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# taz.de -- Arabische Schriftzeichen: Wer hat Angst vorm Straßenschild?
> In der Ellerstraße in Düsseldorf leben viele Menschen mit arabischen
> Wurzeln. Nun gibt es auch ein arabisches Straßenschild.
Bild: Die Ellerstraße in Düsseldorf-Oberbilk hat jetzt auch ein arabisches St…
Düsseldorf taz | In den 1990er Jahren entschied der Londoner Stadtteil
Tower Hamlets zu Ehren seiner bengalischen Community, eine Handvoll
Straßenschilder in Bengali unter den englischen Schildern anzubringen. Die
Geste schaffte es bis in die internationale Presse, okay, bis in die
indische Presse, aus der ich davon erfuhr und Pilgerreisen zur Brick Lane
machte, nur um die schwarz-weißen Plaketten mit ihren geschwungenen
Schriftzeichen, die von der Linie herabhängen wie von einer Wäscheleine,
anstatt darauf zu stehen, zu fotografieren, und sie kommen in meinem
nächsten Roman vor.
Deshalb ist es so wunderbar, dass Düsseldorf, mein Düsseldorf, das nun
ebenfalls macht. Seit letzter Woche hängen bei mir um die Ecke zwei
Schilder mit der Aufschrift Ellerstraße, einmal in Deutsch und einmal in
Arabisch. Und obwohl ich kein Arabisch spreche, wärmt es mir das Herz,
jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe. Dieses Schild ist wie eine
öffentliche Anerkennung dafür, dass Menschen wie wir hier … existieren.
Denn obwohl wir mehr als ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, sind wir in
der Architektur des öffentlichen Raums … nahezu gar nicht gespiegelt. Wie
viele Statuen von nichtweißen Deutschen kennen Sie? Wie viele Straßen sind
nach uns benannt? Richtig, mir fallen auch nur [1][das May-Ayim-Ufer in
Berlin] und der Hilarius-Gilges-Platz – unfassbarerweise ebenfalls in
Düsseldorf – ein. Da könnte ich beinahe zum ersten Mal stolz auf meine
Heimatstadt werden.
Eine Menge Menschen sehen das höflich ausgedrückt sehr anders. In sozialen
Medien wird das Schild als „Symbol der Unterwerfung“ gedeutet und als
unglaublicher „Kotau“. Vor wem? Dem Gott der Straßenverkehrsordnung?
Doch ist die Erklärung natürlich nur absurd xenophob. Die nächsten 700
Posts sind Versionen von: „Wir leben in Deutschland. Wer arabische Schilder
will, sollte nach Arabien gehen.“ Und es gibt sogar eine Petition, die die
Entfernung des Schilds fordert, weil Deutsch unsere Sprache und Kultur
bleiben muss – allerdings mit so vielen Rechtschreibfehlern, dass sie
genauso gut eine Satire sein könnte.
## Tiefgreifende Ängste, durch Shitstürme geschürt
Der Psychologe Ahmad Mansour erklärt auf Twitter, dass die Ablehnung
„symptomatisch für die tiefgreifenden Ängste und Unsicherheiten in der
Bevölkerung“ sei. Da ist bestimmt etwas dran. Allerdings kommen diese
Ängste und Unsicherheiten ja nicht von irgendwoher, sondern werden nicht
zuletzt durch Shitstürme wie die gegen das Straßenschild geschürt.
Denn das Schild auf der Ellerstraße ist ja keineswegs das einzige. Da
Düsseldorf die größte japanische Community außerhalb Japans hat, wurde vor
zwei Jahren auf der Immermannstraße – besser bekannt als „Little Tokyo“ …
ein japanisches Straßenschild angebracht, ohne dass irgendjemand Angst
hatte, demnächst würde die Sonnenwappenflagge über Deutschland wehen. Die
Glasbläserstraße im Stadtteil Gerresheim, wo Tausende Italiener*innen
in den Glashütten gearbeitet haben, heißt jetzt zusätzlich: Via della
Vetreria. Sieben weitere sind in Planung. Wird Gerhard Papke, der
Ex-Fraktionschef der Landtags-FDP, das ebenfalls als „kulturelle
Selbstaufgabe“ bezeichnen? Natürlich nicht. Oder halt, es soll auch ein
türkisches Schild dabei sein.
Die Reaktionen zeigen, wie wichtig diese Schilder sind, um im öffentlichen
Raum zu markieren, dass wir dazugehören. Aber der öffentliche Raum ist
immer ein Ort von Aushandlungen, und vielleicht ist es deshalb auch in
Ordnung, dass Menschen mit diesem Marker Probleme haben, die ich so gar
nicht verstehen kann. Sie verstehen ja auch nicht meine Probleme mit
[2][Schildern, die nach hohen Kolonialbeamten aka Kolonialmördern benannt
sind].
25 Mar 2023
## LINKS
[1] /Rassismus-und-Black-History-Month/!5829456
[2] /Strassenumbenennung-an-der-FU-Berlin/!5868729
## AUTOREN
Mithu Sanyal
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
wochentaz
Fremdenfeindlichkeit
Einwanderer
Anerkennung
Critical Whiteness
Identitätspolitik
Vulva
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