| # taz.de -- Nato-Beitritt Schweden und Finnland: Baerbock in Bunker-City | |
| > Beim Besuch in Finnlands Bunkerstadt wirbt Außenministerin Baerbock für | |
| > mehr Zivilschutz – und die Nato-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands. | |
| Bild: Außenministerin Baerbock beim Besuch eines Zivilschutzanlage in Helsinki… | |
| Am Montagabend ist Annalena Baerbock vor Massenvernichtungswaffen gut | |
| geschützt. Die Außenministerin ist zu Besuch in Helsinki und erkundet bei | |
| der Gelegenheit eine der vielen Bunkeranlagen der Stadt. Von einem Platz im | |
| Viertel Merihaka aus geht es über Treppen in die Tiefe; dann an | |
| Hockey-Spielerinnen vorbei durch einen geräumigen Stollen, der in | |
| Friedenszeiten als Sporthalle dient; und schließlich durch ein dickes | |
| Metalltor, das selbst radioaktiver Strahlung standhält. | |
| Eine Gruppe Freiwilliger des finnischen Zivilschutzprogramms führt vor, wie | |
| sie den Eingang im Ernstfall versiegeln würden. Als die Tür zu ist, fragt | |
| Baerbock einen von ihnen, wann er sich als Helfer gemeldet hat. „Vor einem | |
| halben Jahr“, antwortet der Mann. „Wegen des Kriegs in der Ukraine?“ – | |
| „Ja.“ | |
| Die russische Invasion läutete nicht nur in Deutschland eine Zeitenwende | |
| ein, sondern auch in Finnland. Mit einem Unterschied: Das Bewusstsein, | |
| verwundbar zu sein, entstand hier nicht erst bei Kriegsbeginn. Es war schon | |
| vorher da und ist jetzt weiter gewachsen. Allein schon die 1.340 Kilometer | |
| lange Grenze mit Russland hat dafür gesorgt, dass die Finnen die Vorsorge | |
| nie aus den Augen verloren haben. Einen Boom bei den Ehrenamtlichen | |
| verzeichnet der Zivilschutz zwar erst seit letztem Jahr, die Infrastruktur | |
| stand aber schon vorher: Über 50.000 betriebsfähige Bunker gibt es im Land. | |
| Ganz anders als in Deutschland also. „In Berlin haben Sie sicher auch | |
| welche?“, fragt einer der Freiwilligen die Außenministerin. „Hm …“, ma… | |
| Baerbock. Nach dem Ende des Kalten Kriegs wurden Sirenen und Bunker in | |
| Deutschland weitgehend stillgelegt, erst langsam rückt das Thema wieder ins | |
| Bewusstsein. | |
| ## Ein bisschen Innenpolitik | |
| Als im vergangenen Jahr das Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen | |
| wurden, regten die Grünen zwar an, daraus auch den Zivilschutz zu | |
| berücksichtigen. Durchsetzen konnten sie sich in der Ampel aber nicht. Das | |
| nächste Mal soll das Thema in der Nationalen Sicherheitsstrategie | |
| auftauchen, die die Bundesregierung gerade unter Baerbocks Federführung | |
| erarbeitet. Mit ihrer Bunkertour in Helsinki betreibt die Außenministerin | |
| also auch ein bisschen Innenpolitik. | |
| Der einzige Grund ihrer Reise, die sie am Dienstag weiter nach Stockholm | |
| führt, ist das aber nicht. Außenpolitisch stehen sowohl Finnland als auch | |
| Schweden seit Monaten wegen eines anderen Themas im Fokus: Bereits im Mai | |
| 2022 haben beide Länder ihre Aufnahme in die Nato beantragt. 28 | |
| Mitgliedstaaten haben den Beitritt ratifiziert. Ungarn und vor allem die | |
| Türkei stellen sich aber bis heute quer. | |
| Auch der Beitrittswunsch der beiden skandinavischen Länder ist Ausdruck | |
| einer Zeitenwende. Als EU-Mitglieder können sie für den Fall eines Angriffs | |
| zwar eh auf europäischen Beistand bauen. Die Kooperation mit der Nato | |
| bauten sie nach der Krim-Invasion 2014 auch schon aus. Für einen Beitritt – | |
| und damit einen offiziell verbrieften Schutz durch die USA – gab es aber | |
| vor 2022 in keinem der Länder eine Mehrheit. | |
| Das änderte sich mit Kriegsbeginn, in Finnland noch schneller als in | |
| Schweden. Dass es in Stockholm mehr Bedenken gab, liegt in erster Linie an | |
| den Bedingungen, die die türkische Regierung früh formulierte. Sie verlangt | |
| unter anderem die Auslieferung türkischer Oppositioneller, was Schweden | |
| stärker betrifft, weil dort eine größere türkische und kurdische Community | |
| lebt. Entsprechend forderten etwa die oppositionellen schwedischen Grünen, | |
| für die Nato-Mitgliedschaft nicht die schwedische Politik „den Forderungen | |
| autoritärer Staaten anzupassen“. | |
| ## Baerbocks Mahnung | |
| Teilweise ist das dennoch passiert. Schwedische Gerichte haben zwar mehrere | |
| Auslieferungsgesuche abgelehnt. Die Regierung hat aber ganz im Sinne der | |
| Türkei die politische Unterstützung für die syrischen Kurden und deren | |
| Milizen eingestellt. Ein schwedisches Waffenembargo gegen die Türkei ist | |
| aufgehoben. Auch die US-Regierung hat Ankara in Aussicht gestellt, lange | |
| verwehrte F16-Kampfjets zu liefern. | |
| Der Erdoğan-Regierung reicht das aber nicht. Annalena Baerbock stärkt nun | |
| auf ihrer Reise den Skandinaviern den Rücken. Im Ständehaus von Helsinki – | |
| einem Bau aus dem 19. Jahrhundert, als Finnland noch zum Russischen Reich | |
| gehörte – trifft sie am Montag auf Pekka Haavisto, den finnischen | |
| Außenminister. | |
| Im Juli, beim Nato-Gipfel in Vilnius, seien Schweden und Finnland | |
| hoffentlich schon Mitglied, sagt Haavisto, ebenfalls ein Grüner. Baerbock | |
| erinnert daran, dass der letzte Gipfel in Madrid den Beitritt doch | |
| eigentlich schon einstimmig beschlossen hatte. „Wir erwarten von allen | |
| Nato-Mitgliedern, dass sie diesen Beschluss ohne weitere Verzögerung | |
| umsetzen“, sagt sie. | |
| Eine klare Botschaft: Die türkische Regierung soll kein weiteres | |
| Entgegenkommen erwarten, die ungarische keine weiteren Probleme machen – | |
| stattdessen sollen beide an die Vorteile denken, die der Beitritt | |
| militärisch auch für die Nato hätte: Sowohl Schweden als auch Finnland | |
| verfügen über gut ausgestattete Armeen. | |
| ## Finnland ja, Schweden nein? | |
| Die Finnen zum Beispiel haben mehr als 200 Leopard-2-Panzer, die Schweden | |
| mehr als 100. Beide Länder beteiligen sich bisher jedoch nicht an der | |
| Lieferung solcher Kampfpanzer an die Ukraine. Auch die deutsche | |
| Außenministerin kann ihnen keine entsprechenden Zusagen entlocken. Man habe | |
| noch keine „finale Entscheidung getroffen“, sagt der Finne Haavisto. Seine | |
| Regierung zweifelt offen daran, auch nur wenige der Panzer an der langen | |
| Grenze zu Russland entbehren zu können. | |
| Aber egal, wie gut die Skandinavier militärisch auch ausgestattet sind: | |
| Was, wenn alle Beitritts-Appelle an die Türkei nicht fruchten? Wenn Ankara | |
| entgegen vieler Hoffnungen auch nach den türkischen Wahlen im Mai nicht | |
| einlenkt? Oder wenn die türkische Regierung umsetzt, was sie jüngst | |
| angedeutet hat: Dass sie den Beitritt der Finnen ratifiziert, den der | |
| Schweden aber nicht? | |
| Am Dienstag sagt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel, er | |
| schließe nicht aus, dass Finnland erst mal allein vorangeht. Kurz darauf | |
| trifft Annalena Baerbock in Stockholm den schwedischen Außenminister Tobias | |
| Billström, einen Konservativen. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz sagt | |
| sie im Anschluss, es sei richtig, dass Schweden „auf Ankara zugegangen | |
| ist“, um deren Sorgen zu begegnen. Und fügt dann hinzu, dass es jetzt | |
| wirklich Zeit für den schwedischen Beitritt sei – und zwar „Hand in Hand | |
| mit Finnland.“ Keine Rede von zwei Geschwindigkeiten. | |
| Dann ist der Schwede Billström dran. Es gebe keinen Grund mehr für die | |
| Türkei, die beiden Beitritte weiter zu verzögern, sagt er zunächst. Von | |
| Anfang an hätten Schweden und Finnland ihre Anträge gemeinsam gestellt. | |
| Streng genommen stimme es jedoch, dass es um zwei separate Verfahren geht. | |
| „Letztendlich liegt die Ratifizierung bei der Türkei“, sagt Billström. We… | |
| die sich anders entscheidet als erhofft, müsse er das respektieren. | |
| Baerbock dürfte klar sein: Für die Bundesregierung gilt das natürlich auch. | |
| 14 Feb 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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