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# taz.de -- Die Wahrheit: Spargel wie gemalt
> Freunde des wundersamen Gemüses wissen: Spargel macht glücklich! Wären da
> nicht die müffelnden Begleiterscheinungen nach dem Verzehr.
Es ist wieder so weit. Ein Ruf hallt durch mein Elternhaus: „Kerl, wie datt
rukt!“ Es „ruckt“ aber nicht, sondern es „riecht“. Meine Mutter spric…
Plattdeutsch. Ihr Ausruf begleitet den Einstieg in die Spargelsaison.
„Moak gefällichst datt Fenster up!“, maßregelt sie mich. Sie kommt soeben
von der Toilette. Ich war vorher dort und hatte gepinkelt. Nun roch es nach
Spargel. Obwohl ich ausgiebig gespült hatte. Es lag trotzdem noch etwas in
der Luft.
Spargel selbst riecht natürlich nicht, der Urin riecht nach dem Verzehr.
Der Geruch entsteht durch die im Spargel enthaltene Asparagusinsäure, eine
Schwefelverbindung. Das wirkt nicht bei jedem, aber bei mir umso heftiger.
Bei rund 43 Prozent der Menschen wird sie so zersetzt, dass schwefelhaltige
Abbauprodukte entstehen. Für den typischen Spargelurin ist Carbonsäure
verantwortlich. Wir riechen also „flüchtigen Schwefel“, der dem
Stinktiersekret ähnelt.
Dieser Effekt setzt schon nach Minuten ein. Beim späteren Toilettengang
erinnere ich mich dann immer an den Besuch der italienischen Insel Vulcano,
die in der Antike als Schmiede des Vulcanus, des römischen Gottes des
Feuers, galt und wo es an vielen Stellen riecht wie faule Eier.
Harry Kramer war zwar kein Feuergott, aber Kunstprofessor in Kassel. Er
produzierte 1980 vier „Pinkelbilder“, im Katalog steht „Urin auf Leinwand…
Angeblich nutzte er Rote Bete, um farbig pinkeln zu können.
Bei meiner Mutter riecht nichts. In ihrem Körper laufen offenbar andere
chemische Prozesse ab, obwohl sie meine Mutter ist. Sie scheint
asparagusinsäureimmun zu sein. Ganz anders als wir, meine Freundin und
ich. In unseren Körpern läuft ein Asparagusinsäure-Wettlauf.
Überhaupt ist meine Freundin die absolute Spargelkönigin. Bis Ende Juni
wird es bei ihr nichts anderes mehr geben. Sie wartet auf die Spargelsaison
wie die Grizzlys in Alaska auf die Lachse. Nur kann man sich mit Spargel
kein Winterfett anfuttern. Denn Spargel besteht erstens zu 90 Prozent aus
Wasser und zweitens endet die Spargelsaison „traditionell“ weit vor dem
Winter, am 24. Juni, dem Johannestag. Für meine Freundin ist das
Volkstrauertag. Sie zelebriert die letzte Mahlzeit der Saison mit frischem
Spargel wie andere Leute die Gans zu Weihnachten.
Ein Phänomen ist der jährliche Verlust an Spargelschälern. Was da jedes
Jahr an Schäl-schneidern neu zugekauft wird! Die meisten verschwinden mit
den Schalen in den untergelegten Zeitungsseiten. Und dann müssen wieder
neue her. Dabei gibt es inzwischen eine ähnliche Modellbreite wie in der
Automobilindustrie. Aber ich verwende sie kaum, weil ich am liebsten grünen
Spargel koche. Den muss man nicht schälen.
Meine Freundin ist eine Virtuosin des Schälens, sie käme bei
Schälweltmeisterschaften mindestens bis in die Endrunde. Fürs nächste Essen
plant sie als Beilage einen Rote-Bete-Salat. Der riecht nicht, färbt aber!
Vielleicht bringe ich dann eine Leinwand mit.
20 Apr 2023
## AUTOREN
Bernd Gieseking
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Spargel
Urin
Gemüse
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Osterhase
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