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# taz.de -- Versammlungsfreiheit in Frankreich: Chemie gegen die Presse
> Französische Ordnungskräfte markieren mutmaßliche Gewalttäter mit einer
> chemischen Substanz. Nun ist auch ein Journalist unter den
> Festgenommenen.
Bild: Brennende Polizeifahrzeuge nach gewalttätigen Auseinandersetzungen im fr…
Paris taz | Erstmals wurde in Frankreich in Sainte-Soline bei einer
Kundgebung von den Ordnungskräften ein chemisches Produkt zur Markierung
(PMC) und späteren Identifizierung von mutmaßlich gewalttätigen
Demonstrierenden eingesetzt, die nicht direkt bei auf den Demos
festgenommen werden konnten.
Dazu wird mit einem speziellen Gewehr vom Typ EMF-100 auf Distanz eine mit
bloßem Auge unsichtbare Substanz auf Personen geschossen, die damit im Fall
einer späteren Festnahme, auch noch viele Tage oder sogar Wochen später,
mit Hilfe von UV-Lampen identifiziert werden können.
Mit dieser Markierungstechnologie ergänzen Polizei und Gendarmerie in
Frankreich ihr Waffenarsenal, zu dem bereits [1][äußerst umstrittene Gase,
Granaten und Hartgummigeschosse] gehören, die in anderen Ländern auf der
Kriegsmaterialliste stehen und dort nicht für „zivile“ Ordnungseinsätze
zugelassen sind. Der rechtliche Rahmen für den PMC-Einsatz ist nach Ansicht
von Anwälten unklar. Offiziell handelt es sich seit 2019 um ein
„Experiment“.
Dennoch wurden nun zwei Personen, darunter ein freier Journalist, mithilfe
eines von Kriminalisten sichtbar gemachten, kodierten Tintenflecks wegen
angeblicher „Teilnahme an einer Versammlung zwecks [2][vorsätzlicher Gewalt
und Sachbeschädigung]“ in Gewahrsam genommen und 28 Stunden lang
festgehalten.
## Journalist bei Berichterstattung festgenommen
Der 34-jährige Clément B. arbeitet für diverse Medien, darunter Le Monde
und Sendungen von öffentlichen Rundfunkstationen. Am 26. März war er mit
Mikrofon und Aufnahmegerät im südwestfranzösischen Dorf Melle in der Nähe
von Sainte-Soline bei einem Festival, auf dem mehrere tausend Menschen
gegen künstliche Seen zur Bewässerung einiger weniger
Landwirtschaftsbetriebe demonstrierten. Bei der kurzfristig verbotenen
Kundgebung kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen. Mehr als 200 Personen
wurden auf beiden Seiten verletzt, darunter drei Demonstrierende sehr
schwer. Journalist Clément B. wurde mehrere Stunden nach diesen
Auseinandersetzungen bei Melle von der Polizei angehalten und trotz
Presseausweis zur Kontrolle abgeführt.
Was auf dem Gendarmerieposten geschah, erinnert ihn immer noch an einen
schlechten Science-Fiction-Film. Mithilfe einer UV-Lampe machten die
Beamten auf seiner rechten Hand einen kleinen Farbstreifen sichtbar. Ein
Abstrich davon wurde – als Beweis oder zur Kontrolle? – zur weiteren
Überprüfung in das Kriminalistiklabor gebracht. Clément B. aber galt
angeblich schon als „überführt“.
Denn die Markierungssubstand enthält unter anderem, wie auch die
menschliche DNA, Nukleotide und eine Kodierung, die bei jedem Einsatz
wechselt. Das macht es, jedenfalls auf dem Papier, möglich, Ort und
Zeitpunkt zu bestimmen, an dem der betreffende Mensch markiert wurde.
Clément B. bestreitet laut seiner Anwältin Chloë Chalot, bei der fraglichen
Demo dabei gewesen zu sein. Wie der verräterische „Tintenfleck“ auf seine
Hand gelangen konnte, weiß er nicht.
Die Taktik bei Ordnungseinsätzen gegen Demonstrationen und die Bewaffnung
der Polizei und Gendarmerie – sie sind Teil der französischen Streitkräfte
– erregt Besorgnis beim Europarat und auch beim Umwelt-Sonderbeauftragten
der UNO, Michel Frost. Er kritisierte nach den Ereignissen in Saint-Soline
im Onlinemagazin Mediapart „eine von einer immer virulenteren Rhetorik
begleitete verschärfte Repression gegen Umweltbewegungen“.
## Innenminister spricht von „Öko-Terroristen“
Innenminister Gérald Darmanin bezeichnete die militanten Gegner der
Privatisierung des Wassers zugunsten weniger Agrarbetriebe als
„Öko-Terroristen“. Er fordert in diesem Sinne ein Verbot der
Umweltorganisation Soulèvements de la Terre. Auch erwog er, der
französischen Menschenrechtsliga die öffentlichen Subventionen zu
streichen, weil sie sich kritisch zum Vorgehen in Sainte-Soline geäußert
und gesagt hatte, wegen einer polizeilichen Anordnung seien Schwerverletzte
erst mit mehr als einer Stunde Verspätung ins Krankenhaus gebracht worden.
[3][Bereits bei den Protestaktionen der Gelbwesten] reagierten die Behörden
laut einem Bericht von Amnesty International mit außerordentlicher Härte.
Seit 1999 haben laut der Statistik von Desarmons.net bei polizeilichen
Ordnungseinsätzen, meistens durch Gummigeschosse oder Granaten, insgesamt
66 Menschen ein Auge verloren, davon 29 während des Konflikts mit den
Gelbwesten 2018/2019.
12 Apr 2023
## LINKS
[1] https://desarmons.net/wp-content/uploads/2021/10/Brochure_Partie_Armes_2021…
[2] /Proteste-in-Frankreich/!5921714
[3] /Generalstreik-in-Frankreich/!5910577
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Pressefreiheit in Europa
Schwerpunkt Frankreich
Protest
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Rentenreform
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