |
verloren. Bei ihrer Jobsuche spürt sie bereits den Makel: „Wer stellt schon | |
eine heimische Terroristin ein?“ | |
Bislang ist weder Priscilla Grim noch ein anderer Cop-City-Gegner angeklagt | |
und keiner verurteilt worden. Aber trotz der Unschuldsvermutung hat ihre | |
Bestrafung begonnen. Eine Cop-City-Gegnerin ist nach ihrer Freilassung von | |
der Jurafakultät an der University of North Carolina Chapel Hill verwiesen | |
worden. Einer anderen kündigte eine Bank das Konto. | |
In Georgia wegen heimischem Terrorismus Verurteilten drohen bis zu 35 Jahre | |
Gefängnis. Schon als das entsprechende Gesetz 2017 im Kapitol debattiert | |
wurde, warnten Bürgerrechtler, es würde die freie Meinungsäußerung | |
einschränken. Der Gesetzestext ist vage gefasst. Danach ist ein heimischer | |
Terrorist, wer „die kritische Infrastruktur mit dem Ziel beschädigt, die | |
Regierungspolitik zu verändern“. | |
Jetzt, wo das Gesetz zum ersten Mal angewandt wird, sieht Marlon Kautz vom | |
„Atlanta Solidarity Fund“ die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. | |
Selbst wenn am Ende kein Cop-City-Gegner wegen heimischem Terrorismus | |
verurteilt werden sollte, sorgen bereits die Ermittlungen nach Marlon | |
Kautz’ Einschätzung für „politische Einschüchterung“. Zusätzlich ents… | |
eine „enorme Belastung“ für Organisationen wie seine. Der Atlanta | |
Solidarity Fund hat die harten Haftbedingungen der Cop-City-Gegner | |
öffentlich gemacht, den Inhaftierten Rechtsbeistand geleistet und die | |
Kautionszahlungen übernommen. Von manchen Cop-City-Gegnern haben die | |
Gerichte mehr als 300.000 Dollar Kaution verlangt. | |
„Natürlich haben wir Proteste erwartet“, sagt der demokratische Stadtrat | |
Michael Bond, „nach den aufsehenerregenden Todesfällen von Afroamerikanern | |
durch die Hand der Polizei ist dies der schlechteste mögliche Zeitpunkt, um | |
ein neues Polizeiausbildungszentrum zu bauen.“ Aber er hält das Projekt für | |
überfällig: weil die Polizei jahrzehntelang „unterfinanziert“ gewesen und | |
weil das bisherige Ausbildungszentrum baufällig sei. | |
Michael Bond ist überzeugt, dass die Mehrheit der Wähler hinter ihm steht. | |
Er schließt das daraus, dass er haushoch wiedergewählt worden ist, nachdem | |
er für das Projekt gestimmt hat. Er betrachtet die Cop-City-Gegner als eine | |
„interneterfahrene Minderheit“, die weiß, wie sie sich Gehör verschaffen | |
kann. Über jene, die Molotowcocktails werfen und Fallen im Wald aufgestellt | |
haben, sagt der Stadtrat, „das ist nicht der Stil von Atlanta“. Damit meint | |
er die Philosophie der Gewaltfreiheit des ermordeten Bürgerrechtlers Martin | |
Luther King, dessen Geburtshaus, Kirche und Denkmal heute | |
Touristenattraktionen im Zentrum von Atlanta sind. | |
Einer der führenden Republikaner im Senat von Georgia teilt die | |
Einschätzung über die Mehrheitsmeinung. „Die Bürger haben drei | |
Prioritäten“, sagt Randy Robertson, „sie wollen Sicherheit, Sauberkeit und | |
Zugang zu Transportmitteln haben.“ Der Republikaner, der früher selbst | |
Polizist war und der weiterhin an Polizeischulen unterrichtet, nennt das | |
Ausbildungszentrum „eine Notwendigkeit, um die Polizei auf den neuesten | |
Stand zu bringen. Genau wie der Stadtrat betont er, dass das Zentrum nicht | |
nur für die Ausbildung der Polizei, sondern auch der Feuerwehr gedacht ist. | |
Für die Waldschützer benutzt der Republikaner den Ausdruck | |
„Ökoterroristen“. | |
Eine Umfrage der Emory-Universität in Atlanta weist in eine andere Richtung | |
als die beiden Politiker. Danach sind nur 48 Prozent der Atlantans für Cop | |
City. Unter den Afroamerikanern in der Stadt befürworten lediglich 43,5 | |
Prozent das Projekt. | |
Anders als der weiße Senator kennt Stadtrat Michael Bond den „Stress“ von | |
Polizeibegegnungen aus eigener Erfahrung. Als er in den 80er Jahren | |
studierte, hieß es, nur wenige afroamerikanische Männer würden das Alter | |
von 25 Jahren erreichen. Heute, als Stadtrat, lobt er einerseits die | |
Qualität der Polizeiarbeit in Atlanta – wo die Ausbildung knapp zehn Monate | |
dauert und damit ein Vielfaches länger ist als an den meisten Orten der USA | |
– und will sie zugleich mithilfe des Polizeiausbildungszentrums verbessern. | |
In Cop City ist die Stadt Atlanta nur Juniorpartner. Sie will ein Drittel | |
der Kosten übernehmen. Für das Gros der Kosten – 60 Millionen Dollar oder | |
zwei Drittel – kommt die private Polizeistiftung Atlanta Police Foundation | |
(APF) auf. Stadtrat Michael Bond sieht darin kein Problem. Er nennt die APF | |
eine „Unterstützungsorganisation“ und bestreitet, dass sie die | |
Polizeiausbildung beeinflussen kann. Das Curriculum, sagt er kategorisch, | |
„machen wir“. | |
Die Polizeistiftung APF ist eine gemeinnützige Organisation, deren | |
ausschließliches Anliegen die Polizeiarbeit ist. Ausgestattet mit den | |
Spenden von Dutzenden von großen Konzernen, die ihren Hauptsitz in Atlanta | |
haben (von Coca-Cola über die Bank of America bis hin zu der | |
Fluggesellschaft Delta), ist die APF die treibende Kraft hinter Cop City. | |
Sie ist eine der finanziell stärksten und eine der ältesten | |
Polizeistiftungen in den USA. Ihr Geschäftsführer, Dave Wilkinson, verdient | |
besser als der Bürgermeister und als der Polizeichef der Stadt. | |
Die APF sorgte dafür, dass Atlanta die engmaschigste Kameraüberwachung der | |
USA bekam. Im Juni 2020, als in Atlanta der von Polizisten mit | |
Rückenschüssen getötete [4][Rayshard Brooks] beerdigt wurde und als quer | |
durch die USA Demonstrationen gegen Polizeigewalt stattfanden, zahlte die | |
Stiftung jedem der 2.000 Polizisten der Stadt eine Prämie von 500 Dollar. | |
Das Geld sollte ihre „Moral heben“. | |
Der Präsident von Atlantas Zweig der ältesten US-Bürgerrechtsbewegung, die | |
National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), ist im | |
Prinzip für ein neues Polizeiausbildungszentrum. Richard Rose stört sich | |
auch nicht an dem Standort. „Wir haben genug Waldgebiete in Atlanta.“ Aber | |
Richard Rose wehrt sich gegen das Geld und den Einfluss der | |
Polizeistiftung. „Die APF hat nie die Gewalt der Polizei kritisiert“, sagt | |
er: „Wer persönlich nicht von der gegenwärtigen Polizeipraxis betroffen | |
ist, wird sie auch nicht ändern.“ In der fortgesetzten Gewalt der Polizei | |
sieht der Bürgerrechtler die alte „Sklavenfängermentalität“ aus den | |
Anfängen der Landesgeschichte. Die Milizen, die damals nach entflohenen | |
Sklaven suchten, waren eine Vorform der heutigen Polizei. | |
Weil die USA „von allen demokratischen Ländern die schlechteste | |
Polizeiarbeit macht“, wünscht sich der 74-jährige Bürgerrechtler eine | |
grundsätzlich andere Polizei. Möglicherweise mit neuen Leuten an der | |
Spitze, die aus einer anderen Tradition kommen: „Vielleicht Sozialarbeiter, | |
oder Psychologen.“ | |
Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste gegen das Ausbildungszentrum hat | |
Bürgermeister Andre Dickens Ende März eine Task Force einberufen. Die | |
Mitglieder hat der Bürgermeister selbst ausgewählt. Anfang Juli sollen sie | |
ihm Empfehlungen geben. Ob der Bürgermeister ihren Wünschen folgen wird, | |
ist offen. Schon beim ersten Treffen der Task Force Mitte April kommt es | |
zum Eklat. Der Vertreter der Bürgerrechtsgruppe ACLU wirft den | |
Organisatoren mangelnde Transparenz vor, weil sowohl die Diskussionen als | |
auch der Versammlungsort wie eine Geheimsache behandelt werden. Er verlässt | |
die Task Force. NAACP-Präsident Richard Rose will vorerst in der Task Force | |
bleiben. Er hofft, dass er es in der Task Force schafft, neue Kriterien für | |
die Ausbildung von Polizisten zu entwickeln. | |
Zu solchen Kompromissen mit Stadt, Polizei und Polizeistiftung sind die | |
Gegner von Cop City nicht bereit. Viele von ihnen sind in den | |
zurückliegenden Jahren für die Abschaffung der Polizei auf die Straße | |
gegangen, weil sie sie für nicht reformierbar halten. Andere haben | |
verlangt, dass zumindest die finanziellen Mittel für die Polizei gekürzt | |
und dass einige ihrer Aufgaben – darunter Einsätze bei psychisch Kranken | |
und bei häuslichen Konflikten – in andere Behörden verlagert werden. | |
Die Gegner von Cop City haben die breiteste oppositionelle Allianz in der | |
Geschichte von Atlanta auf die Beine gestellt. Zu ihnen gehören | |
Bürgerrechts-, Umweltschutz- und Antirassismusgruppen, Klerikale und | |
Angehörige vom linken Flügel der Demokratischen Partei. Die jungen | |
Waldverteidiger sind in der Allianz nur eine Minderheit. | |
„Jeder Polizist in Georgia, der einen unbewaffneten schwarzen Mann | |
erschießt, hat eine Ausbildung“, sagt Reverend Keyanna Jones, „wir brauchen | |
kein neues Polizeiausbildungszentrum.“ Die 43-jährige Geistliche war eine | |
wortgewaltige Cop-City-Kritikerin bei den Anhörungen im Stadtrat. Und sie | |
hat ihre Opposition auch in Kirchen, in Bürgerinitiativen und in die Reihen | |
der Demokratischen Partei in Atlanta getragen. Keyanna Jones wohnt in der | |
Nähe der geplanten Cop City. Sie hat „fünf Schwarze Kinder“, um deren | |
Sicherheit sie fürchtet. Und sie betrachtet das Projekt als eine | |
Verkörperung all dessen, was in der Polizeikultur der USA nicht stimmt. | |
Handgemalte Bilder von kleinen Schildkröten weisen den Weg ins Innere der | |
Baptistenkirche an der Park Avenue, wenige Häuserblocks vom Kapitol von | |
Atlanta entfernt. Auf den Holzbänken im Inneren der Kirche sitzen an diesem | |
frühen Abend Hunderte von Atlantans, die keine Cop City wollen – viele | |
Frauen, viele Afroamerikaner, viele Kinder, alle Altersgruppen. Es ist eine | |
Bürgerversammlung. Aber kein Stadtrat oder anderer gewählter Politiker | |
lässt sich blicken. Die afroamerikanische Aktivistin Mary Hooks vergleicht | |
die Polizeistiftung APF mit dem rassistischen Geheimbund KKK. „Es geht | |
nicht um unsere Sicherheit“, sagt sie, „es geht darum, uns zu | |
kontrollieren.“ Kamau Franklin von den Community Movement Builders, einer | |
Schwarzen Grassroot-Organisation in Atlanta, bezeichnet Cop City als „Ort, | |
an dem Terroristen ausgebildet werden sollen“. | |
Die Cop-City-Gegner haben dem „Intrenchment Creek Park“ im Südosten von | |
Atlanta den Namen zurückgegeben, den er vor der Vertreibung der indigenen | |
Muscogee hatte: Weelaunee. Tortuguitas Mutter hat im Weelaunee-Wald die | |
Asche ihres Kindes verteilt. Wenig später hat die Polizei bei einer Razzia | |
die Waldverteidiger vertrieben und ihre Baumhäuser und Zelte zerstört. | |
Seither fallen in dem Wald die Bäume und Bulldozer ebnen das Land ein. Am | |
Rand des Waldes stehen Schilder: „Zutritt verboten“. | |
Die Versammelten in der Baptistenkirche sind überzeugt, dass sie Cop City | |
dennoch verhindern können. „Die Opposition dagegen wird ständig breiter“, | |
sagt Reverend Keyanna Jones. Auf den Kirchenbänken liegt während der | |
Bürgerversammlung ein buntes Flugblatt aus. Es beschreibt die Eröffnung | |
eines „Tortuguita-Gemeinschaftszentrums“ im Weelaunee-Wald. An der Stelle, | |
wo einst die Polizei Schießen und Nahkampf plante, spielen Kinder im Sand. | |
Und Erwachsene blicken auf eine Zeit zurück, in der die Bürger von Atlanta | |
den Machtkampf gegen eine Polizeistiftung gewonnen haben, die von | |
multinationalen Konzernen finanziert wurde. | |
9 May 2023 | |
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[1] https://theintercept.com/2023/02/09/cop-city-body-camera-footage/ | |
[2] /Urteil-nach-Sturm-auf-das-Kapitol/!5932450 | |
[3] https://policeviolencereport.org/ | |
[4] /Nach-Tod-von-Rayshard-Brooks/!5696229 | |
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