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# taz.de -- Theaterstück „Portrait Désir“ aus Kongo: Gott ist im Kongo ge…
> Das Stück „Portrait Désir“ von Regisseur Dieudonné Niangouna hatte am
> Frankfurter Mousonturm deutsche Premiere. Eine Nacht voller Geschichten.
Bild: Kultur wird im Theaterstück „Portrait Désir“ von Frau zu Frau weite…
Welcher Rasse gehört Gott an? Welche Hautfarbe hat er? Und ist er überhaupt
ein Mann oder nicht vielmehr: eine Göttin? Ein weißer katholischer
Geistlicher in brauner Soutane und eine schwarze Frau im schlichten, langen
Kleid liefern sich auf der Bühne ein veritables Wortgefecht.
Der [1][Autor und Regisseur Dieudonné Niangouna] hat mit „Portrait Désir“
einen weiteren Abend großer Theatermagie geschaffen. Im November 2022 in
Bobigny uraufgeführt, zeigte das Künstler*innenhaus Mousonturm in
Frankfurt ihn nun als Deutschlandpremiere.
Seit 2014 ist Niangouna mit dem Haus verbunden, ein sprach- und
bildgewaltiger Erzähler, der im Kongo geboren wurde, wo er mit seinem
Bruder Criss 1997 die Compagnie Les Bruits de la Rue gründete, um sich mit
der Gewalt und Wut auf den Straßen der Republik Kongo, mit Bürgerkrieg und
Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen.
Heute lebt Niangouna in Brazzaville und Paris, in Frankreich gilt er als
einer der wichtigsten Gegenwartsautoren. In seinen schwer übersetzbaren
Texten verbindet er französische Hochsprache mit Slang, mit traditionellen
Mythen seines Volkes, der Lari, und eigenen Worterfindungen.
In seinem Solo „Le Kung Fu“ erzählte er einst, wie die Kung- Fu-Filme, die
er mit seinem Vater schaute, ihn zum Theater, zur Kunst gebracht hätten.
Doch auch seine Großmutter Bakouka Louise hat sein Theater beeinflusst. So
blättert er ein neues, prägendes Kapitel seines Lebens auf und erzählt die
Geschichte seiner Großmutter, einer Heilerin und Geschichtenerzählerin die,
wie Niangouna eingangs sagt, stets von 20 Uhr bis 6 Uhr endlose Rätsel,
Geschichten und Fragen für ihr Publikum hatte.
## Kolonisierung und europäische Mythologie
Eine solche Nacht voller Geschichten ist auch „Portrait Désir“: Es verwebt
[2][Biografien historischer Frauenfiguren] Westafrikas und den Widerstand
gegen Kolonisierung und Sklavenhandel mit europäischer Mythologie und fragt
nach der Rolle der Frau in der Geschichte.
Die Kindsmörderin Medea und die Seherin Kassandra treffen auf die
westafrikanischen Königinnen Pokou und Nzinga und eben auch auf die
Prophetin Kimpa Vita, die in einer fulminanten Szene den Kapuziner (Mathieu
Montanier) umtanzt, als wolle sie einen Exorzismus an ihm vornehmen,
während sie (Dariétou Keita) ihm klarzumachen sucht, wie anmaßend es sei,
dem Kongo einen weißen, fremden Gott vorsetzen zu wollen: Gott sei vielmehr
im Kongo geboren, und sie sei eine Frau!
Kultur wird, heißt es im Stück einmal, von Frau zu Frau weitergegeben. Und
so reflektiert „Portrait Désir“ anschaulich die Weitergabe von Wissen und
von Lebensperspektive über Generationen hinweg, erzählt aber auch von den
Brüchen, die Kolonialisierung und Moderne mit sich brachten.
## Kulturelle Konflikte als Machtkämpfe
In einem überwältigenden Solo erzählt Marie Charlotte Biais erneut die
Geschichte der Medea, schildert Flucht und Brudermord so, als seien sie
noch nie erzählt worden. Wer seine Kinder tötet wie Medea, so klingt es
hier an, vernichtet seine Zukunft. Wer die Weitergabe von Traditionen
verweigert, kann zwar rascher gen Zukunft aufbrechen, lässt jedoch das
Wissen der Vorfahren sterben.
Dabei ist Niangouna kein Traditionalist, der allein zurück will zu den
Wurzeln. Vielmehr verquickt er kundig historische Stränge und
Mythologisches sinnstiftend miteinander und erzählt kulturelle Konflikte
vor allem als Machtkämpfe.
Die sechs so unterschiedlichen wie beeindruckenden Performer*innen
wickeln nicht nur historische Personen, Situationen und Mythen aus dem
Heute auf, sie begeben sich zudem oft auf die Metaebene.
So streiten sie etwa darüber, ob der „Ananas-Exotismus“ der vorangegangenen
Szene interessant und zeitgemäß sei, sie werfen einander Eurozentrismus
oder „Afrikanismus bis zum Überdruss“ vor, bezichtigen sich gegenseitig des
Öko-Feminismus oder des Chauvinismus und geben so den unterschiedlichen
Perspektiven der Spieler*innen Raum. Denn, wie es einmal heißt: „Die
Zeit hasst das Absolute.“
Und auch wenn an diesem dicht gewebten, pausenlosen vierstündigen Abend
(das Publikum kann nach eigenem Wunsch kommen und gehen) so manches in der
Verweisdichte und schieren Wortgewalt an einem vorüberrauscht: „Portrait
Désir“ ist ein hinreißender Theaterabend, der eine Lust am Zuhören
entfesselt, die so groß ist wie seine eigene Lust am Erzählen, der die
Komplexität der Gegenwart verblüffend prägnant auf den Punkt bringt und der
kongenial und leichter Hand, Kontinente und Jahrhunderte überschreitend,
Geschichte und Geschichten miteinander verbindet.
Er hätte getrost bis zum Morgengrauen dauern können.
26 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Esther Boldt
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