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# taz.de -- Urteil gegen Angreifer von Dilan S. in Berlin: Das bisschen Rassism…
> Mehrere Zeugen sprachen von Rassismus beim Angriff auf die 17-jährige
> Dilan S. Der Richterin war das zu unkonkret, sie verurteilte die
> Angreifer dennoch.
Bild: Hofft, dass die Zeit alle Wunden heilt, und will weiter auf Rassismus auf…
Berlin taz | Dilan S. sieht erleichtert aus, als sie nach dem Urteil vor
die Kameras mehrerer Fernsehteams tritt. Die Schülerin lächelt und wirkt
souverän dafür, dass sie gerade als Nebenklägerin einen Prozess hinter sich
gebracht hat. Sie war im Februar 2022 von mehreren Erwachsenen mit Bezügen
zur rechten Szene angegriffen und rassistisch beleidigt worden. Der Fall
hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Nun sagt sie: „Vor dem Vorfall
habe ich mich in Deutschland immer sehr sicher gefühlt. Ich habe mich wohl
gefühlt, mich deutsch gefühlt. Jetzt, nach diesem ganzen Prozess und dem,
was mir passiert ist, muss ich jetzt erst mal mit mir selbst ausmachen: Was
bin ich überhaupt? Bin ich deutsch oder nicht?“
Der Vorfall habe sie verändert, sagt sie. Sie leide noch immer unter den
psychischen Folgen. Und vielleicht würde sie sich das nächste Mal nicht
trauen, sich verbal gegen einen solchen Angriff zu wehren, überlegt S. „Ich
halte erst mal meinen Mund, weil ich weiß: Zivilcourage gibt's hier wohl
nicht, Rassismus wird totgeschwiegen, keiner hilft.“ Und dann kritisiert
sie das Gericht: „Wie man sieht, der Rassismus wird kleingeschwiegen, auch
hier beim Gericht.“ Auch deswegen werde sie ihre Social-Media-Reichweite
künftig nutzen, um auf Fälle wie ihren aufmerksam zu machen. „Es war ja
leider kein Einzelfall“, sagt S.
Zuvor waren vier der sechs Angeklagten verurteilt worden. Jennifer G. und
Cornelia R. erhielten Freiheitsstrafen auf Bewährung zwischen sechs und
acht Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Richterin hielt es
für erwiesen, dass sie Dilan S. getreten, geschlagen und an den Haaren
gezogen haben. Heiko S., ein von Zeugen einhellig als sehr aggressiv
beschriebener großer Glatzkopf, erhielt wegen Beihilfe sechs Monate, er ist
14-fach vorbestraft, unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen
verfassungswidriger Organisationen.
Ein weiterer Angeklagter, Matthias S. erhielt eine Geldstrafe wegen
Bedrohung von 40 Tagessätzen à 55 Euro, er hatte zugegeben, S. sexistisch
beleidigt und Prügel angedroht zu haben. Die übrigen zwei Tatverdächtigen
wurden freigesprochen, weil ihnen keine Tat oder Beleidigung zuzuweisen
war. Zur Urteilsverkündung erschien nur Matthias S., der während des
Prozesses erfolglos versucht hatte, sich selbst zu verteidigen. Bei der
Verkündung des Urteils grinste er.
## Unsensibler Umgang mit Rassismus kritisiert
Eine rassistische Motivation für den Angriff, die vor allem die
Nebenklägerin, aber auch mehrere Zeugen glaubhaft dargestellt hatte,
stellte die Richterin nur in einem Fall fest: Jennifer G., die zugegeben
hatte, S. als „K******vieh“ bezeichnet zu haben. Mehrere Zeugen hatten von
weiteren rassistischen Beleidigungen berichtet, die waren laut Richterin
aber keiner konkreten Person zuzuweisen gewesen.
Die Staatsanwaltschaft hatte Bewährungsstrafen zwischen sieben und elf
Monaten für die drei Haupttäter*innen gefordert und Geldstrafen für die
übrigen. Die Angeklagten hatten in ihren Aussagen zu Beginn der Prozesses
sich selbst als Opfer dargestellt und Freisprüche oder geringfügige Strafen
gefordert. Rechtsmittel gegen das Urteil sind möglich.
Die Richterin kritisierte bei der Urteilsverkündung, dass das große mediale
Interesse dazu geführt hätte, dass Zeugen angelesenes und erlebtes Wissen
durcheinandergebracht hätten. Viele Beobachter*innen hatten davor auf
einer Kundgebung vor dem Gericht ihrerseits die Richterin für den
unsensiblen Umgang mit Rassismus kritisiert.
Die Richterin hatte Dilan S. etwa während der Verhandlung gefragt, ob sie
selbst denn eine Erklärung dafür habe, warum Sie Opfer rassistischer Gewalt
geworden sei. Dilan S. hielt dagegen: „Habe ich nicht. Denn dafür gibt es
keine Erklärung.“ Während des Prozesses wertete die Richterin auch die
Aussage „Geh dorthin, wo du herkommst“ nicht als rassistisch. Bei der
Urteilsverkündung sprach die Richterin dann Dilan S. trotz ihrer mehrfach
bekundeten psychischen Folgen ab, erheblich verletzt zu sein – obwohl sie
mit Prellungen und aufgekratzter Lippe im Krankenhaus lag. Die Richterin
sagte: „Das ist etwas anderes, als mit einem Baseballschläger geschlagen zu
werden.“
Die Linken-Abgeordnete und Volljuristin Elif Eralp, die den Prozess
begleitete, sagte der taz nach dem Urteil: „Die Strafen sind mit Blick auf
die schweren Tatfolgen bei Dilan und die rassistische Motivation zu milde.
Dem Gericht fehlte beim gesamten Prozess leider die Kenntnis darüber, was
Rassismus ist, und auch die Sensibilität für Opfer von rechter Gewalt.“
Eralp forderte für Gerichtsprozesse „Expert*innen, die darstellen, was in
der Rassismusforschung als rassistisch bewertet wird, „damit das in die
gerichtliche Würdigung Eingang findet“.
Immerhin war Dilan S. am Ende zufrieden damit, dass zumindest drei der
Täter*innen Freiheitsstrafen bekamen. Sie müsse nun erst mal alles
sacken lassen und hoffe, dass die psychischen Folgen mit der Zeit geringer
werden, wie sie vor den Kameras sagte: „Die Zeit heilt alle Wunden, und ich
hoffe, dass das auch bei mir bald der Fall sein wird.“
Sehr geholfen habe ihr die Unterstützung von Prozessbegleiter*innen –
unter anderem durch die Initiative „Schaut nicht weg“, die auch am letzten
Prozesstag vor dem Amtsgericht Tiergarten eine Kundgebung abhielt und im
Gericht präsent war.
27 Apr 2023
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Rechtsextremismus
Rechte Gewalt
GNS
Schwerpunkt Rassismus
taz Plan
Kolumne Der rechte Rand
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