# taz.de -- Klimaaktivist übers Autofahren: „Das kann nicht das Thema sein“ | |
> Für die „Bild“-Zeitung war es ein Skandal: Aktivisten kamen mit dem Auto | |
> zu ihrer Autobahnblockade. Die taz hat mit dem Fahrer gesprochen. | |
Bild: Einige der Aktivisten kamen mit dem Auto | |
taz: Herr Unger, die Bild-Zeitung hat sich darüber echauffiert, dass Sie | |
mit dem Auto zu einer Aktion gegen den Ausbau von Autobahnen gefahren sind. | |
Haben Sie den Artikel gelesen? | |
Harry Unger: Nein, ich habe in meinem Leben noch nie eine Bild-Zeitung | |
gekauft. Die Zeitung macht sich nicht einmal die Mühe, unsere Proteste zu | |
verstehen. Aber das Problem ist ja nicht, dass wir mit dem Auto fahren. | |
Dafür will ich mich nicht rechtfertigen müssen. | |
Wieso nicht? | |
Wir Aktivisten und Aktivistinnen leben ja nicht auf dem Mond. Wir haben | |
auch unser tägliches Leben. Und wir sind natürlich auch darauf angewiesen, | |
dass wir Auto fahren. Das ist ja das Dilemma, gegen das wir protestieren. | |
Wir protestieren nicht gegen Autos an sich, sondern gegen eine falsche | |
Verkehrspolitik, durch die Bürger und Bürgerinnen keine Alternative haben | |
als mit dem Auto irgendwo hinzufahren. | |
Sie haben in Frankfurt am Main protestiert. Wären Sie zu der Brücke, von | |
der Sie sich auf die Innenstadtautobahn A648 abgeseilt haben, nicht mit den | |
öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen? | |
Das kann nicht das Thema sein. Natürlich schauen wir darauf, wann wir das | |
Auto nutzen und wann wir öffentliche Verkehrsmittel nehmen können. Außerdem | |
versuchen wir, jedes Auto auszulasten, wir waren zum Beispiel bei der | |
Aktion auf der Hinfahrt zu viert, auf der Rückfahrt zu zweit im Auto. Und | |
für die Abseilaktion brauchten wir sehr viel Material, einen Kofferraum | |
voller Seile und Kletterausrüstung. Das packt man nicht einfach so in den | |
Rucksack und trägt es kilometerweit. | |
Wie lange waren Sie unterwegs? | |
Ich lebe auf dem Land in einem Dorf nahe einer Kleinstadt außerhalb von | |
Frankfurt. Mit dem Auto waren es 45 Minuten, mit den öffentlichen | |
Verkehrsmitteln hätte es ungefähr zwei Stunden gedauert. Ich fahre oft mit | |
dem Rad zum Bahnhof und dann mit dem Zug in die Stadt. Aber das geht nicht | |
immer. Zum Beispiel nicht, wenn man viel Material transportieren muss. | |
Hätte es nicht ein gutes Vorbild abgegeben, wenn Sie mit Fahrrad, Bus oder | |
Bahn zum Protest gekommen wären? | |
Nein. Ich glaube nicht, dass das was bringt. Das ist ja genau die | |
Diskussion, die die großen Ölkonzerne angezettelt haben: die Aufmerksamkeit | |
immer auf den persönlichen [1][CO2-Fußabdruck] zu lenken. Die Industrie hat | |
angezettelt, dass man die Verantwortung auf Individuen abwälzt, damit sie | |
nachher besser dasteht. | |
Sie sagen, dass sich Aktivisten und Aktivistinnen also nicht immer an ihre | |
Ideale halten müssen? | |
Ein einzelner Mensch kann das doch gar nicht. Man kann doch nicht von jedem | |
verlangen, dass er sein Leben gravierend verändert, wenn er nicht mal die | |
Möglichkeit dazu hat. Man muss ja meistens einen riesigen Aufwand | |
betreiben, um sein tägliches Leben ohne Auto zu bestreiten. Von Menschen zu | |
verlangen, die morgens vom Land in die Stadt pendeln und abends wieder | |
zurück, dass sie kein Auto mehr fahren dürfen, ist doch absurd. | |
Was müsste sich verändern, damit Menschen das Auto häufiger stehen lassen? | |
Die Politik muss erstmal die Milliarden, die sie für den Bau von Autobahnen | |
ausgibt, in den [2][öffentlichen Nahverkehr] investieren. Dann könnten | |
Menschen viel leichter das Auto stehen lassen und in der gleichen Zeit ihre | |
Wege mit Bussen und Bahnen zurücklegen. Wir brauchen zum Beispiel eine | |
engere Taktung des öffentlichen Personenverkehrs und eine bessere Anbindung | |
auf dem Land. | |
Aber es gibt ja immer noch keine wirkliche Verkehrswende. Zumindest nicht | |
aus dem [3][Verkehrsministerium] heraus. Millionen werden weiter in den | |
Sand gesetzt, zum Beispiel für den Ausbau der Autobahn A66 durch den | |
Fechenheimer Wald – und in die Bahn wird viel zu wenig investiert. Auf | |
diese Diskrepanz wollen wir aufmerksam machen. | |
11 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tom Burggraf | |
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