# taz.de -- Kritik an Protesten: Sind Klimaschützer die Mehrheit? | |
> Transformation fürs Klima ist wichtig, das wissen längst alle. | |
> Traditionelle Widerstandserzählungen sind überholt. | |
Bild: Blockade der Letzten Generation in Berlin am 17. Februar | |
Klimaschutz-Aktivisten haben in dieser Woche in Berlin einen kleinen Baum | |
vor dem Kanzleramt gefällt, um die „Zerstörung der Zivilisation durch | |
Wirtschaft & Politik sichtbar“ zu machen. Putzig, danke vielmals. Da wären | |
wir ja ohne die pädagogisch-metaphorische Belehrung der [1][„Letzten | |
Generation Hänschen klein“] niemals drauf gekommen. | |
Offenbar hält diese Truppe die Deutschen, also uns, für bescheuert, | |
gehirngewaschen durch Konsumfetischismus und so was, und deshalb apathisch | |
und ignorant gegenüber bösen Kapitalisten und ihren liberaldemokratisch | |
gewählten Helfershelfern, sodass man uns wachrütteln muss. | |
Das ist eine traditionelle Widerstandserzählung, sie stimmt halt nur so | |
nicht. Vor allem ist sie nicht produktiv zu bekommen. Was wäre denn die | |
Alternative zu Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie? | |
Linksautoritäre Staatswirtschaft ja wohl nicht, in der die Läden halbleer | |
sind, die Staatskassen ganz leer und die Leute davonrennen, wenn man sie | |
nicht erschießt. Ich chargiere jetzt auch mal etwas. | |
Oder sorgen statt gewählter Parlamentarier ausgeloste Bürger dafür, dass es | |
keine unterschiedlichen Interessen mehr gibt? Und dann sind wir alle gute | |
Menschen, und es kommt zu einem kollektiven moral change hin zu einem | |
Kleinstfußabdruck-Lebensstil ganz ohne Bali-Flüge? Get a life. | |
## Protest ist ein System | |
Protest ist ein System und hat eine Funktion. Aber wenn die | |
sozialökologische Transformation nach den verlorenen CDU-SPD-Jahrzehnten | |
jetzt an Dynamik gewinnen soll (und das soll sie!), muss die Gesellschaft | |
wissen, an welchem Punkt wir jetzt sind. Und da finde ich die These des | |
sozialökologischen Politikers Boris Palmer diskussionswürdig, dass wir über | |
die Phase hinaus seien, in der es noch darum ging, politische Mehrheiten zu | |
gewinnen und die Leute mit apokalyptischen Endzeitdrohungen zu bearbeiten. | |
Das heißt: Wir wissen mehrheitlich, dass wir transformieren müssen, sehen | |
die vielen Vorteile und wollen das jetzt auch tatsächlich machen. | |
Leider gehen damit die Herausforderungen erst los. Doch es sind eben andere | |
als die, die wir bisher bearbeiteten. Und sie sind womöglich noch größer. | |
Es braucht eine gesetzliche, digitale, unternehmerische und handwerkliche | |
Infrastruktur des Machens. Beispiel: Wenn die entsprechende Gesetzesvorlage | |
des grünen Wirtschafts- und Klimaministeriums durch den Bundestag ist, | |
müssen Windräder in sehr großer Zahl produziert sein, am besten von | |
weltmarktorientierten deutschen Firmen, und dann unverzüglich von Behörden | |
genehmigt, von Fachkräften hingestellt und in Betrieb gebracht werden. Dito | |
Solaranlagen, dito Wärmepumpen. Dito Ladeinfrastruktur für unsere | |
Elektroautos. Und so weiter. | |
Das klingt jetzt in der alten Change-the-world-yeah-yeah-Romantik etwas | |
lahm. Gerade mancher traditionelle „Radikal“-Sprecher wird sich damit | |
schwertun. Aber wer wirklich seit Jahren als verantwortlicher Politiker | |
oder in Energie-Genossenschaften die Transformation voranbringt, weiß, | |
wovon die Rede ist: Sitzungen, Anträge, Vorschriften von 1896, | |
Bürokratie-Irrsinn. | |
Protestieren, so verständlich das in emotionaler Not sein mag, ist nicht | |
die zentrale Aufgabe der nächsten Zeit. Es geht jetzt um eine Infrastruktur | |
des Machens. Wir brauchen Firmen, wir brauchen Produkte, wir brauchen | |
Installateure, wir brauchen eine funktionierende Bürokratie. Was wir gar | |
nicht brauchen, ist eine anachronistische Widerstandshaltung, die das | |
Missverständnis pflegt, die postfossile Bewegung sei in der Minderheit. Ja, | |
die FDP bremst, und andere blockieren noch. | |
Aber wir sind die Mehrheit. | |
26 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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