# taz.de -- Regisseur Hirokazu Koreeda über „Broker“: „Das ist eine geme… | |
> Der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda spricht über Humanismus und | |
> Sprachbarrieren beim Arbeiten. Sein Film „Broker“ erzählt von einer | |
> Wahlfamilie. | |
Bild: Fast eine Familie: die Gruppe um Sang-hyun (Song Kang-Ho) beim Jahrmarktb… | |
Er ist der große Humanist des Weltkinos. So warmherzig wie der japanische | |
Filmemacher Hirokazu Koreeda erzählt niemand von Wahlfamilien und | |
menschlichen Schwächen. Mit seinem neuen Film „Broker“ folgt der | |
Goldene-Palme-Gewinner („Shoplifters“) einem ungleichen Trio mit Baby auf | |
einem Roadtrip durch Südkorea. Ein Gespräch über Sprachbarrieren, | |
väterliche Gefühle und die Frage nach dem eigenen Stil. | |
taz: Herr Koreeda, Ihr neuer Film „Broker“ handelt von zwei Kleinganoven, | |
die Säuglinge aus Babyklappen klauen und an Paare mit Kinderwunsch | |
verkaufen. Kaum ein anderer Regisseur würde wohl das Empathische darin | |
sehen. Wie haben Sie den für Sie richtigen Zugang und Tonfall gefunden? | |
Hirokazu Koreeda: Am Anfang stand eine ganz simple Geschichte über eine | |
junge Mutter, die ihr Neugeborenes abgibt, und den beiden „Maklern“, die | |
zusammen auf eine Reise gehen und dabei zu einer Art alternativen Familie | |
werden. Ausgehend von dieser Idee überlegte ich, was ich damit erzählen | |
will. Also stellte ich dieser Frau, die ihr Baby nicht behalten will, eine | |
Polizistin gegenüber, die zunächst gegen sie ermittelt und am Ende das Kind | |
selbst in Obhut nehmen wird. Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein | |
könnten und deren Wege sich kreuzen, die auf je ihre Weise Mutter werden. | |
Eines Ihrer wiederkehrenden Themen sind [1][Wahlfamilien, wie schon in | |
„Shoplifters“]. Was interessiert Sie daran? | |
Wenn alles gut läuft, spürt man nicht, wie wichtig Familie ist. Das merkt | |
man erst, wenn man einen geliebten Menschen verliert, den Vater oder ein | |
Kind. Und als Filmemacher interessiert mich, wie man nach einem solchen | |
Verlust eine neue Form für dieses Konzept Familie finden kann. Als ich | |
„Like Father, Like Son“ drehte, dachte ich viel darüber nach, was | |
Elternsein bedeutet. Auch weil ich damals selbst Vater geworden war. Ich | |
musste mich bewusst in diese neue Rolle fügen und mich bemühen, väterliche | |
Gefühle zu entwickeln. Ich glaubte damals, die Bindung zwischen Mutter und | |
Kind sei etwas, das ganz natürlich entsteht. Ein sehr männlicher Blick, wie | |
ich dann lernte, denn nicht jede Frau hat diesen Mutterinstinkt. So | |
entstanden die Ideen zu „Shoplifters“ und „Broker“. | |
Gab es Filme, die Sie konkret für „Broker“ beeinflussten? | |
Vor allem John Fords Western „Spuren im Sand“ von 1948, der im Original | |
„Three Godfathers“ heißt und von drei Banditen handelt, die in der Wüste | |
ein Baby finden und beschließen, sich darum zu kümmern. | |
In ihrem Humanismus erinnern Ihre Filme auch an die Werke Robert Bressons. | |
Welche Rolle spielte er für Sie? | |
Das ist schwer in Worte zu fassen. Den ersten Film, den ich von Bresson | |
sah, war „Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“ über die Flucht eines | |
französischen Offiziers aus einem von der Wehrmacht beschlagnahmten | |
Gefängnis bei Lyon. Kurz danach „Zum Beispiel Balthasar“ über den | |
Leidensweg eines Esels. Für mich waren Bressons Filme eine Offenbarung. In | |
ihnen gibt es nichts Überflüssiges, nichts Ornamentales. Jedes Detail ist | |
präzise beabsichtigt und erfüllt eine Funktion. Was mich schon beim ersten | |
Film beeindruckte, war der Einsatz der Tonspur. Das Geräusch der Essgabeln, | |
die poliert werden etwa, oder des fahrenden Zuges. Diese Töne reichten | |
schon, um sich ein Bild dieser Welt zu machen. Wie er diese Elemente | |
einsetzte, hatte einen großen Einfluss auf mich und meine ersten Versuche | |
als Filmemacher. Erst später lernte ich, dass er auch ein extrem strenger | |
Regisseur war, seinen Schauspielern gegenüber etwa verhielt er sich oft | |
wenig freundlich. In der Hinsicht schlug ich einen anderen Weg ein. Ich | |
suche und liebe den engen Austausch mit meinen Darsteller*innen. | |
„Broker“ ist nach [2][„La Verité“ der zweite Film, den Sie nicht in Ih… | |
Muttersprache Japanisch drehten]. Wie beeinflusst das die Arbeit am Set? | |
Ich bin noch immer in der Phase des Suchens und Experimentierens. „La | |
Verité“ ist auf Französisch, „Broker“ auf Koreanisch. Beide Sprachen | |
verstehe ich nicht. Bei „Broker“ hatte ich eine exzellente Dolmetscherin | |
und ich fühlte mich nicht „lost in translation“. Ich konnte sehr gut | |
vermitteln, welche Emotionen ich im Film transportieren wollte. Trotzdem | |
ist es wichtig, eine Art und Weise des Austauschs zu finden, die nicht auf | |
verbaler Kommunikation beruht. Das wirkt sich dann auch auf das | |
künstlerische Ergebnis aus, es entstehen ganz andere Dinge als in einer | |
Situation, in der eine direkte Ansprache möglich ist. Noch bin ich dabei, | |
im Detail herauszufinden, was die Unterschiede und auch die Gemeinsamkeiten | |
dieser beiden Arbeitsweisen sind. Und ich versuche zu verstehen, wie diese | |
Sprachbarriere überwunden werden kann. | |
Und? | |
Ich kann es noch nicht beantworten. Aber als ich „La Verité“ drehte, sagte | |
mir Ethan Hawke in einem Moment, dass es nicht so wichtig ist, dieselbe | |
Sprache zu sprechen. Es käme vor allem darauf an, dieselbe Vision zu haben, | |
welche Art von Film es werden soll. | |
Ihre Filme sind geprägt von großer Empathie und einem wohlwollenden Blick | |
auf menschliches Verhalten. Inwieweit kann nonverbale Kommunikation dabei | |
helfen? | |
Auch wenn diese beiden Filme in anderen Ländern und Kulturen spielen, wurde | |
mir immer wieder gesagt, wie „koreedaesk“ sie seien. Ich denke viel darüber | |
nach, was das heißt. Was macht meine Filme aus, gibt es einen bestimmten | |
Stil, der sie unverwechselbar macht? Und wenn ja, ist das etwas Gutes? Ich | |
bin mir da nicht ganz sicher. Muss ich meine Filme so inszenieren, dass man | |
meine Handschrift erkennt? Ist es das, was man Autorenschaft nennt? Und was | |
passiert, wenn ich dem nicht folge? All das versuche ich herauszufinden. | |
Mein Experiment geht weiter. | |
Wie würden Sie denn selbst Ihren Stil beschreiben? | |
Das ist ein Eindruck, der von außen an mich herangetragen wird. Ich selbst | |
nehme das nicht so wahr. Was könnte dieser Stil sein? Mein Blick auf | |
Menschen und ihr Verhalten? Mein Blick auf die Welt? Das sind keine Fragen, | |
die sich Regisseure stellen, wenn sie Filme machen. Zumindest tue ich es | |
nicht. | |
Sie schreiben auch Romane, die bislang leider nur auf Japanisch erschienen | |
sind. Was können Sie in diesem Medium besser ausdrücken als in Ihren | |
Filmen? | |
Ursprünglich wollte ich Schriftsteller werden, lange bevor ich meinen | |
ersten Film drehte. Aber ich erkannte früh, dass mir dafür das Talent | |
fehlt. Als ich dann gefragt wurde, ob ich einige meiner Drehbücher zum | |
Roman ausbauen würde, konnte ich schlecht Nein sagen. Aber das Schreiben | |
fällt mir schwer. Ich akzeptiere den Auftrag und bereue es dann. Ein Film | |
ist etwas, das in Zusammenarbeit mit vielen Menschen entsteht. Es ist also | |
nicht völlig meins. Wenn ich daraus einen Roman mache, versuche ich, mir | |
alle Elemente zu eigen zu machen. Ich ziehe sie an mich heran und umarme | |
sie, um mich von ihnen zu verabschieden und dann endgültig loslassen zu | |
können. | |
Sind also Ihre Romane mehr „Koreeda“ als Ihre Filme? | |
Das ist eine gemeine Frage. Was ich sagen kann: Die Romane helfen mir, ein | |
Kapitel zu schließen und mit dem nächsten Film ein neues aufzuschlagen. | |
Apropos abschließen: Vor 25 Jahren drehten Sie den Film „After Life“, in | |
dem jeder Verstorbene sich für eine Lebenserinnerung entscheiden muss, die | |
er ins Jenseits mitnehmen darf. Welche wäre es bei Ihnen? | |
Ich habe noch so viel vor in meinem Leben, ich kann mich jetzt nicht auf | |
eine festlegen. | |
15 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
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