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# taz.de -- Die Wahrheit: Finne dein Handy!
> Wie kann man nur so dämlich sein! Das Telefon in der Bahn liegen lassen!
> Ein atemberaubend dramatischer Bericht einer Lebensrettung.
Der absolute Gau: Mein Handy war weg! Ich Schussel habe es in einer Bahn
beim Aufladen stecken lassen und beim Umstieg vergessen. Wie kann man nur
so dämlich sein!
Doch inzwischen wohnt es wieder bei mir. Es ist zurück nach einer ganzen
Woche, nach sechs Tagen ohne Telefonnummern, ohne Impfnachweise, ohne
Geburtstage, ohne Uhr und Wecker. Zärtlich halte ich es in Händen. Lagere
es weich auf einem Kissen, nähre es mit seiner Nabelschnur und schaue ihm
zu wie einem Neugeborenen. Wenn es doch nur reden könnte. Wo bist du
gewesen? Was hast du erlebt? Was musstest du durchmachen!
Wobei, durchmachen musste ich das alles. Der Moment, als ich beim Umstieg
in Hanau die Treppe vom Gleis herunterstieg und das Blut heiß in mir
aufstieg, weil mir klar wurde: Handy weg! Ich raste sofort ins
Reisezentrum. Nein, den Zug könne man nicht aufhalten. Das sei auch gar
nicht die Deutsche Bahn, sondern die Hessische Landesbahn gewesen, mit
denen könne man nicht so gut. Also wartete ich auf den Zug, bis er
zurückkam, bat fremde Menschen, für mich die Türen zu blockieren, während
ich vergeblich durch den Zug hastete.
Ich rief meine Mutter an, die einzige, von der ich die Telefonnummer
weiterhin auswendig weiß. Sie musste allen relevanten Bekannten Bescheid
sagen, dass ich nicht erreichbar sei. Aber erst erklärte sie mir, was sie
von mir hielt.
Die Liebste hingegen reagierte pragmatisch, ich solle das Gerät doch
„tracken“. Ich wusste nicht, dass es so etwas gibt. Aber sie, die Frau der
Wunder, aktivierte die Zauber-App „Wo ist?“: Mein Handy lebte im Bahnhof
Hanau. Dort, wo ich den Kontakt zu ihm verloren hatte.
Am nächsten Morgen erreichte ich nach sechs Warteschleifen von vier
Verkehrsanbietern den Servicepoint Hanau, das Eingangstor zum Paradies,
bewacht von Herrn M., einem Mann, den ich für weit höhere Aufgaben
vorschlagen möchte. Er versicherte mir, dass ein Handy meiner Marke, meines
Modells, sogar mit einem Glasschaden neben ihm läge. Nein, er könne mir
auch nicht sagen, wie es zu ihm gelangt sei. Eine Freundin aus Hanau holte
es schließlich ab, nachdem es Herr M. mit dem richtigen Passwort entsperren
konnte.
Nun aber begann das eigentliche Warten. Tagelang trackte ich mein geliebtes
Telefon im Briefzentrum Hanau, im Briefzentrum Offenbach, im Briefzentrum
Minden. Die letzten Minuten bis zu unserer Wiedervereinigung wurden beinah
die schlimmsten meines Lebens. „Wo ist?“ zufolge bewegte sich mein Schatz
als ein roter Punkt durch die Straßenkarte meiner ostwestfälischen
Heimatstadt. In einem DHL-Fahrzeug. Es kam voran, bewegte sich und stoppte
erneut. Dann aber fuhr es plötzlich in völlig falsche Straßen, entfernte
sich wieder, verharrte in Sackgassen. Bis es endlich, endlich eintraf.
Ich sank auf die Knie, umarmte das Päckchen, riss es auf und küsste das
Handy mitten auf den Schirm. Ich lebe wieder.
10 Nov 2022
## AUTOREN
Bernd Gieseking
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Handy
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Rettung
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