# taz.de -- Die Wahrheit: Katheter-Theater | |
> Wenn Paare streiten: Eines der wahrscheinlichsten häufigsten | |
> Beziehungsprobleme ist der unaufgeräumte Keller. | |
Unfassbar! Sie kannte das Lied nicht. „Wenn ich mal alt bin / die Haare | |
sind futsch / im Jahr 2010 / wirst du dann immer noch bei mir sein? / Uh, | |
das fänd ich schön …“ Original von den Beatles: „When I’m sixty-four�… | |
kennt sonst viel, fast alles und sie kann jeden Schlager von Bill Ramsey | |
auswendig singen, aber diesen Text kannte sie nicht? | |
Wir hatten das bei einer zufälligen Begegnung mit Freunden festgestellt, | |
die noch älter sind als ich. Seit Kurzem hat sie ein Spotify-Abo, und | |
plötzlich läuft dauernd Musik, wo sonst so schön Ruhe war. „Wollen wir uns | |
das Lied von Lindenberg anhören?“, schnurrte sie. Ich kann ziemlich viele | |
Lindenberg-Songs auswendig. Damit bekam sie mich sofort herum. Und dann | |
hörten wir noch Reinhard Meys „Lied auf dem Grund eines Bierglases | |
gelesen“. Der will im plötzlich höchstaktuellen Text nicht mit Charon, dem | |
Fährmann der Toten, mitfahren: „Ich bestell mir ’nen Halben und für Charon | |
’nen Klaren.“ Wir zwei tranken beim Hören Selbstgebrannten von Freunden. | |
Ich wurde rührselig, sonst hätte ich diesen entscheidenden Fehler | |
sicherlich nicht begangen. Ich machte ein Geständnis: „Letzte Woche …“ �… | |
„Ja?“ Ich hatte letzte Woche eine sogenannte Herzkatheter-Untersuchung und | |
hatte am Vorabend Schiss bekommen, ganz untypisch für einen sonst sorglosen | |
Ostwestfalen. Unser Motto bei Krankheiten lautet: „Das ist nix. Das geht | |
wieder weg.“ | |
Diesmal war ich besorgt. Und wenn das schief geht? Ist dann aber nicht. Ich | |
hatte zuvor sogar eine Patientenverfügung beim Notar hinterlegt. Seit | |
Jahren wollte ich das tun, jetzt hatte ich es in wenigen Tagen geschafft | |
und erledigt. So schnell bin ich sonst gar nicht. | |
Nun also mein Geständnis: „Ich hab übrigens morgens vor dem Katheter noch | |
mein Testament geschrieben.“ – „Bitte?“ – „Ich war etwas besorgt.�… | |
was steht drin?“ – „Na ja, der Notar hatte geraten, einen Haupterben | |
einzusetzen, das bist du. Und du sollst dann die Bilder und die Bücher | |
verteilen.“ | |
Sie sah mich kurz an. Dann kippte sie das komplette Glas mit dem | |
Selbstgebrannten und sagte: „Ich werde dein Erbe ausschlagen!“ – „Bitte… | |
Vor ein paar Tagen erst hatte ich schon etwas gestanden. Dazu muss man | |
wissen, wir leben eine Fernbeziehung in zwei Städten. Sie sagte neulich: | |
„Dein Fahrradkeller ist so aufgeräumt.“ Mir rutschte heraus: „Na ja, der | |
Rest ist nebenan.“ Sie stutzte: „Du hast die ganzen Jahre einen zweiten | |
Kellerraum, von dem ich nichts weiß?“ – „Von dem willst du nichts wissen… | |
Nun sagte sie: „Ich werde also nach deinem Tod den zweiten Kellerraum | |
öffnen und mich sofort posthum entlieben. Willst du das?“ Ich goss | |
schweigend nach. Sie kippte erneut einen Selbstgebrannten: „Deine ganzen | |
Bücher, die Bilder, die Kisten – das ist unzumutbar! Entweder du änderst | |
dein Testament, oder du räumst auf! Das meine ich übrigens ernst!“ Ich | |
hoffe, das meint sie nicht wirklich ernst. | |
28 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Bernd Gieseking | |
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