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# taz.de -- Zukunftstag in Niedersachsen: So wirksam wie schmutzige Socken
> Der Boysday ist schlecht organisiert und weitgehend wirkungslos, glaubt
> die Kolumnistin. Aber die Kultusministerin sieht das natürlich ganz
> anders.
Bild: Boysday Symbolbild: Was bringt Jungs dazu, uncoole und schlecht bezahlte …
Eigentlich würde ich so gern etwas frühlingshaft Leichtfüßiges, Lustiges
oder Melancholisches schreiben, aber ich muss mich schon wieder aufregen.
Das Kultusministerium hat mir eine Pressemitteilung zum Zukunftstag (auch
Girls Day oder Boys Day genannt) geschickt.
Das ist dieses Ding, bei dem Schulkinder ab der 5. Klasse einen halben
Arbeitstag lang durch irgendein Unternehmen oder Institutionen gescheucht
werden. Über den habe ich mich [1][im letzten Jahr ja schon einmal
ausgekotzt], aber ich tue das auch gern jedes Jahr wieder, bis meine Kinder
aus dem Alter raus sind.
Den Scheiß gibt es schon seit 2001, lerne ich aus der Pressemitteilung. 22
Jahre! Und immer noch hat keiner es geschafft, das Ganze vernünftig zu
organisieren. Ich war ganz stolz auf mich, dass ich dieses Jahr schon im
Januar angefangen habe, E-Mails zu schreiben, um einen Platz für den 27.
April zu organisieren.
Leider sind wir trotzdem leer ausgegangen. Alle Institutionen, die
interessant gewesen wären, sind noch damit beschäftigt, ihre Wartelisten
aus den Corona-Jahren abzuarbeiten oder erfordern mehr Vitamin-B als wir
haben.
## Die offizielle Online-Plattform zeigt kaum Angebote
Auf der Seite des Landgerichts Hannovers zum Beispiel prangte monatelang
eine Pressemitteilung mit den entnervten Worten: „Bitte sehen Sie von
weiteren Nachfragen ab, wir veröffentlichen die Informationen rechtzeitig“.
Ich klickte jede Woche mehrmals drauf. Eines Tages wurde die Mitteilung
nahtlos ersetzt mit: Es sind leider schon alle Plätze vergeben.
Auf dem Online-Portal für das auch das niedersächsische Kultusministerium
wirbt – und bei dem ich davon ausgehe, dass in seine Erstellung einiges an
Steuergeld geflossen ist – finden sich in unserer Umgebung genau zwei
Angebote: Eines von der Stadtverwaltung, bei der sie schon einmal waren,
und eines von einem Altenheim, in das sie auf keinen Fall wollen.
Kein Wunder: Im März verkündete dieses Portal stolz, man habe nun schon
fast 120.000 Plätze eingestellt! Bundesweit, wohl gemerkt. Zu blöd, das
allein in Niedersachsen mindestens 350.000 Schüler*innen zur Teilnahme
aufgerufen sind.
Trotzdem scheint Kultusministerin Julia Hamburg unverbrüchlich an den
Erfolg dieses beknackten Rituals zu glauben: Der Zukunftstag wirkt, heißt
es in ihrer Pressemitteilung.
Belegt wird das mit einer Studie, die sagt: „Der Anteil der
Boys'Day-Teilnehmer, die sich sehr gut vorstellen können, in Gesundheits-
und Pflegeberufen zu arbeiten, steigt danach von 16 auf 22 Prozent.“
## Natürlich hängt es mal wieder am Elternhaus
Hallelujah! Eine Handvoll 11- bis 15-Jähriger, die in einer Befragung
achselzuckend sagen: „Na ja, okay, vielleicht kann ich mir sowas doch
vorstellen.“ Offenbar legt die Kultusministerin hier einen ähnlichen
Wirkungsgrad zugrunde wie meine Jungs beim Aufräumen: Drei schmutzige
Socken aufgehoben = fertig. Super wirkungsvoll, das alles.
Womit ich nicht sagen möchte, dass ich das Anliegen nicht wichtig fände. Im
Gegenteil: Ich glaube, es gehört zu den wichtigsten Aufgaben von Schule,
Kindern zu helfen, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wer sie sind und
wer sie sein könnten oder möchten – und zwar aufgrund ihrer Persönlichkeit,
unabhängig von Klischees und Rollenvorstellungen.
Ich zweifele nur daran, dass der Zukunftstag irgendetwas dazu beiträgt. Vor
allem, wenn man ein Großteil der Organisation den Eltern (seien wir
ehrlich: Müttern) überlässt und damit mal wieder diejenigen abhängt, deren
Familien nicht so gut darin sind. Und die auch nicht so viele Bekannte und
Verwandte mit interessanten Berufen haben, bei denen sie um Gefallen bitten
könnten.
Und was die Begeisterung für soziale, erzieherische oder pflegende Berufe
angeht: Das Problem der sogenannten Frauenberufe ist nicht, dass Jungs die
nicht kennen oder sich nicht zutrauen. Sondern, dass sie als uncool gelten
und schlecht bezahlt werden. Daran ändert ein Schnuppertag gar nix.
23 Apr 2023
## LINKS
[1] /Der-Boys-Day-bringt-auch-nichts/!5844580
## AUTOREN
Nadine Conti
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