| # taz.de -- Personalwechsel am Verfassungsgericht: Karlsruher Klimarichterin ge… | |
| > Aus der Feder von Verfassungsrichterin Gabriele Britz stammt das | |
| > Staatsziel Klimaschutz. Nun verlässt sie das Verfassungsgericht. | |
| Bild: 2010 wurde die parteilose Gießener Rechtsprofessorin Gabriele Britz zur … | |
| Karlsruhe taz | Gabriele Britz, die juristische Mutter des legendären | |
| Karlsruher Klimabeschlusses von 2021, wird bald das | |
| Bundesverfassungsgericht verlassen. Am Freitag wurde im Bundesrat mit | |
| Miriam Meßling die Richterin gewählt, die sie ersetzt. Doch die | |
| Zuständigkeit für den Klimaschutz wird ein anderer Richter übernehmen: | |
| Martin Eifert. | |
| Breiter bekannt wurde Britz im Frühjahr 2021. [1][Damals erklärte das | |
| Bundesverfassungsgericht den Klimaschutz] zum Staatsziel und verlangte | |
| grundsätzlich eine Orientierung der deutschen Klimamaßnahmen am | |
| verbleibenden nationalen CO2-Budget. | |
| Federführende Richterin am Ersten Senat des Verfassungsgerichts war | |
| Gabriele Britz. Sicher war es kein lang gehegter Plan, als | |
| Verfassungsrichterin das Klima zu retten, doch ihre Geschichte lässt sich | |
| in fünf Etappen relativ stringent so beschreiben. | |
| 1. Etappe 2010: Die parteilose Gießener Rechtsprofessorin Gabriele Britz | |
| wird auf Vorschlag der SPD zur Verfassungsrichterin gewählt. Damals war sie | |
| nur einem Fachpublikum bekannt. Sie galt aber als juristische | |
| Überfliegerin. Schon mit 32 war sie Rechtsprofessorin, mit 42 die jüngste | |
| Frau, die je Verfassungsrichterin wurde. Das Umweltrecht und vor allem das | |
| Energieverwaltungsrecht gehörten schon damals zu ihren | |
| Forschungsschwerpunkten. Bereits 2004 schrieb Britz ihren ersten | |
| Fachaufsatz zu „Klima- und Ressourcenschutzpolitik“. Auch privat | |
| interessierte sich Britz für einen Umweltpolitiker. Ihr Ehemann, Bastian | |
| Bergerhoff, war Kreisvorsitzender der Frankfurter Grünen und ist heute | |
| Finanzbürgermeister (Kämmerer) der Stadt. | |
| 2. Etappe 2017: Erst nach einigen Jahren wird Britz in Karlsruhe auch für | |
| das Umweltrecht zuständig. Zunächst ist das Familienrecht ihr Schwerpunkt. | |
| Der spektakulärste Beschluss in ihrer ersten Karlsruher Phase ist die | |
| Einführung einer dritten Geschlechtsoption für intersexuelle Personen. | |
| Dagegen liegt das Öffentliche Umweltrecht zunächst noch beim konservativen | |
| Richter Michael Eichberger. Doch als dieser in den Ruhestand geht, greift | |
| Britz zu und tauscht das Familien- gegen das Umweltrecht. Erst durch dieses | |
| beherzte Manöver wurde Britz zur federführenden Richterin bei den | |
| Karlsruher Klimaklagen. | |
| 3. Etappe 2021: Der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts war eine | |
| echte Sensation. Eigentlich rechneten alle Beobachter:innen damit, | |
| dass die Klagen unzulässig sind. Denn noch betraf der Klimawandel in | |
| Deutschland niemand „gegenwärtig und unmittelbar“ in seinen Grundrechten �… | |
| was für eine zulässige Klage eigentlich erforderlich gewesen wäre. | |
| Doch der Senat von Richterin Britz konstruierte mit einem innovativen | |
| Manöver trotzdem eine Klagebefugnis: Da in Zukunft massive | |
| Freiheitseinschränkungen durch den Staat drohen, wenn nicht rechtzeitig | |
| umgesteuert wird, seien die Freiheitsgrundrechte jetzt schon „unmittelbar | |
| und gegenwärtig“ gefährdet. Dabei wurde der Gesetzgeber verpflichtet, | |
| Klimaneutralität ebenso anzustreben wie eine Begrenzung der Erderwärung | |
| deutlich unter 2 Grad Celsius. Die direkten Anforderungen an den | |
| Gesetzgeber blieben aber relativ zahm. Der Bundestag musste nur zusätzliche | |
| Reduktionsziele ab 2030 benennen, damit sich Bürger:innen und | |
| Unternehmen frühzeitig darauf einstellen können. Dieser Pflicht kam der | |
| Bundestag wenige Wochen später nach und ergänzte das Klimaschutzgesetz. | |
| Verschärfungen vor 2030 forderten das Bundesverfassungsgericht nicht. Der | |
| Karlsruher Beschluss war ein Weckruf an die Politik, das Verfassungsgericht | |
| wollte aber nicht die volle Verantwortung übernehmen. | |
| 4. Etappe 2022: Nach dem Paukenschlag des Klimabeschlusses, den weite Teile | |
| der Gesellschaft für radikaler hielten, als er im Ergebnis war, setzte das | |
| Bundesverfassungsgericht nun wieder auf richterliche Zurückhaltung und | |
| erklärte mehrere Klimaklagen für unzulässig, einmal sogar ohne jede | |
| Begründung. | |
| In einem Beschluss von Anfang Januar 2023, als zwei Bürger:innen die | |
| sofortige Einführung eines Tempolimits forderten, erläuterte Karlsruhe den | |
| Gestaltungspielraum des Gesetzgebers. Ein Tempolimit sei nicht die einzige | |
| infrage kommende Maßnahme zum Klimaschutz, ja es sei nicht einmal zwingend, | |
| dass der Verkehrssektor die eingeforderten CO2-Ersparungen erbringen müsse, | |
| wenn sich dies auch in anderen Sektoren realisieren lasse. Diese | |
| Zurückhaltung entspricht der Grundüberzeugung von Britz, dass sich das | |
| Bundesverfassunsgericht nur in seltenen Ausnahmefällen in die Gesetzgebung | |
| einmischen sollte. | |
| Aber Karlsruhe mahnte auch, dass sich das Gewicht des Klimaschutzes mit | |
| zunehmender Erderwärmung relativ immer weiter erhöhe. Es wird also spannend | |
| sein zu sehen, [2][wie das Gericht in einigen Jahren auf die vermutlich | |
| weiterhin zögerliche Politik reagieren wird]. | |
| 5. Etappe 2023: Diese künftigen Auseinandersetzungen werden allerdings ohne | |
| Richterin Gabriele Britz stattfinden, deren Amtszeit am 1. 2. 2023 endete | |
| und deren Nachfolgerin Miriam Meßling am vorigen Freitag mit einigen Wochen | |
| Verspätung gewählt wurde. Sobald der Bundespräsident Zeit findet, Britz die | |
| Entlassungsurkunde zu überreichen, ist sie nicht mehr im Dienst. | |
| Immerhin sorgte Britz noch dafür, dass in Karlsruhe ihre Linie tendenziell | |
| weiterverfolgt wird. In einer neuen Rochade der Zuständigkeiten wird am | |
| Ersten Senat nämlich nicht ihre von der SPD nominierte persönliche | |
| Nachfolgerin Miriam Meßling, zuletzt Vizepräsidentin des | |
| Bundessozialgerichts, für das Umweltrecht zuständig sein, sondern der von | |
| den Grünen vorgeschlagene parteilose Berliner Rechtsprofessor Martin | |
| Eifert. Britz kennt Eifert schon lange. Beide waren einst zeitgleich | |
| Professor:innen an der Uni Gießen und hatten damals sogar ein | |
| gemeinsames Buch über Energieeffizienz herausgegeben. Nicht zuletzt von | |
| Martin Eifert wird es also in den kommenden Jahren abhängen, wie sich das | |
| Bundesverfassungsgericht positioniert, wenn die Umweltverbände immer wieder | |
| austesten, ob Karlsruhe beim Klimaschutz nun wirklich Druck machen will. | |
| 3 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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