# taz.de -- Neuer Präsident in Nigeria: Aufbruch geht anders | |
> Nigeria hat einen neuen Präsidenten gewählt. Der 70-jährige Bola Tinubu | |
> dürfte die Herrschaft der alten Männer fortsetzen. | |
Bild: Frisch gewählt: Bola Tinubu während seiner Rede am Mittwoch | |
Lagos taz | Er will Nigeria wieder Hoffnung bringen. Das zumindest steht | |
auf den Wahlkampfplakaten von Bola Tinubu, der von Nigerias Wahlkommission | |
am 1. März zum Sieger [1][der Präsidentschaftswahl vom vorangegangenen | |
Wochenende] erklärt worden ist. | |
Allerdings hat das künftige Staatsoberhaupt wenig Rückhalt im Land: Nur 8,7 | |
Millionen der 220 Millionen Bewohner*innen stimmten für den 70-jährigen | |
Kandidaten der Regierungspartei All Progressives Congress (APC) – das macht | |
36 Prozent der Stimmen. Und in Lagos, wo Tinubu von 1999 bis 2007 als | |
Gouverneur regierte, wurde er nur Zweiter. | |
Selbst der scheidende Präsident Muhammadu Buhari, der laut Verfassung nicht | |
erneut antreten durfte, hatte bei seiner Wiederwahl 2019 mehr als 15 | |
Millionen Stimmen erhalten. Dabei war dessen erste Amtszeit von einer | |
Rezession und einer sich verschlechternden Sicherheitslage im Land geprägt | |
gewesen. | |
Für Osagie Adorjah, Taxifahrer in Lagos, ist Nigerias neuer Präsident ein | |
alter Bekannter. Der heute 64-Jährige war dabei, als Tinubu 1999 Gouverneur | |
von Lagos wurde. „Es heißt, dass er viel für die Stadt getan habe.“ Lagos | |
sei allerdings bis 1991 Nigerias Hauptstadt gewesen und viele Strukturen | |
seien lange vor Tinubus Amtsübernahme entstanden. Vor allem eins habe | |
Tinubu nicht geschafft: „Die Stadt ist noch immer nicht sicher.“ Bestes | |
Beispiel sei der Wahltag vergangene Woche gewesen: „Banden haben versucht, | |
Unruhe zu stiften. Wenn Tinubu Lagos wirklich lieben würde, hätte er mehr | |
getan.“ | |
Zwanzig Millionen Menschen leben in Lagos, deutlich mehr als in der | |
Hauptstadt Abuja. Selbst für wenige Kilometer steht man oft stundenlang im | |
Stau. Schienenverkehrsalternativen gibt es nicht. Ärmere, dicht bewohnte | |
Stadtteile sind nicht an die Wasserversorgung angeschlossen und manchmal | |
haben Haushalte tagelang keinen Strom. In den wohlhabenden Vierteln auf den | |
vorgelagerten Inseln Lagos Island und Victoria Island sowie im neu | |
geschaffenen Viertel Lekki brummen dann die Generatoren um die Wette. Doch | |
dort findet nur Unterkunft, wer einen extrem gut bezahlten Job hat oder | |
dessen Firma die Miete übernimmt. | |
## Gouverneur der Area Boys | |
Seit vergangenem Jahr haben Bola Tinubus Unterstützer*innen in | |
sozialen Netzwerken Beispiele geteilt, wie dieser Lagos positiv verändert | |
habe. Häufig genannt wurde, dass er das Problem [2][der Area Boys] in den | |
Griff bekommen habe. Lagos war berüchtigt für die jungen Männer, die ganze | |
Viertel kontrollierten, Straßenkontrollen errichteten, Geld erpressten und | |
Bewohner*innen einschüchterten. | |
Tatsächlich legte der Bundesstaat Lagos nach Tinubus Amtsantritt | |
Rehabilitationsprogramme mit der Möglichkeit auf, ein Handwerk zu erlernen. | |
Auch wurden viele der Männer ohne jegliche Ausbildung angestellt zur | |
Überwachung von Busbahnhöfen, aber auch bei Behörden, die etwa den Verkehr | |
regulieren sollen. „Einstige Diebe wurden in Uniformen gesteckt“, sagt der | |
39-jährige Opeyemi Benjamin Ogunlami, der 1999 noch die weiterführende | |
Schule besuchte. | |
Von seinen Kontakten in den Transportsektor profitiert der „Gouverneur der | |
Area Boys“ bis heute. „Sie sind meine Jungs. Ich kümmere mich um sie“, s… | |
Tinubu einmal gesagt haben, schrieb der Journalist Kaye Whitman in seinem | |
Buch „Lagos: City of the Imagination“. Vergangenes Jahr hieß es, dass | |
Fahrer*innen der motorisierten Dreiräder aufgefordert wurden, für | |
umgerechnet rund 1 Euro Aufkleber zu kaufen, um Tinubus Wahlkampfkampagne | |
zu unterstützen. | |
Die einstigen Area Boys sind nicht die Einzigen, die Tinubu gegenüber | |
besonders loyal sind. Nach acht Jahren als Gouverneur zog er sich 2007 aus | |
der vordersten Reihe zurück und baute etliche einflussreiche | |
Politiker*innen auf. Dazu gehört sein Nachfolger in Lagos, der | |
aktuelle Arbeits- und Wohnungsbauminister Babatunde Fashola. Dieser ließ in | |
der Metropole Parkanlagen und Grünstreifen anlegen und richtete | |
Schnellbuslinien ein. Die Mehrheit der Bewohner*innen fährt aber | |
trotzdem weiter in den Danfos, den gelben Minibussen. Tinubu finanzierte | |
außerdem die Kampagnen des scheidenden Präsidenten Buhari und dessen Vize | |
Yemi Osinbajo mit. | |
## Durchschnittsalter in Nigeria: 18 Jahre | |
„Die Politik in Nigeria wird zu sehr von Geld bestimmt“, kritisiert | |
Ogunlami, der selbst als Kandidat bei den anstehenden Wahlen der | |
Gouverneursposten und der Sitze in den Landesparlamenten am 11. März | |
antritt. Er will für den panafrikanischen African Action Congress (ACC) in | |
das Repräsentantenhaus von Lagos einziehen. Hauptproblem der jungen | |
Politiker*innen sei die Finanzierung ihrer Kampagnen. „Mich | |
unterstützen Freunde und Familie. Einen alten reichen Geldgeber will ich | |
nicht haben, weil ich nicht will, dass jemand später meine Politik | |
bestimmt. Wir müssen endlich weg von dem Patensystem.“ | |
Genau dieses weiß Bola Tinubu sich zunutze zu machen. Er gilt als reichster | |
Politiker des Landes, auch wenn es dafür keine Belege gibt. Sein Lebenslauf | |
liest sich wie eine nigerianische Traumstory: In den 1970er-Jahren ging er | |
in die USA, war Tellerwäscher, Taxifahrer und schloss 1979 ein Studium in | |
Betriebswirtschaftslehre in Chicago ab. Anschließend arbeitete er für | |
Beraterfirmen und später in Nigeria für das Unternehmen Mobil Oil. | |
Vorwürfe, dass er in Drogengeschäfte und Korruption verwickelt war, weist | |
er zurück. Seine politische Karriere begann 1999. | |
Grace Nwankwo-Okere ist glücklich über Tinubus Wahl. Sie macht für dessen | |
Partei APC im Viertel Ejigbo Lokalpolitik. „Er hat mich unterstützt, obwohl | |
ich keine Yoruba bin, sondern Igbo“, sagt sie über den künftigen | |
Präsidenten, der selbst der ethnischen Gruppe der Yoruba angehört. | |
Ethnie und Konfession spielen in Nigerias Politik eine zentrale Rolle. | |
Tinubus Vize Kashim Shettima ist ein Haussa aus dem Nordosten. Dass beide | |
Muslime sind, wurde anfangs kritisiert. Lange galt, dass beide Religionen | |
vertreten sein müssen. Ein Christ aus dem Norden sagt jedoch: „Obwohl er | |
Muslim ist, wirkt er wie jemand, der sich für unsere Belange einsetzt und | |
das Land nicht weiter spalten will.“ | |
Bei Bola Tinubus erstem Auftritt nach [3][Bekanntgabe seines Sieges] wirkte | |
Nigerias künftiger Präsident aber vor allem desorientiert. Keine Spur von | |
einer mitreißenden Rede. Stattdessen suchte er nach Wörtern und Namen. Seit | |
Langem wird über seinen Gesundheitszustand spekuliert. Für die junge | |
Generation in Nigeria – das Durchschnittsalter liegt bei 18 Jahren – ist | |
Tinubu deshalb „der alte Mann, der sich endlich ausruhen sollte“. | |
4 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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