| # taz.de -- Sozialpsychologe über Klimaschutz: „Wir brauchen kollektive Lös… | |
| > Sollte man Menschen die angsteinflößenden Wahrheiten über die Klimakrise | |
| > zumuten? Ja, meint der Sozialpsychologe Immo Fritsche. | |
| Bild: Ein Lastenrad macht noch keinen Kimaschutz | |
| taz: Herr Fritsche, oft wird denen, die vor der Klimakrise warnen, | |
| Alarmismus vorgeworfen. Zu Recht? | |
| Immo Fritsche: Alarmistisch finde ich den Diskurs überhaupt nicht. Ich habe | |
| auch nicht den Eindruck, dass in der breiten Gesellschaft Alarmstimmung | |
| herrscht. Im Gegenteil: Der Ernst der Lage ist noch viel zu wenig präsent. | |
| Erstaunlich eingeschlafen kommt mir der Diskurs über unsere Konsummuster | |
| und unsere Lebensstile vor. Vieles muss sich für eine klimagerechte | |
| Transformation grundlegend ändern. | |
| Läuft man nicht Gefahr, dass es eher lähmt, wenn man zu viel Angst schürt? | |
| Schon in den 1940er und 50er Jahren gab es Untersuchungen dazu, ob | |
| sogenannte Furchtappelle erfolgreich sind, beispielsweise im Bereich | |
| Gesundheitsverhalten. Also, ob sie dazu führen, dass sich Menschen gesund | |
| ernähren und regelmäßig zum Arzt gehen. In den frühen Jahren der Forschung | |
| ging man davon aus, dass eine umgekehrte U-förmige Funktion das Verhältnis | |
| von Furchtintensität und Handlungsbereitschaft beschreibt. | |
| U-förmig? Was meinen Sie damit? | |
| Wenn man wenig furchteinflößend kommuniziert, reagieren Menschen nicht – | |
| aber auch nicht, wenn man zu viel Furcht kommuniziert. Dann erstarren sie. | |
| Neuere Forschung widerspricht dem aber. Über viele Studien hinweg zeigt | |
| sich, dass Furchtkommunikation eher einen linearen Effekt auf die | |
| Handlungsbereitschaft hat. Also: Je mehr Furcht, desto höher die | |
| Handlungsbereitschaft. Dieser Effekt ist jedoch ziemlich klein. Er wird | |
| wesentlich stärker, wenn auch Problemlösungen mitgeliefert werden. | |
| Die eigene Gesundheit kann man leichter beeinflussen als den Klimawandel. | |
| Lässt sich das überhaupt übertragen? | |
| Das stimmt. Ich als Individuum kann nicht morgens aufstehen und sagen, ich | |
| stoppe jetzt den Klimawandel. Das ist ein inhärentes Problem bei globalen | |
| und sozial komplexen Krisen. Handlungsfähig ist nicht das Individuum, | |
| sondern die Gemeinschaft der Individuen – das Kollektiv. | |
| Welche Lösungen kann man denn da anbieten, die nicht die Illusion füttern, | |
| das Problem sei mit ein bisschen Mülltrennen zu beheben? | |
| Es ist eine Eigenart unserer Psyche, dass wir uns selbst in vielen | |
| Situationen nicht so sehr über unsere individuellen Einzigartigkeiten | |
| definieren, sondern als Mitglieder von Gruppen. Wir haben die Fähigkeit, | |
| als Kollektiv zu denken und zu handeln. Lösungen müssen kollektiv gedacht | |
| werden und nicht nur auf individueller Ebene. Möglicherweise ist es also | |
| relevanter, Politik zu unterstützen, die zu einer klimagerechten | |
| Transformation führt, statt im Alltag zu recyceln oder [1][kürzer zu | |
| duschen]. | |
| Aber warum passiert das nicht? | |
| Menschen müssen darauf vertrauen, dass das Kollektiv, dem sie sich | |
| zugehörig fühlen, in der Lage und willens ist, etwas gegen den Klimawandel | |
| zu tun. Das sind also zwei wichtige Ansätze: [2][kollektives Denken und ein | |
| Fokus auf die Schaffung neuer gesetzlicher Regelungen] und Anreizsysteme | |
| anstatt nur auf den individuellen Alltag. Beides entgegnet der | |
| individuellen Hilflosigkeitswahrnehmung. | |
| Gerade an dem Vertrauen in das Kollektiv scheint es zu mangeln. | |
| Das stimmt. Es gibt einen überwältigenden Konsens in den meisten | |
| Gesellschaften, dass der Klimawandel ein riesiges Problem ist und dass | |
| dieses Problem angegangen werden muss. Einzelne unterschätzen das | |
| drastisch, dazu gibt es interessante Studien. | |
| Wie lässt sich das Vertrauen stärken? | |
| Es ist wichtig, auf diese breiten Mehrheiten hinzuweisen. Sowohl in den | |
| Medien als auch im Alltag. Jeder Einzelne kann darüber sprechen, dass ihm | |
| der Klimawandel Sorgen und das geringe Tempo im Klimaschutz Ärger bereitet. | |
| Viele haben Angst, die gute Laune zu verderben, wenn sie über den | |
| Klimawandel sprechen. Derweil teilen viel mehr Menschen diese Ansicht, als | |
| man denkt. Darüber sprechen hilft. | |
| 19 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Zauner | |
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