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# taz.de -- Arte-Fernsehfilm „Das bleibt unter uns“: Tot ist billiger
> Eine illegal beschäftigte Reinigungskraft hat in „Das bleibt unter uns“
> einen schweren Unfall. Doch ihre bürgerlichen Auftraggeber denken nur ans
> Geld.
Bild: Plötzlich allein unter Reichen
Eine Berliner Bilderbuchfamilie: Früher war er noch als [1][Aktivist und
auf Demos unterwegs]. Doch inzwischen setzt der Familienvater (Hanno
Koffler) sein Engagement in einer Firma fort, die ihren Gewinn mit der
Vermarktung von regenerativen Energieprojekten erwirtschaftet. Genug Gewinn
für ein großzügiges Townhouse mit noch großzügigerem Puppenhaus für die
zwei Töchter.
Die Mutter (Anna Unterberger) holt gerade [2][ihren Master an der Uni
nach]. Das bisschen Haushalt sorgt dadurch für ein bisschen zu viel Stress.
Und der Mann hat auch noch Geburtstag. Bei der Gelegenheit will er die
Eingeladenen mit einer gönnerhaften Ansprache auf seinen bevorstehenden
Einstieg in die Politik einstimmen. Den Auftritt würde er gerne maximal
lässig absolvieren, so à la [3][Robert Habeck], den weißen Hemdkragen
offen, dazu das Lieblingssakko – und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Beim Blick auf das Portfolio der Regisseurin Verena S. Freytag wird klar:
Die rote Linie in ihrem Schaffen ist das Drama. Denn da ist alles
repräsentiert, was das dramatische Gebrauchsfernsehen hierzulande zu bieten
hat: von der Soap („GZSZ“) über den Vorabendkrimi („Großstadtrevier“)…
zum Klinik-Genre („In aller Freundschaft“).
Außerdem sind da die Filme, die man neben diesen Auftragsarbeiten für ihre
Herzensprojekte halten darf: „Karamuk“ (2003), von der Regisseurin noch
unter dem Namen Sülbiye Günar gedreht, handelt vom Coming of Age einer
Abiturientin, die überraschend erfährt, dass ihr biologischer Vater
türkischer Herkunft ist. Und in „Abgebrannt“ (2011) geht es, sehr
sozialdramatisch, um eine Weddinger Deutschtürkin mit Dealer-Freund, die um
das Sorgerecht für ihre drei Kinder kämpfen muss. Das Thema Migration liegt
Verena S. Freytag am Herzen.
## Unfall auf dem Weg zur Sakko-Reinigung
In „Das bleibt unter uns“ (Buch: Frauke Hunfeld) muss das Sakko nämlich
erst noch aus der Reinigung geholt werden. Die gestressten Eltern haben
beide keine Zeit, also wird schnell die – natürlich „schwarz“ beschäfti…
moldawische Putzfrau geschickt. Dumm nur, dass die auf dem Weg zur
Reinigung einen Unfall hat und fortan komatös in der Klinik liegt. Dumm
auch, dass sie am Morgen ihre kleine Tochter mit ins Townhouse gebracht
hatte – was erst nach der (ohne Sakko gefeierten) Geburtstagsparty
auffällt. Dumm vor allem: Die befreundete Anwältin (Britta Hammelstein)
muss es der Mutter erst erklären: „Jana. Wenn die rauskriegen, dass das
eure Putzfrau war und die von hier aus losgegangen ist, dann gilt das als
Arbeitsunfall. Und dann haftet ihr!“
Die Anwältin, bei der sie übrigens auch geputzt hat, sieht das ganz
sachlich: „Wenn sie überlebt und womöglich ein Pflegefall wird, dann … ka…
das sehr teuer für euch werden. Tot ist billiger.“
Und dann ist da noch das achtjährige Mädchen, das kein Wort Deutsch
spricht. Das Jugendamt kann man nicht verständigen. Was nun? In der
Bilderbuchfamilie ist man sich uneins:
Er: „Du willst sie hierbehalten.“
Sie: „Solange wir nicht wissen, was mit Natalia ist, ist das doch unsere
Pflicht.“
Er: „Das ist illegal.“
Sie: „Kein Mensch ist illegal. Das stand doch mal auf euren Plakaten.“
## Der Konflikt wird in Wohlgefallen aufgelöst
Wenn der Film in der Folge die Lebenslügen und Bigotterie des
Bionade-Biedermeiers ausstellt, dann erreicht er in seinen besten Momenten
Chabrol’sches Niveau. Die Mutter kommt deutlich besser weg als der Vater,
bei dem es erst „Klick“ macht, als er seine Wahlkampfprosa in eine
Fernsehkamera spricht: „Ich steh’ für Diversität und soziale Gerechtigkeit
… Ich persönlich bin sehr dafür, dass wir diejenigen wieder mehr in den
Fokus rücken, die Hilfe und Unterstützung brauchen.“
Da versagt ihm plötzlich die Stimme. Und es zeigt sich, dass man mit der
Chabrol-Fährte doch auf dem Holzweg war. „Das bleibt unter uns“ ist gar
keine bitterböse Gesellschaftssatire, sondern eher eine Art
Entwicklungsroman, Untergattung: Erziehungsroman. Die bürgerlichen Eltern
müssen ein bisschen Lehrgeld bezahlen, auch buchstäblich, aber Verena S.
Freytag und ihre Drehbuchautorin bringen es schließlich doch noch fertig,
den ganzen sorgsam ausgebreiteten Konflikt auf den letzten Metern in
Wohlgefallen aufzulösen. Hoffentlich erst auf den Druck irgendeines
übermächtigen Fernsehspielredakteurs und nicht aus eigenem Antrieb.
31 Mar 2023
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## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Fernsehfilm
Republik Moldau
Klassengesellschaft
Putzfrau
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