# taz.de -- Natürlicher Wasserstoff unter der Erde: Energie aus dem Erdkern | |
> Wissenschaftler:innen haben unter der Erdoberfläche mehr Quellen | |
> natürlichen Wasserstoffs entdeckt. Bringt das bald unendlich saubere | |
> Energie? | |
Bild: In den ovalen Carolina Bays an der US-amerikanischen Ostküste tritt Wass… | |
Wasserstoff (H2) hat viele Fans, weil bei seiner Verbrennung kein CO2 | |
entsteht. Ihn zu produzieren ist allerdings energetisch aufwendig und | |
teuer. Was aber wäre, wenn Wasserstoff gar nicht produziert werden müsste, | |
sondern einfach verfügbar wäre? Anzapfbar wie eine Mineralwasserquelle? | |
[1][In einem kleinen Dorf in Mali] ist das tatsächlich der Fall. Es war ein | |
Zufallsfund auf der Suche nach Wasser, im Jahr 2012. Ein Generator wurde an | |
die Wasserstoffquelle angeschlossen, und die Bewohner von Bourakébougo | |
hatten Strom, zum ersten Mal in ihrem Leben. Und zwar emissionsfrei – das | |
fossile Zeitalter hat das Dorf einfach übersprungen. | |
Immer mehr Forscher sind der Meinung, dass unter dem Erdmantel gigantische | |
Mengen an natürlichem Wasserstoff, auch „weiß“ oder „golden“ genannt, | |
lagern. Wie groß diese Vorkommen wirklich sind, darüber streiten sich | |
Experten noch. Sicher ist: Die Publikationen zum Thema explodieren gerade. | |
Bohren wir also bald nach natürlichem Wasserstoff wie heute nach Öl? | |
Eric Gaucher, Geochemiker an der Universität Bern., glaubt daran. Er | |
vergleicht die derzeitige Situation mit dem Beginn des [2][Erdölzeitalters] | |
Mitte des 19. Jahrhunderts: „Bevor die industrielle Förderung begann, waren | |
Erdöl und Erdgas vor allem durch natürliche Gasaustritte bekannt.“ So wie | |
heute die Wasserstoffquelle in Mali oder wie die seit der Antike bekannten | |
ewigen Feuer von Chimaera bei Antalya in der Türkei. | |
Gaucher weiß, wovon er spricht: Er hat jahrelang im Auftrag des Ölkonzerns | |
Total Energies nach natürlichem Wasserstoff gesucht. Dann setzte der | |
Konzern auf die klassischen erneuerbaren Energien und strich sein Budget. | |
„Ich war zu früh dran mit meiner Entdeckung“, sagt Gaucher, der seine | |
Forschung an der Universität Bern fortsetzt. Er und sein Team fanden das | |
System hinter den Zufallsfunden von Mali und Chimarea: In den Kratonen, | |
tektonisch sehr stabilen Gesteinskernen der Kontinente, liegen sogenannte | |
Grünsteingürtel eingeschlossen, die [3][Überreste uralter Ozeankrusten]. | |
Hier, so die Theorie, entsteht fortwährend natürlicher Wasserstoff. Er | |
bildet sich durch Serpentinisierung: Wenn eisenhaltiges Gestein in großer | |
Tiefe unter Druck und bei hoher Temperatur mit Wasser in Berührung kommt, | |
entsteht Wasserstoff. Das kann bereits ab etwa drei Kilometer Tiefe der | |
Fall sein. Grünsteingürtel sind über die Kontinente hinweg erfreulich fair | |
verteilt: Gaucher berichtet von Vorkommen in Südafrika, Namibia, Brasilien, | |
auf den Philippinen, in Kanada und den USA. In Europa seien Funde in | |
Italien, Island, Polen, Tschechien, Rumänien, Griechenland, der Schweiz und | |
in Bayern bekannt. | |
## Die Ersten bohren schon | |
Nach natürlichem Wasserstoff lässt sich bohren wie nach Öl. „Wir haben die | |
Methoden, wir haben die Instrumente – jetzt müssen wir an den richtigen | |
Stellen suchen“, ist Gaucher überzeugt. Er hält es für möglich, auf diese | |
Weise die ganze Infrastruktur der Ölindustrie auf einen neuen Rohstoff | |
auszurichten. | |
Sein Team und er haben noch eine andere Idee. Sie schlagen vor, „orange | |
Wasserstoff“ zu produzieren: Die unterirdischen Wasserstoffvorkommen ließen | |
sich nachhaltig nutzen, indem man in eisenhaltiges Gestein Wasser | |
injiziert, das die Bildung von neuem Wasserstoff befördert. Gleichzeitig | |
könne man vor Ort noch CO2 speichern. | |
In den französischen Pyrenäen, nahe dem [4][Wallfahrtsort Lourdes], könnte | |
bald erstmals natürlicher Wasserstoff auf europäischem Boden gefördert | |
werden. Hier haben Gaucher und sein Team umfangreiche Tests durchgeführt, | |
in vier Kilometer Tiefe rechnen sie fest mit dem begehrten Gas. | |
Als erstes europäisches Land hat Frankreich im April 2022 die rechtliche | |
Grundlage für die Lizenzvergabe angepasst: Wasserstoff steht seitdem auf | |
der Liste der Rohstoffe, die gefördert werden dürfen. „Jetzt brauchen wir | |
jemanden, der sich traut zu investieren. 25 bis 40 Millionen Euro braucht | |
es – dann könnten wir hier in drei bis fünf Jahren natürlichen Wasserstoff | |
fördern“, sagt Gaucher. | |
Viacheslav Zgonnik hatte keine Lust zu warten. Der 38-jährige Chemiker | |
betreibt im Bundesstaat Nebraska das Start-up Natural Hydrogen Energy, | |
eines von zwei Wasserstoffbohrlöchern in den USA. Er sagt: „Du kannst | |
dutzendweise neue Studien schreiben – am Ende zeigt erst die Bohrung, ob du | |
recht hast oder nicht.“ Mit natürlichem Wasserstoff beschäftigt der | |
gebürtige Ukrainer sich bereits seit 2011, im Jahr 2013 machte er sich mit | |
seinem Team auf die Suche nach Investoren. 10 Millionen schafften sie | |
herbei, im Jahr 2018 konnten sie die erste Bohrung machen. | |
Zgonnik glaubt, dass natürlicher Wasserstoff schon bald zum Preis von etwa | |
einem Dollar pro Kilo zu haben sein könnte – im Gegensatz zu industriell | |
gefertigtem grünem Wasserstoff, der derzeit in den USA bei etwa fünf Dollar | |
pro Kilogramm liegt. Zgonnik glaubt, dass auch der Erdkern reich an | |
Wasserstoff sein könnte – eine mögliche Erklärung dafür, warum das Gas aus | |
dem Erdinneren an die Oberfläche tritt. „Wenn sich das bewahrheitet, heißt | |
das: Der Vorrat an [5][sauberer Primärenergie] im Inneren der Erde ist | |
unendlich groß.“ | |
Kritiker sagen: Auch Wasserstoff ist klimawirksam, ihn im großen Stil zu | |
verbrennen sei keine gute Idee. Zgonnik geht davon aus, dass die Erde | |
ohnehin H2 ausdünstet, rund 23 Millionen Tonnen jährlich. Einen Teil davon | |
bereits unterirdisch abzufangen, hält er für günstig. | |
Natürlicher Wasserstoff ist angeblich im Überfluss vorhanden, er verbrennt | |
zu Wasser, hinterlässt zumindest deutlich weniger Umweltschäden als fossile | |
Brennstoffe und könnte noch dazu günstig zu haben sein – klingt alles | |
irgendwie zu gut, um wahr zu sein. Wenn weißer Wasserstoff wirklich die | |
Welt rettet, warum hören wir dann erst jetzt davon? | |
## Das Element, das die Welt ändern könnte | |
„Weil wir an den falschen Stellen gesucht haben“, sagt Gaucher. Kollege | |
Zgonnik hat sich die Geschichte des „meistunterschätzten Elements“ genauer | |
angeschaut. Dabei entdeckte er, dass keineswegs alle Forscher das kleine | |
Molekül übersehen haben. Im Gegenteil: In der Sowjetunion gab es ein reges | |
Forschungsinteresse, entsprechend häufiger wurden Wasserstoffvorkommen | |
dokumentiert – zum ersten Mal bereits 1888 durch den St. Petersburger | |
Dmitri Iwanowitsch Mendelejew, den Erfinder des ersten [6][Periodensystems | |
der Elemente]. | |
Der Grund für das Interesse, so Zgonnik: Die sowietischen Forscher gingen | |
davon aus, dass Erdöl auf der Basis von Wasserstoff entsteht. Diese Theorie | |
konnte später nicht bestätigt werden, aber die Wasserstoffforschung kam | |
voran. Im Westen hingegen stieß man eher zufällig auf H2. | |
„Unglücklicherweise“, sagt Zgonnik und schaut dabei tatsächlich traurig in | |
die Kamera. „Wir haben jahrzehntelang so viele Chancen verpasst, | |
potenzielle Quellen aufzutun.“ | |
Gerade suchen viele, allein in [7][Australien] sind bereits 20 Lizenzen | |
vergeben. Goldgräberstimmung? Eric Gaucher bejaht. Er fühlt den Druck des | |
historischen Moments auf seinen Geologenschultern. „Wenn wir jetzt zwanzig | |
Mal bohren, ohne nennenswerte Mengen zu finden, dann ist die Idee tot. Wenn | |
aber nur eine dieser Bohrungen wirtschaftlich ist, dann wird das alles | |
verändern. Dann ist das ein Kipppunkt.“ | |
Andernorts: Skepsis. Der Bundesverband Geothermie verweist auf die Risiken | |
von Wasserstoff: Das Gas sei hochexplosiv, der Einsatz in Wohngebieten | |
fragwürdig. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften sieht auf Anfrage der | |
taz bislang keine Ansammlungen von Wasserstoff als nachgewiesen, „deren | |
Größenordnung auch nur in die Nähe kommerziell genutzter Erdgasfelder | |
kommen würde“. Ein Projekt, das das Potenzial von natürlichem Wasserstoff | |
weiter untersuchen soll, ist dennoch geplant. Einen Versuch ist es wert. | |
18 Mar 2023 | |
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