Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hindu-Nationalismus in Indien: Sich die Geschichte zurechtmachen
> Die indischen Geschichtsbücher werden um Teile der Vergangenheit ärmer.
> Die Regierung treibt die muslimische Minderheit einmal mehr an den Rand.
Bild: Das Tadsch Mahal wurde vom muslimischen Großmogul Shah Jahan erbaut
Das selektive Ausradieren der indischen Vergangenheit wurde lange
vorbereitet – mit dem Ziel, die muslimische Bevölkerung auszugrenzen. Nun
passiert es wirklich, und zwar in den [1][Lehrbüchern für Geschichte].
Nicht einmal mehr erwähnt wird dort nun das vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
existierende Mogulreich. Dessen bedeutende Rolle für die Herausbildung
einer „indischen Kultur“ soll fortan unterschlagen werden, denn man wolle
doch die Arbeitsbelastung der Schulkinder senken.
Aber wer ließ dann den Tadsch Mahal bauen, jenes prächtige Marmormausoleum
aus dem 17. Jahrhundert, das auf jeder Tourismusbroschüre abgebildet ist?
Das bleibt nun der Fantasie überlassen. All das ist ein weiterer Schritt,
um den rechtsgerichteten Hindufundamentalismus, auch Hindutva genannt,
systematisch durchzusetzen.
Die extrem rechte Hinduorganisation Rashtriya Swayansevak Sangh (RSS), die
die ideologische Vorarbeit für die Regierungspartei Bharatiya Janata Party
(BJP) macht, versucht schon lange, Indien als einen Staat für Hindus allein
darzustellen. Niemand hat die [2][Unruhen von 2002] nach einem Attentat auf
einen Zug in Godhra im Bundesstaat Gujarat vergessen, als Muslim:innen
verbrannt, getötet und vergewaltigt wurden. Damals war Narendra Modi als
Chief Minister der Regierungschef Gujarats.
Sein Schweigen und seine Untätigkeit angesichts der Ausschreitungen waren
vielsagend, sein Name kam in mehreren Petitionen vor, die Gerechtigkeit
einforderten. [3][Seit 2014 ist er Indiens Premierminister.] In den neun
Jahren seither hat fortgesetzte Gewalt gegen Muslim:innen dazu gedient,
seine Agenda des Hindustaats zu fördern. Es überrascht kaum, dass auch die
Godhra-Unruhen aus den Lehrbüchern getilgt worden sind.
Auch der Satz, dass Mahatma Gandhi „überzeugt war, dass jeder Versuch,
Indien zu einem Staat nur für Hindus zu machen, Indien zerstören würde“,
bleibt Schulkindern vorenthalten. Gandhi wurde bekanntlich von dem
RSS-Anhänger Nathuram Godse erschossen. Muslime, die sich am
Unabhängigkeitskampf gegen das britische Kolonialreich beteiligten, finden
sich in den Lehrbüchern ebenso wenig wie Muslime, die an der Ausarbeitung
von Indiens Verfassung beteiligt waren.
## Auf dem Weg zum rein hinduistischen Staat
Über die Jahre sind von den Mogulherrschern erbaute Orte umbenannt worden.
Die Zerstörung der Babri-Moschee in [4][Ayodhya] im Jahr 1992 wurde damit
gerechtfertigt, dass sie auf dem Gelände eines Hindutempels stehe. Es war
ein entscheidendes Vorhaben der RSS auf dem Weg weg von einem säkularen
Indien hin zu einem rein hinduistischen Staat. Somit soll ein wesentlicher
Teil der indischen Bevölkerung erst aus den Lehrbüchern und dann aus einer
gemeinsamen Zukunft in Indien getilgt werden.
Auch in den USA sind in kurzer Zeit 2.500 Bücher aus Schulbibliotheken und
Lehrplänen verbannt worden, weil ihr Inhalt aus unterschiedlichsten Gründen
missfiel. Das wird auch in Indien kritisiert, doch wer es zu laut und mit
Verweis auf die Menschenrechte tut, hat schnell eine Anklage an der Backe.
Viele aber kennen das historische Vorbild aus den 1930er Jahren, als in
Deutschland Schulbücher umgeschrieben wurden, um die Naziherrschaft zu
glorifizieren und den Antisemitismus zu schüren.
Die Konsequenzen sind nur zu bekannt. Doch Indien begibt sich
bedauerlicherweise auf den gleichen Weg, und mit einem ähnlichen Ziel:
Muslime aus der Erinnerung, aus dem gesellschaftlichen Diskurs zu löschen
und letztlich in ihrer Existenz zu zerstören. [5][Deutschland] ist der
siebtgrößte Investor in Indien. Vielleicht sollten seine Vertreter solche
Irrwege seines Handelspartners deutlicher zur Sprache bringen.
Aus dem Englischen von Stefan Schaaf
7 May 2023
## LINKS
[1] https://www.deutschlandfunk.de/indische-bildungsbehoerde-aendert-schulbuech…
[2] /Nach-den-Progromen-gegen-Muslime-2002/!5188005
[3] /Wahlergebnis-in-Indien/!5042132
[4] /Ayodhya-Konflikt-in-Indien/!5639875
[5] /Deutsch-indische-Beziehungen/!5847514
## AUTOREN
Priyanka Borpujari
## TAGS
Indien
Narendra Modi
Hinduismus
Hindu-Nationalismus
Kolumne Fernsicht
Indien
Indien
Indien
Indien
Indien
Indien
Indien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Religion und Politik in Indien: Modi eröffnet Wahlkampf mit Tempel
Am Montag wurde der Ram-Tempel eingeweiht. Das Ereignis gilt in Indien als
Schlüssel für den Wahlkampf der Regierungspartei von Narendra Modi.
Indien nennt sich um: „Warum haben Sie das gemacht?“
Ein Schreiben von Indiens Präsidentin sorgte für Furore, weil darin von
Bharat statt Indien die Rede war. Der Name erinnere an die Kolonialzeit.
USA empfangen Indiens Premierminister: Diplomatie und Drohnenkäufe
Beim Besuch von Indiens Premier Modi in den USA stehen Militärkooperationen
im Vordergrund. Die USA versuchen, Indien enger an den Westen zu binden.
Gewalt im Nordosten von Indien: Mehrheit fordert Minderheitenrechte
Im Bundesstaat Manipur beansprucht die größte Ethnie der Meitei besondere
Minderheitenrechte für sich. Das hat tödliche Unruhen ausgelöst.
Schlag gegen Opposition in Indien: Modi-Rivale ausgeschlossen
Der Oppositionsführer Rahul Gandhi hat sein Mandat wegen Verleumdung
verloren. Das soll die Opposition schwächen, kann sie aber auch einen.
Deutsch-indische Beziehungen: Besuch aus Neu-Delhi
Indiens Premier Modi beginnt in Deutschland eine Europatour. Was beide
Länder eint: ihr kompliziertes Verhältnis zu Moskau.
Menschenrechtsgruppen in Indien: Armutszeugnis der Demokratie
Indien ist auf einer Welle mit anderen rechtspopulistischen Regierungen.
NGOs werden behindert, Amnesty zieht sich deshalb zurück.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.