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# taz.de -- Klimavolksentscheid in Berlin: Besser zielen fürs Klima
> Genauer kommunizieren, auch auf dem Land präsent sein: Was sich aus dem
> verlorenen Quorum des Berliner Klimavolksentscheids lernen lässt.
Bild: Nach dem gescheiterten Klima-Volksentscheid am 26. März in Berlin
Die 105.425 Unterschriften für den „Volksentscheid Fahrrad“ und für
„Changing Cities“ lösten im Juni 2016 einen verkehrspolitischen Tsunami
aus. Mittlerweile haben wir in Berlin ein Mobilitätsgesetz, über 50
Bürgerentscheide zum Radverkehr in der gesamten Republik, einige davon auf
Landesebene. Radverkehrspolitik ist zur Pflichtaufgabe geworden auf Bund-,
Länder- und Gemeindeebene und in den kommunalen Spitzenverbänden.
Was, so fragte ich mich, würde passieren, wenn wir das Gleiche mit einem
versierten Supportteam nochmal machen – mit der Klimapolitik? Mit meiner
Gründung von „GermanZero“ gelang genau das: Mittlerweile sind 100
Klimaentscheide-Teams unterwegs, in 40 Kommunen gibt es bindende
Beschlüsse, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden.
Nummer 4 dieser Klimaentscheide war die Initiative „Klimaneustart“, die im
Mai 2020 startete. Mit vier Jahren Dauerkampagne und fünf
Mobilisierungsphasen war sie fünfmal erfolgreich: Klimanotstand 2019,
Klimabürgerrat 2021, Antrag auf Volksbegehren 2022, Volksbegehren 2022 und
zuletzt der Klimavolksentscheid in Berlin mit 51 Prozent Jastimmen. Das war
und ist eine Spitzenleistung bürgerlicher Mobilisierung.
Durch die Sabotage der damals noch Regierenden Bürgermeisterin von Berlin,
[1][Franziska Giffey], die Volksabstimmung bewusst nicht auf den Wahltag zu
legen, ist der Volksentscheid erwartungsgemäß am Quorum gescheitert. Was
bleibt – und deshalb lohnt sich jeder Bürgerentscheid –, ist das große
Stadtgespräch über den weiteren politischen Kurs. Diesen Druck und die
Erwartungshaltung gäbe es ohne die Initiative nicht. In dieser Pflicht
werden [2][CDU und SPD] stehen: Berlin in einem Jahrzehnt fossilfrei
machen.
Lernen lässt sich aus dem verlorenen Quorum und den hohen
Neinstimmen-Anteilen für weitere Bürgerentscheide dennoch einiges: Erstens:
Beim politischen Angebot, das Klimaschutzgesetz bereits auf 2030
klimaneutral auszurichten, wurde ein Wagnis eingegangen. Ein Volksentscheid
muss aus der Mitte der Bevölkerung gewonnen werden können, es muss zu einem
guten politischen Common Sense passen. [3][49 Prozent Neinstimmen] waren
nicht gegen Klimaschutz, aber gegen eine Berlin überfordernde
Geschwindigkeit. Deshalb: Besser zielen, an den richtigen Stellen die
richtigen Fachleute reinholen und die Kompetenz einbinden, die längst
vorhanden ist.
Zweitens: Medial fehlte die fundierte Gegenantwort auf die
Nichtmachbarkeits-Diskussionen. Ein Masterplan für 2030 Zero fehlte in der
Diskussion, die Kritiker hatten leichtes Spiel und die Gelegenheit, die
vielen Neinstimmen fachlich zu unterfüttern. Ein Berlin mit ausreichend
Solar- und Windstrom durch Solardächer, Wind- und Solarparks im Land oder
in Partnerschaft mit Brandenburg wäre bis 2030 machbar, der Wärmebereich
und der Verkehrsbereich etwas später. Mit Recherche, Expertise,
Dialogveranstaltungen oder eigenen Interviewpartnern für die Medien lässt
sich gegen die Kritik gewinnen.
Drittens: Die Klimabewegung versagt darin, außerhalb der großen Städte
Menschen für gute Klimapolitik zu gewinnen. Die Engagierten sind
überwiegend urban, in den Außenbezirken melden sich wenig Freiwillige.
Diese unabsichtliche, aber fehlende geografische Inklusion führt zu einer
monothematisch urbanen Klimapolitik – und zur Blindheit zu den Stimmungen
in den Außenbezirken. Deshalb: Systematischer betrachten, wo welche
Menschen gewonnen werden müssen, sie verstehen und mit gezieltem Organizing
in den Außenbezirken mehr Rückhalt entwickeln.
Viertens: Wir als Klimabewegung haben es nicht verstanden, für unser
Anliegen, die Maßnahmen und die Verbesserungen zu werben. Jeden
Grunewäldler kann man nachdenklich machen, weil das Bewässern der
Rasenflächen in wenigen Jahren vielleicht schon verboten wird. Jedem
Autopendler hätte man mit „Geiz ist geil“-Parolen die Kostenvorteile des
E-Auto-Fahrens näherbringen können. Den knapp 200.000
Einfamilienhausbesitzern hätte man vorrechnen können, wie viel billiger und
sicherer die Strom- und Wärmeversorgung via Solar auf dem Dach und
Wärmepumpe im Garten wird. Deshalb: Zielgruppen genauer definieren und mit
Fakten und Argumenten aus deren Sicht werben.
## Auch mal im Sprachjargon von CDU und FDP kommunizieren
Fünftens: Die Klimabewegung war mal wieder vergnügt in der rot-grünen
Bubble unterwegs, mit all ihren Insignien vom Fahrrad über Kleidung und
Wortwahl. Es wurde nicht verstanden, auch einmal aus Sicht der
Nicht-Grünen-Perspektive zu werben, im Partei- und Sprachjargon von CDU
oder FDP zu kommunizieren. Klima bleibt damit die Aufgabe der „anderen“ –
und wird eben nicht breit getragen, wie es ein erfolgreicher Volksentscheid
erfordert. Warum sollten dann auch CDU oder FDP für mehr wirksame
Klimapolitik bei ihren Wählern werben, wenn es auf den Markenkern der
Grünen einzahlt? Deshalb: Bewusst parteiübergreifend, inklusiver, aber auch
parteifokussierter kommunizieren, Türen auf- und nicht zumachen, in
Parteien eintreten.
Sechstens: 95 Prozent der Grünen-Wähler wollten mit Ja stimmen, aber die
Partei stand nicht dahinter. Das halbherzige Ja von Frau Jarasch zehn Tage
vor der Wahl hat den klimapolitischen Wettbewerb nicht entfacht. Eine CDU
oder FDP würde ihre „Vorfeldorganisationen“ BDI oder VDA nicht im Regen
stehen lassen. Deshalb: Grünenkritischer managen, denn auch die Grünen
haben die Umwelt von der Erde nicht geliehen.
Waren es 2019 eine Handvoll Klimabewegte, sind nun 400.000
Berliner:innen „Klima-wütend“ geworden. Klima wird bei der nächsten
Wahl das Topthema sein: CDU und SPD haben nun drei Jahre Zeit, ihre
klimapolitische Glaubwürdigkeit zu beweisen. In 20 Jahren werden die
Mitstreiter:innen von „Klimaneustart!“ sagen können: Wir haben einen
tollen Job gemacht, auf den wir stolz sein können!
4 May 2023
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## AUTOREN
Heinrich Strößenreuther
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