| # taz.de -- Adel verpflichtet sich meist zu nichts: Jetzt vielleicht ein bissch… | |
| > Die Entschädigungsklage der Hohenzollern ist endlich vom Tisch. Aber | |
| > kommt der lange privilegierte Adel jetzt wirklich in der Demokratie an? | |
| Bild: So kennt man den deutschen Adel: rüde, selbstbesoffen. Caroline von Mona… | |
| Es wurde aber auch Zeit: Ein Hohenzollern drückte sich nicht länger, | |
| [1][sondern zog einen Schlussstrich]. Zumindest in der Rückgabedebatte. | |
| Dass der Urahn des Georg Friedrich Prinz von Preußen, Kaiser Wilhelm II., | |
| 1918 sich nicht in einer verzweifelten Attacke selbst an der Front opferte, | |
| hat den auf Ritterlichkeit bedachten deutschen Adel am Ende des Ersten | |
| Weltkriegs in eine tiefe Identitätskrise gestürzt. Der verlorene Krieg | |
| führte zum Verlust der sicheren Jobs bei der Armee und einer Welle von | |
| Adelsarmut, die Feigheit vor dem Feind zu Selbstzweifeln. Die Mehrheit des | |
| deutschen Adels blieb demokratiefeindlich, viele setzten bald auf Hitler. | |
| Der doch sicher die Monarchie neu errichten wird? Wären nicht einige Edle | |
| kurz vor Zappenduster noch auf die Idee gekommen, eine Bombe zu zünden, | |
| wäre das kollektive Versagen des Adels schon in der frühen Bundesrepublik | |
| aufgefallen. So war man Stauffenberg und wurschtelte sich durch, wie alle | |
| anderen auch. | |
| Ganz so entscheidend dürfte der Rückzug der Entschädigungsklage jetzt nicht | |
| sein. Trotzdem: Wie steht es eigentlich um den Adel in der Demokratie? In | |
| Deutschland wurde der Adel, anders als in Österreich, mit der | |
| republikanischen Verfassung 1919 nicht abgeschafft, lediglich seine | |
| Vorrechte aufgehoben. Das hat damals schon arg wenig an Besitzverhältnissen | |
| verändert, noch weniger aber an Netzwerken und audacity. | |
| Sicher, auf jeden reichsadeligen Putschprinzen kommen heute Tausende | |
| Adlige, die überzeugt und selbstverständlich Demokrat*innen sind, die | |
| meisten führen, wenn überhaupt, ein „von“ ohne besondere Standesdünkel, … | |
| selbst die bürgerlich-liberale FDP leistet sich mit Hermann Otto Prinz zu | |
| Solms-Hohensolms-Lich einen Ehrenvorsitzenden mit landesherrlichem | |
| Hintergrund. Und so erscheint es kein bisschen erstaunlich, dass etwa 2020 | |
| der Präsident der Genossenschaft der katholischen Edelleute in Bayern als | |
| Beispiel gelungener demokratischer Integration des Adels, ja beinahe seiner | |
| Verbürgerlichung, einen Bundestagsabgeordneten und Botschafter der BRD | |
| würdigt, Karl von Spreti. Dem ja durchaus zugute zu halten ist, dass er | |
| nicht, wie sein gleichaltriger Verwandter Hans Erwin von Spreti-Weilbach, | |
| als SA-Führer den Untergang der Weimarer Republik herbeiprügeln ließ. | |
| ## Es ist leicht auf der Gewinnerseite | |
| Der Lebenslauf einer edlen Heizungsbauerin hätte den Punkt vielleicht | |
| besser unterstrichen. Demokratisch lässt sich nämlich besonders gut sein, | |
| wenn man sich sicher auf der Gewinnerseite wähnen kann. Wie die vielen | |
| adligen Familien, die noch immer auf den Reichenlisten auftauchen – oder | |
| [2][scheinbar erblich] in Führungspositionen in Unternehmen, Kultur, | |
| Medien. Oder wie einst der CSU-Politiker und Ex-Kronprinz Otto von | |
| Habsburg, der mit gleich vier Staatsangehörigkeiten eine Partei vertrat, | |
| die rassistisch Stimmung gegen die doppelte machte. Man bleibt dann eben | |
| doch ein bisschen edler. | |
| Erstaunlich eher, dass so viele mitspielen, auch jenseits der | |
| Regenbogenpresse. Natürlich harmlos, wenn im Februar ein | |
| „Sportschau“-Kommentator angesichts einer leichtathletelnden Adligen jovial | |
| anmerkt, das „Gräfin“ dürfe man durchaus weglassen, als sollte das nicht | |
| eine seit hundert Jahren abgefrühstückte demokratische | |
| Selbstverständlichkeit sein. Weniger, wenn ausgesuchten Familien à la | |
| Hohenzollern Verhandlungen auf Regierungsebene zugestanden werden. Oder | |
| Thüringen per Gesetz einen „Vertreter des Hauses Sachen-Weimar und | |
| Eisenach“ in einen Stiftungsrat bestellt – und so die adels-esoterische | |
| Fiktion dynastischer „Häuser“ zu einer republikanischen Wirklichkeit wird. | |
| Derweil geriert man sich in den adligen Verbänden als eine in der | |
| bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft von Identitätsverlusten bedrohte Gruppe, | |
| die um ihr kollektives Gedächtnis ringt. In der Tat erfolgreich: Der Adel | |
| dürfte die einzige soziale Minderheit in Deutschland sein, auf deren | |
| Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Immerhin da kann man von ihm lernen. | |
| 12 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Steffen Greiner | |
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