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# taz.de -- Selenski in London: Emotionen in Olivgrün
> Der ukrainische Präsident besucht Großbritannien. Im Parlament fordert er
> Kampfjets und „eine Welt, die in dunklen Stunden prinzipienfest bleibt“.
Bild: Selenski bei seinem Besuch in Downing Street am 08.02.2023
Mit einem emotionalen Auftritt in London hat der ukrainische Präsident
Wolodimir Selenski am Mittwoch eine Westeuropa-Reise eingeläutet, die ihn
auch nach Paris und Brüssel führen soll. Selenski traf am Mittwochvormittag
zum Auftakt seiner zweiten Auslandsreise seit Kriegsbeginn vor einem Jahr –
[1][die erste hatte ihn im Dezember in die USA geführt] – auf dem Londoner
Flughafen Stansted ein und besuchte den Amtssitz des Premierministers in 10
Downing Street, bevor er im Parlament eine Rede hielt, von König Charles
III empfangen wurde und dann noch britische Militärausbilder und
ukrainische Soldaten treffen sollte.
Premierminister Rishi Sunak empfing seinen Gast persönlich am Flughafen und
saß mit ihm im Auto nach London. Das war nicht minder ungewöhnlich wie die
Anwesenheit uniformierter ukrainischer Leibwächter am Amtssitz des Premiers
und der Applaus, der Selenski von innen entgegenbrandete, als er gemeinsam
mit Sunak durch die berühmte schwarze Tür von 10 Downing Street trat. Sunak
musste dann zur wöchentlichen Fragestunde im Unterhaus, die anders als
sonst gar nicht konfrontativ verlief: Labour-Oppositionschef Keir Starmer
bat immer nur um Bestätigung der Unterstützung der Ukraine, es herrschte
überparteiliche Geschlossenheit wie sonst nur in Kriegszeiten.
Dass dies Kriegszeiten sind, das machte Selenski selbst deutlich, als er
schließlich in Olivgrün vor rund 700 Abgeordneten aus Unter- und Oberhaus
trat, stehend dicht gedrängt in der ehrwürdigen Westminster Hall, wo im
September 2022 die Queen aufgebahrt war. In der zum Bersten gefüllten Halle
rief Selenski mit rauher Stimme auf Englisch: „Ich stehe vor Ihnen in
Vertretung der Mutigen, in Vertretung unserer Krieger in den Schützengräben
unter feindlichem Artilleriebeschuss.“ Er erinnerte daran, wie er einmal
auf Winston Churchills altem Amtssessel Platz nehmen durfte, und heute
kenne er dieses Gefühl: „Wie Mut dich durch die unvorstellbarsten Härten
führt und dich mit dem Sieg belohnt“.
Großbritannien habe „von der ersten Sekunde an“ an der Seite der Ukraine
gestanden, bedankte er sich und reservierte sein größtes Lob für Expremier
Boris Johnson, der im Publikum stand wie alle anderen und den er am
herzlichsten begrüßte von allen: „Boris, du hast andere zusammengebracht,
als es absolut unmöglich schien. Danke.“
## Die Unterstützung soll über das Militärische hinausgehen
Konkret stand im Mittelpunkt die ukrainische Forderung nach Nato-Kampfjets,
um die Nato-Kampfpanzer schützen zu können, wenn sie denn einmal an der
Front in der Ukraine eingetroffen sind. Selenski überreichte
Parlamentspräsident Lindsay Hoyle einen ukrainischen Pilotenhelm und
erklärte in Anspielung auf seinen nächsten Termin im Buckingham Palace: „In
Großbritannien ist der König ein Luftwaffenpilot. In der Ukraine ist jeder
Luftwaffenpilot ein König.“
Doch es ging Selenski auch um mehr. Im Zweiten Weltkrieg, erinnerte er,
habe man gemeinsam mit den Briten „das Böse“ besiegt. Aber das Böse sei n…
erstanden, und nun müsse man es erneut bekämpfen. „Wir wissen, dass die
Freiheit siegen wird. Wir wissen, dass Russland verlieren wird. Wir wissen
genau, dass dieser Sieg die Welt verändern wird. Das Vereinigte Königreich
marschiert mit uns zum wichtigsten Sieg unseres Lebens: den Sieg über die
Idee des Krieges an sich.“
Eine „neue Welt“ sei im Entstehen, „die weiß, wie man schnell hilft, wie
man sich effektiv wehrt, die in dunklen Stunden prinzipienfest bleibt, die
ehrlich verhandelt, den Tätern keine Immunität gewährt, die Vetos
überwinden kann; die keine Furcht kennt und die weiß, wie man siegt“. Es
geht darum, „dass die lichte Seite der menschlichen Natur die Oberhand
behält“.
Premierminister Sunak erklärte schriftlich, die britische Unterstützung der
Ukraine gehe über das Militärische hinaus. Man unterstütze Selenskis Pläne
für einen „gerechten und nachhaltigen Frieden“. Es gebe aber auch einen
Ausbau der Militärhilfe, insbesondere Ausbildung auch für die Luftwaffe und
die Marine. Das klingt nach einem Ertüchtigungsprogramm für den Fall, dass
tatsächlich Nato-Kampfjets an die Ukraine gehen.
## Scholz reist für Selenski nach Paris
Sunak kündigte auch eine „sofortige Aufstockung“ der Waffenhilfe für die
Ukraine an, um der erwarteten russischen Frühjahrsoffensive
entgegenzutreten. Details wurden nicht genannt, die britische Erklärung
verwendet für diese Aufstockung aber das Wort „surge“, das von
US-Großoffensiven in Irak oder Afghanistan in Erinnerung geblieben ist.
Nach ukrainischen Berichten starben m Dienstag so viele russische Soldaten
an der Front wie noch nie, nämlich 1030. Der Krieg wird offensichtlich
heftiger, aber es besteht auch eine gewisse ukrainische Zuversicht. Damit
dürfte Selenski auch am Mittwochabend in Paris auf Emmanuel Macron und Olaf
Scholz treffen und beim EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag auftreten. Dass
Scholz zum Dinner mit Selenski nach Paris reisen muss, bedeutet wohl, dass
Berlin nicht auf der Reiseroute steht.
8 Feb 2023
## LINKS
[1] /Selenski-in-den-USA/!5904350
## AUTOREN
Dominic Johnson
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