| # taz.de -- Fantastische Reise mit Lap-See Lam: Aus den Untiefen der Meere | |
| > Zwischen Shanghai und Stockholm bewegt sich die digitale | |
| > Unterwasserreise, zu der Lap-See Lam im Frankfurter Kunsthaus Portikus | |
| > einlädt. | |
| Bild: Erscheinungen im volldigitalen Schattenspiel von Lap-See Lams „Tales of… | |
| Irgendwann in den 1990er Jahren machte sich ein Restaurantboot aus Shanghai | |
| auf den weiten Weg nach Europa, um dort vor Anker zu gehen. Man könnte | |
| dabei an den „Sea Palace“ denken, das schwimmende, pagodenartige | |
| XXL-Restaurant im Hafen von Amsterdam, das mittlerweile zum Stadtbild | |
| gehört. Auch das besagte Restaurantboot aus Shanghai soll den Namen „Sea | |
| Palace“ getragen haben, nur war ihm offenbar weniger Geschäftsglück | |
| beschert. | |
| Einige Jahre lang hatte das Schiff mit dem Drachen an seinem Bug in einem | |
| Göteborger Fluss Restaurantgäste an Bord empfangen, dann wurde es | |
| geschlossen. Seit 2018 steht es wieder in Stockholm, allerdings an Land: | |
| Der Vergnügungspark Gröna Lund hat das Drachenboot gekauft und ein | |
| Geisterhaus draus gemacht. „Es ist“, sagte stolz die Pressesprecherin des | |
| Parks, „das gruseligste Horrorhaus, das wir haben.“ | |
| In Stockholm spürte es die junge Künstlerin Lap-See Lam auf und machte es | |
| zum Teil einer immersiven Videoarbeit, die jetzt im [1][Frankfurter | |
| Portikus Premiere] feiert. Lam wurde 1990 in Stockholm geboren, wo sie bis | |
| 2020 am Royal Institute of Art studierte. Auf internationalen Ausstellungen | |
| sind ihre digitalen und skulpturalen Arbeiten sowie Videofilme schon seit | |
| einigen Jahren zu sehen. Lap-See Lam beschäftigt sich in ihren sinnlich | |
| erfahrbaren Arbeiten mit asiatischen Migrationsgeschichten. | |
| ## Raumgewordene Alltagskultur | |
| In den 2010er Jahren gingen etliche chinesische Restaurants in Schweden | |
| insolvent, auch das ihrer Eltern. Da begann die Künstlerin, möglichst viele | |
| mit einem 3-D-Scan aufzunehmen. Die dabei entstandenen, oft fehlerhaften | |
| Reproduktionen sind Dokumentation einer raumgewordenen Alltagskultur, deren | |
| Verschwinden gerade begonnen hatte. Und sie sind künstlerisches Material, | |
| das in Lap-See Lams Arbeit einfließt, wie nun in diese phantomartige | |
| Videoprojektion in Frankfurt. | |
| Lap-See Lams erste Einzelausstellung in Deutschland bietet nun eine | |
| unverhoffte Begegnung mit dem „Sea Palace“. Die leuchtende Silhouette des | |
| Restaurantboots und jetzigen Geisterhauses begegnet seinem Publikum hier | |
| als versunkenes Schiff auf dem Meeresgrund. Der Ausstellungsort Portikus, | |
| der nur über eine Brücke erreichbar ist, die vom Ufer auf die Maininsel | |
| führt, trägt seinerseits zum Gesamterlebnis bei. | |
| Über eine giftgrüne Schleuse geht es in den stockfinsteren | |
| Ausstellungsraum. Es riecht nach frischem Teppichbelag. Zur | |
| 8-Kanal-Videoinstallation gehört ein nagelneuer Boden, auf dem man ohne | |
| Straßenschuhe herumlaufen oder sich setzen kann. In solch | |
| gemütlich-gespenstischer Atmosphäre fächert Lap-See Lam nun ihre | |
| zwanzigminütigen „Tales of the Altersea“ auf: Schatten und Silhouetten | |
| huschen über die Wände, Boden und Decke des Portikus. | |
| Farbwolken in fluoreszierendem Grün, dazu ein eigens komponierter | |
| Soundtrack, der gut auch einen Film begleiten könnte. Erzählt wird die lose | |
| assoziative Geschichte zweier Schwestern, die auf eine Europakarte | |
| zuschwimmen und dabei unter anderem dem Wrack des schwimmenden Restaurants, | |
| einem bösen Geist namens Hunger, dem Fisch-Mensch-Hybriden Lo Ting und | |
| weiteren Charakteren der kantonesischen Mythologie begegnen. | |
| ## Mehr, als man sehen kann | |
| So bequem wie hier hat man es wahrlich selten in einer Ausstellungshalle. | |
| Doch mehrmaliges Verrücken der eigenen Sehposition gehört dazu. | |
| Unumstößlicher Kern dieser Arbeit ist schließlich, dass sie ein Mensch nie | |
| allein wird vollständig sehen können. Das mag in geringerem Maße auf manche | |
| Kunstwerke zutreffen, aber Lap-See Lam hat die räumliche Uneinnehmbarkeit | |
| ihren „Tales of the Altersea“ als Setting gesetzt. | |
| Es ist zugleich ein 360-Grad-Theater, in dem es immer irgendwo etwas zu | |
| sehen oder zu hören gibt – und doch nicht ganz, denn die Handelnden sind | |
| durchaus an einem jeweils festgelegten Ort zu sehen, nur kann der eben | |
| jederzeit wechseln. | |
| Es gilt also, den Schatten und Schemen hinterherzujagen, die Lams | |
| Projektion in den Raum wirft – sich nach ihnen umzudrehen, sich ihnen | |
| entgegenzurecken oder sie leibhaftig zu verfolgen. Kaum hat man sie | |
| erwischt, kann einem die schaurige Legende der Tiefsee zwischen Asien und | |
| Europa schon wieder entgleiten. Diese Offenheit von jeglicher didaktischer | |
| Eindeutigkeit macht Lap-See Lams volldigitale Laterna magica-Erzählung | |
| natürlich gerade aus. Gut denkbar, dass ihre illuminierte Legende aus den | |
| Untiefen der Meere ihre versunkenen Orte und Protagonisten ins Sichtbare | |
| zurückbefördert. | |
| 4 Apr 2023 | |
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| [1] /Ausstellung-in-Frankfurt/!5860917 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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