Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Elternaufstand gegen Kinderheim: „Nicht auszuhalten“
> Eine Elterngruppe kritisiert das Kinder- und Jugendhaus St. Josef in Bad
> Oldesloe auf einer Website. Die Einrichtung weist die Vorwürfe zurück.
Bild: Würde man heute nicht mehr so bauen: das 120 Jahre alte Kinder- und Juge…
Hamburg taz | Hinter dicken roten Backsteinwänden befindet sich das Kinder-
und Jugendhaus St. Josef in Bad Oldesloe. Es ist mit rund 95 Betreuten auf
dem Gelände eines der größten Heime Schleswig-Holsteins. Seit einigen
Wochen erheben Eltern auf Facebook anonym Vorwürfe, über die das Stormarner
Tageblatt [1][zuerst berichtete]. Die Leitung des zum Erzbistum Hamburg
gehörenden Heims wehrt sich und sieht den Ruf in Gefahr.
Eine Besonderheit am „St. Josef“ ist, dass es neben regulären Wohngruppen
auch zwei flexible Gruppen für Inobhutnahmen hat. Dort kommen Kinder erst
mal hin, die das Jugendamt aus ihren Familien genommen hat oder die von
sich aus um Aufnahme bitten.
Die Gruppe „[2][Eltern Erfahrungsaustausch St. Josef Bad Oldesloe]“
kritisiert zum einen, dass ihre jugendlichen Kinder im Haus St. Josef
häufig wegliefen. Es sorgt sie, dass in Bad Oldesloe bei einem Parkhaus und
in der Fußgängerzone Jugendliche sitzen und Drogen konsumierten.
Die taz sprach mit sechs Eltern, die Hälfte von früheren Bewohnern. Sie
beschreiben einen schlechten Einfluss, unter den ihre Kinder gerieten, dass
sie zu sehr sich selbst überlassen seien. „Als meine Tochter noch bei mir
lebte, ging sie jeden Tag zur Schule“, berichtet die Mutter einer jungen
Frau, die bis 2018 dort war. Ihre Tochter sei früher eine gute Schülerin
gewesen. Nachdem sie mit 15 ins Heim gekommen sei, habe sie die Schule ohne
Abschluss verlassen.
Eltern würden „zu spät über Vorfälle informiert“, lautet eine weitere
Kritik auf der Liste. Sie würden von den Erziehern nicht eingebunden und
der Kontakt zu ihren Kindern werde verhindert. Die Kinder seien
verängstigt, ihre Handys würden kontrolliert und sie dürften nicht darüber
reden, was in ihrer Gruppe vor sich gehe.
Heimleiterin Brigitte Brauer und der pädagogische Leiter Stefan Götting
luden am 14. März interessierte Presse zu sich ins Heim. In der Aula im
Souterrain zeigten sie einen Film über den Heimalltag, gedreht von zwei
Studentinnen. Zu sehen sind zufriedene Kinder, hübsche Innenräume und
engagierte Betreuer.
Das Heim wehrt sich gegen die Vorwürfe: Auf Facebook würden Behauptungen
aufgestellt, die „so nicht den Tatsachen“ entsprächen, heißt es in einer
auf der Pressekonferenz verteilten [3][Stellungnahme]. Die Handynutzung
etwa sei in einem gemeinsam mit den Jugendlichen entwickelten
„Handyvertrag“ geregelt. Die Handys würden nur unter Einbeziehung der
Sorgeberechtigten kontrolliert, wenn dies im Einzelfall bei internetfähigen
Geräten nötig scheine.
Das Recht der Kinder auf Umgang mit ihren Eltern werde generell „unbedingt
unterstützt“. Anders verhalte es sich, wenn Kinder zum Schutz vor den
Eltern im St. Josef untergebracht seien. „Das Recht auf Umgang liegt beim
Kind“, schreibt das Heim. Wolle oder dürfe ein Kind seine Eltern nicht
sehen, werde das von den Pädagogen „so umgesetzt“.
Es gebe auch „Autonomiekonflikte“, bei denen Eltern ihre Kinder
„kleinhalten“ und ein Kind keinen Kontakt zur Mutter wolle, erläutert
Stefan Götting im Gespräch. Dass Eltern, die kein Sorgerecht mehr haben,
sich ausgeschlossen fühlen, könne passieren, schreibt das Heim. Das Wohl
der Kinder werde regelmäßig von den Behörden überprüft.
Auch dass die Jugendlichen wegliefen, komme immer wieder vor, da das St.
Josef keine geschlossene Einrichtung sei. Das hänge meistens mit der
Abenteuerlust der Bewohner zusammen. Die Heimbewohner träfen sich auch mit
anderen jungen Menschen aus Bad Oldesloe an Orten wie besagtem Parkhaus.
Anwohner hätten sich dort im letzten Jahr zwar über Lärm beschwert. Doch
Drogenkonsum sei da kein Thema gewesen. Es sei wichtig, dass junge Menschen
eine gesunde Haltung zu Drogen und anderen gefährlichen Substanzen
entwickeln. „Wir halten es aber für falsch, einen jungen Menschen zu
entlassen, nur weil er Drogen nimmt“, sagt Götting.
Die Berichte des Stormarner Tageblatt und der Lübecker Nachrichten über die
Pressekonferenz provozierten [4][Widerspruch] bei der Elterngruppe. Es
meldeten sich nun weitere Betroffene, die ihre Erfahrungen schildern
wollten. Eine Mutter schreibt, es werde in dem Heim alles darangesetzt,
dass man sein Kind nicht wieder bekommt. Eine Betreuerin habe ihrem Sohn
gesagt, „wenn du so weitermachst, kommst du gar nicht mehr zu deiner
Mutter“. Sie solle ihrem Kind sagen, dass das Heim auch sein Zuhause sei,
„obwohl er dort einfach nur rauswill und oft weint“. Auch diese Eltern
wollen anonym bleiben aus Angst vor Konsequenzen. Inzwischen erschien auf
ihrer Facebookseite eine Warnung, sie könnte gesperrt werden, wenn sie
gegen Standards verstoße.
Eine junge Frau, die 2021 im St. Josef war, sagt: „Viele Kinder sind
abgehauen, weil sie es nicht ausgehalten haben.“ Die Betreuer redeten in
„hartem Ton“. Wäre sie dort nur etwas zu spät zum Mittagessen gekommen,
hätte sie bis zum Abend nichts bekommen. Zudem seien die Kühlschränke
abends abgeschlossen. Einmal sei eine Bewohnerin im Zimmer eingeschlossen
gewesen. Da habe sie bei den Betreuern durchgesetzt, dass sie wieder
rauskam.
„Die Portionen sind zu klein“, sagt eine weitere Mutter. Die Kinder würden
nicht satt. Auch ihr Kind habe kein Mittagessen bekommen, weil es von der
Schule etwa zehn Minuten zu spät kam. Zudem habe ihr Kind nachmittags
„Zimmerarrest“ bekommen mit von außen abgeschlossener Tür.
## Heimaufsicht: keine Hinweise auf Kindeswohlgefährdung
Das wäre unzulässig. Die taz fragte im St. Josef-Heim nach und nannte auch
den Monat März und den Namen der Gruppe, in der das passiert sein soll. „Es
gibt keinen Zimmerarrest, da dies keine zulässige Erziehungsmethode
darstellt“, antwortet Heimleiterin Brauer. Der Verdacht entwürdigender
Erziehungsmethoden habe sich „nach Gesprächen mit den betroffenen Kindern
nicht bestätigt“. Auf die Frage, ob sie ausschließen könne, dass dies im
März in jener Gruppe passiert sei, antwortet Brauer: „Das kann ich
ausschließen.“
Auch dass Kinder, die zu spät zum Mittagessen kommen, nichts bekämen,
treffe nicht zu, versichert die Leiterin. Es gebe drei feste Mahlzeiten am
Tag, und Bewohner, die daran nicht teilnehmen, bekämen „trotzdem zu essen“,
sagt die Leiterin. Es gebe frei zugängliche Lebensmittel in den Gruppen.
„Vorräte sind abgeschlossen.“
Auch die Heimaufsicht hat sich St. Josef am 17. März angesehen. Sie sei zu
dem Schluss gekommen, dass es „keine Hinweise auf Kindeswohlgefährdung
gibt“, sagte Sozialministeriumssprecher Patrick Tiede letzten Donnerstag,
als die taz nach dem Einschluss fragte. Am Freitag erhielt die taz die
Daten, an denen es im März zum Zimmereinschluss gekommen sein soll.
Darunter war auch der 17. März, an dem die Heimaufsicht vor Ort war und
drei der elf Wohngruppen besuchte. Ob die Aufsicht auch in jener Gruppe
war, auf die sich der Hinweis bezog, blieb bis Redaktionsschluss offen.
Tiede sagte, man nehme wegen dieses Vorwurfs nochmal Kontakt mit dem Träger
auf.
## Gebäude aus alter Zeit
Von Sorgen um ihre Tochter erzählte der taz auch die Mutter einer
17-Jährigen, die mehrfach aus dem St. Josef weglief und vor einer Woche in
Berlin in Obhut genommen wurde. Der Berliner Notdienst Kinderschutz
informierte die Frau und schrieb, es lägen Anhaltspunkte für „eine mögliche
Kindeswohlgefährdung in der derzeitigen Einrichtung vor“. Doch dieser Brief
war weder der Heimaufsicht noch dem Jugendamt vor Ort bekannt. Und das
Mädchen ist wieder zurück.
Unstrittig ist, dass das vor 120 Jahren erbaute Heim recht groß ist. Von
der Bauweise ähnelt es dem „Kinder- und Jugendnotdienst“ in der Hamburger
Feuerbergstraße mit über 100 Plätzen für die Aufnahme in Krisen. Dort
[5][regten Forscher unlängst an,] dieses Angebot zu dezentralisieren.
Gefragt, ob das St. Josef nicht zu groß sei, sagte die Heimleitung, die
Größe habe auch Vorteile, man sei flexibler und „aushaltefähiger“, und d…
Mitarbeiter nachts nicht allein. Gleichwohl würde man heute so eine
Einrichtung nicht mehr bauen.
27 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.shz.de/lokales/bad-oldesloe-reinfeld/artikel/bad-oldesloe-harte…
[2] https://www.facebook.com/profile.php?id=100089322982501
[3] https://haus-st-josef.de/stellungnahme-zu-aktuellen-vorwuerfen-in-sozialen-…
[4] https://www.shz.de/lokales/bad-oldesloe-reinfeld/artikel/vorwuerfe-gegen-ki…
[5] /Hamburger-Kinder--und-Jugendnotdienst/!5773055
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Kinderheim
Schleswig-Holstein
Heimerziehung
Jugendhilfe
Jugendamt
Heimkinder
Jugendamt
Jugendliche
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hamburgs Jugendämter sind überlastet: „Eine Art Triage“
Hamburgs Allgemeine Soziale Dienste (ASD) senken Standards ab, weil sie zu
viel zu tun haben. Hilfeplangespräche gibt es nur noch einmal im Jahr.
Streit um Bildung für Heimkinder: Der lange Weg zur Schulpflicht
In Schleswig-Holstein drückt sich die Regierung darum, eine Schulpflicht
für Heimkinder von außerhalb einzuführen. Neuer Erlass entpuppt sich als
alt.
Probleme in Hamburger Feuerbergstraße: Notruf aus dem Kindernotdienst
Mitarbeitende des Kinder- und Jugendnotdienstes in Hamburg beklagen
Überlastung und Überfüllung. Kinder würden in einer Turnhalle
untergebracht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.