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# taz.de -- Sexuelle Belästigung in Dänemark: „Lizette macht so was“
> Dänemarks mächtige Gewerkschaftsführerin Lizette Risgaard hat jüngere
> Männer sexuell belästigt. Kurz vor dem 1. Mai ist sie nun zurückgetreten.
Bild: Hat sich entschuldigt und gleichzeitig ihr Verhalten relativiert: Lizette…
Stockholm taz | Der Kampftag der Arbeiterbewegung wurde für den dänischen
Gewerkschaftsbund in diesem Jahr zum Krisentag. Der 1. Mai wurde
überschattet von internen Konflikten und einem Skandal, aus dem die eigene
Verbandsvorsitzende die Konsequenz zog, ihren Rücktritt zu erklären. Ihre
Situation war unhaltbar geworden.
Begonnen hatte es am späten Donnerstagabend. Da kündigten zwei
Tageszeitungen an, was am Freitag zu lesen sein würde. Die Boulevardzeitung
Ekstra Bladet titelte reißerisch: „Die Opfer des Gewerkschaftsbosses“. Bei
Berlingske Tidende hieß es seriöser: „Seit Jahren verhält sich die
Gewerkschaftsführerin Lizette Risgaard mit unangemessenen Berührungen
grenzüberschreitend gegenüber jungen Männern.“
Acht Männer kamen in der Berichterstattung mit Erfahrungen zu Wort, die sie
als Beschäftigte beim dänischen Gewerkschaftsdachverband Fagbevægelsens
Hovedorganisation (FH) sowohl während der Arbeit als auch bei festlichen
Anlässen mit deren Vorsitzender Lizette Risgaard gemacht hatten. Es wurde
geschildert, wie Risgaards Hand öfters auf dem Hinterteil des Betroffenen
landete und dort längere Zeit verweilte oder wie sie bei Feiern auf dem
Tanzparkett etwas zu sehr körperliche Nähe suchte.
„Mir wird kalt und ich fange an zu zittern. Ich weiß nicht so recht, was
ich tun soll“, erinnert sich ein Mittzwanziger. Bei einer Veranstaltung
habe Risgaard neben ihm gestanden und plötzlich habe er gespürt, wie die
Hand seiner Chefin von seinem Rücken auf den Hintern wanderte. Unangenehm
und peinlich sei das gewesen, „grenzüberschreitend eben und ich hoffte,
dass es niemand sah“. Weiter wird er zitiert: „Ich habe seitdem oft darüber
nachgedacht, was passiert wäre, wenn ich sie zur Rede gestellt hätte. Aber
ich dachte, es ist besser, das nicht zu tun.“
Die Medien zitieren auch eine Frau, die vor zwei Jahren einen ähnlichen
Vorfall beobachtet hatte und sich anschließend mit zwei Kolleginnen darüber
austauschte. Für die sei solches Verhalten offensichtlich nicht neu
gewesen. „Lizette macht so was“, wurde ihr geantwortet. „Ich fand das
fürchterlich“, berichtet diese Zeugin, „und ganz unglaublich, dass nichts
dagegen unternommen wurde.“ Auch der Fernsehsender TV 2 berichtet von einer
„Vielzahl von Quellen, die der Gewerkschaftsbewegung angehören oder
angehört haben“ und die „entsprechende Gerüchte und Geschichten über
Lizette Risgaard bestätigten“. Ein Zitat: „Ihre Hände schaffen es immer in
die Hemden junger Männer.“
## Risgaard äußerte sich zu MeToo
Die 62-Jährige aus einer Arbeiterfamilie, die sich schon seit Jugendzeiten
gewerkschaftlich engagiert hatte, war 2015 als erste Frau Vorsitzende des
Gewerkschaftsdachverbands FH geworden. Medien haben Risgaard deshalb als
zweitmächtigste Frau Dänemarks bezeichnet, direkt nach Ministerpräsidentin
Mette Frederiksen.
In den vergangenen Jahren hatte sich Risgaard auch mehrfach zur
[1][MeToo-Debatte] geäußert. 2020 betonte sie zusammen mit 52
Vorstandsmitgliedern von Teilgewerkschaften in ganzseitigen Anzeigen die
führende Rolle der Gewerkschaften im Kampf gegen sexuelle Belästigung und
beleidigendes Verhalten am Arbeitsplatz: „Es liegt tief in der DNA der
Gewerkschaftsbewegung, Belästigung, Diskriminierung und beleidigendes
Verhalten in all seinen Formen zu bekämpfen.“ Die Gewerkschaften hätten
auch „die Verpflichtung, einen gründlichen und ehrlichen Blick auf sich
selbst zu werfen“.
Mit diesem „ehrlichen Blick“ hatte Risgaard selbst aber Schwierigkeiten. In
ersten Stellungnahmen entschuldigte sie sich nicht für ihr Verhalten,
sondern dafür, dass es ihr leid tue, wenn Männer „den Eindruck haben, dass
ich ihnen an den Po gefasst oder mit ihnen zu nahe getanzt habe“. Später
gestand sie dann doch ein, „dass ich als Führungskraft unangemessen
gehandelt habe“. Sie versuchte dies aber zu entschuldigen: „Ich war mir
meiner eigenen Position und der Macht, die daraus folgt, nicht bewusst.“
„Wenn eine der mächtigsten Personen Dänemarks nicht begreift, dass eine
Position und eine Vertrauensstellung an der Spitze der Gesellschaft mit
Verantwortung verbunden ist, dann ist das schon Grund genug, sich einen
anderen Beruf zu suchen“, kommentierte Jyllands-Posten. „Hier handelt es
sich nicht nur um eine Führungspersönlichkeit mit schlechtem
Urteilsvermögen und grenzüberschreitendem Verhalten, sondern auch um eine
mit so großen blinden Flecken, dass dies an sich schon disqualifizierend
sein sollte.“
Andere Kommentare waren nicht weniger kritisch. Risgaard habe recht, wenn
sie sage, dass ihre sexuellen Annäherungsversuche mit dem Verhaltenskodex,
den die Gewerkschaften sich selbst gegeben hätten, unvereinbar gewesen
seien, schrieb Politiken. Und Ekstra Bladet forderte kurzerhand: „Feuert
sie.“ Messe man Risgaards „Fummeleien an den Maßstäben, die anlässlich d…
MeToo- und Sexismus-Fälle der letzten Jahre im öffentlichen Leben Dänemarks
aufgestellt wurden, muss sie entlassen werden“.
## Forderung nach breiter Untersuchung
Risgaard erklärte am Sonntag nach einer stundenlangen Krisensitzung ihres
Verbands ihren Rücktritt. Mehrere Einzelgewerkschaften hatten ihr
öffentlich das Vertrauen entzogen. Der Schritt sei „die schwierigste
Entscheidung in meinem Leben“, sagte sie, denn für sie habe immer die
Gewerkschaft und „unser Kampf“ die wichtigste Rolle gespielt. „Aber jetzt
muss ich konstatieren, dass die Berichte, die von mehreren Seiten
verbreitet werden, diesem Kampf im Wege stehen.“
Der Fall Risgaard könne Auslöser einer MeToo-Bewegung unter Männern sein,
glaubt Kenneth Reinicke, Gender-Forscher an der Universität Roskilde. „Es
gibt vermutlich genug Männer, die mit Erfahrungen herumlaufen, von denen
sie vorher nicht das Gefühl hatten, dass es legitim ist, darüber zu
sprechen.“ Dass sie es jetzt tun, hätte sicherlich auch mit der
MeToo-Protestbewegung von Frauen zu tun, die es auch in Dänemark gegeben
habe: „Ohne MeToo hätten diese Männer das Geschehene möglicherweise
vollständig verdrängt.“
Laut einer 2022 veröffentlichten [2][Studie] haben 26,4 Prozent aller
weiblichen und 18,3 Prozent aller männlichen Angestellten in Dänemark in
den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal am Arbeitsplatz
„unerwünschte sexuelle Aufmerksamkeit und Belästigung“ erlebt. Männern
falle es deutlich schwerer, solche Übergriffe und Belästigungen zu melden,
meint Reinicke. „Man ist vielleicht schockiert und es als Mann nicht
gewöhnt, in dieser Situation zu sein. Außerdem fürchten Männer, eher auf
Unverständnis zu stoßen, wenn sie ihre Geschichte erzählen.“
Dass es gerade auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung „eine tief
verankerte sexistische Kultur“ gebe, hatte schon ein von
Gewerkschaftsangestellten im Jahr 2020 verfasster Protestbrief beklagt.
„Man weiß dort sehr wohl, was vor sich geht“, sagt Jan Hoby,
stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Sozialpädagogen. Auch
über Risgaard sei schon lange hinter vorgehaltener Hand gesprochen worden.
„Aber es gibt eine Tendenz, das unter den Teppich zu kehren, weil man
meint, es würde die Gewerkschaftsbewegung schwächen, wenn bekannt wird, was
man für Skelette im Schrank hat.“
Am Wochenende kam von ersten Gewerkschaften die Forderung nach einer
grundsätzlichen Untersuchung, die sich nicht auf den Fall Risgaard
beschränkt. „Weiß man davon und tut nichts, ist das genauso schwerwiegend
wie diese Vorfälle selbst“, betonte Anja Jensen, Vorsitzende der
Büroangestelltengewerkschaft.
1 May 2023
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-metoo/!t5455381
[2] https://at.dk/media/7574/initial-afrapportering.pdf
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Gewalt gegen Männer
Schwerpunkt #metoo
Tag der Arbeit, Tag der Proteste
Dänemark
Gewerkschaft
Bremerhaven
Filmbranche
Benjamin von Stuckrad-Barre
Kolumne Die Wahrheit
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