# taz.de -- Die Wahrheit: Im gar nicht mehr ewigen Eis | |
> Auf einer melancholischen Reise nach Grönland wird das ganze Ausmaß des | |
> Schadens sichtbar: Die Gletscher werden kleiner und verschwinden langsam. | |
Bild: Das Team der HG Seefang hat allen Grund zum Feiern | |
Ich habe einen jährlichen Mindestbedarf an Schnee und Eis. Dieses Jahr aber | |
bin ich schon über dem Soll. Das erste Schneegeriesel derzeit da draußen | |
lässt mich also kalt. In anderen Jahren hätte ich auch für die paar Flocken | |
eine Champagnerflasche geöffnet, aber ich war bereits im April am | |
zugefrorenen finnischen Fluss Kemijoki. Und im September stand ich dann vor | |
wahrhaftigen Eisbergen in Grönland. Bei Ilulissat schaute ich auf den | |
Eisfjord, aus dessen Gletscher sich täglich die Eisberge ins Meer schieben. | |
Vor 25 Jahren stand ich schon einmal am gleichen Platz. Ich hatte damals | |
das Gefühl, als könne ich von den Felsen direkt auf die zerklüftete | |
Eislandschaft hinüberspringen. Die Eisberge ragten 100 bis 120 Meter aus | |
dem Wasser, heute sind es nur noch 50 bis 60 Meter. | |
Wo früher eine undurchdringliche Masse war, blickte ich jetzt an manchen | |
Stellen bis auf die Wasseroberfläche. Ich hatte die alten Fotos dabei und | |
hätte heulen können. Trotzdem war ich wieder völlig fasziniert von der | |
Schönheit des Eises und der kargen Natur. | |
Ein Holzbohlenweg führt jetzt zum Gletscher. Die jahrtausendealten Steine, | |
auf denen ich seinerzeit herumgekraxelt war, um das Auseinanderbrechen des | |
Eises und einen Eisberg beim Kalben zu beobachten, dürfen heute nicht mehr | |
betreten werden. Das Areal wurde inzwischen zum Nationalpark erklärt. | |
## Ein Jahr kalt geduscht | |
Damals dachte ich: Hier steht man nur einmal im Leben. Aber man sieht sich | |
bekanntlich immer zweimal. Dieses Mal wollte ich in Grönland und Labrador | |
kleine Museen besuchen und schließlich in Quebec zwei große Ausstellungen | |
mit Inuit-Kunst. | |
So eine Reise klappt nur mit dem Schiff, ist zwar kaum zu bezahlen, aber | |
nach Corona war es höchste Zeit, um loszufahren. Wir waren auf einem | |
„Explorer“-Schiff, was aber nicht bedeutete, dass wir auf Expedition | |
gewesen wären. Unser Kahn war nur kleiner als andere, und so verkaufte sich | |
das Ganze besser, quasi ein „Greenwashing“ der Kreuzfahrtindustrie. | |
Wir hatten schon ein Jahr lang nur kalt geduscht, um unseren CO2-Ausstoß | |
auf dieser Reise zu kompensieren. An Bord hieß es, man wolle sich | |
umweltfreundlich verhalten. Wir versuchten, auch hier mit Waschlappen | |
unseren Wasserverbrauch zu reduzieren, trotzdem wurden die Handtücher | |
täglich gewechselt. Wir hätten sie verstecken müssen! | |
Die Arktis ist die schönste Landschaft der Welt. Vor Jahren stand ich mal | |
auf einer Eisscholle vor Baffin Island und ein Wal zog vorbei. Dieses Mal | |
sah ich fünf Belugas, weiß und stumm wie Eisberge. Auch wenn das Reisen | |
alles schlimmer macht, man sieht, was gerettet werden muss. | |
Im Gegensatz zu Menschen können Gletscher und Eisschollen nicht mumifiziert | |
werden. Es wird bald nur noch Fotos geben einer wegschmelzenden Zeit. | |
Hoffentlich kommen wenigstens die Belugas gut durch. | |
13 Dec 2022 | |
## AUTOREN | |
Bernd Gieseking | |
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