| # taz.de -- Sonnenallee in Berlin-Neukölln: Große Kunst in Architekturperle | |
| > Auswärtige kennen es, Einheimische eher weniger: Neben dem Neuköllner | |
| > Schifffahrtskanal liegt das höchst kunstambitionierte Kongresshotel | |
| > Estrel. | |
| Bild: Estrel-Schild auf dem Dach des Hotels. Innen gibt es auch eine hochwertig… | |
| Berlin taz | „Estrel“ – das klingt so schön nach „Estoril“, nach Riv… | |
| unterm Sternenhimmel. Tatsächlich aber liegt das bekannteste | |
| Vier-Sterne-Hotel der [1][Sonnenallee], jene postmoderne Architekturperle | |
| in Form eines stilisierten Ameisenbärroboters, nur zugig und semimaritim | |
| neben dem Neuköllner Schifffahrtskanal. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass | |
| sich der Name des Hotels – wohl dem Metier entsprechend – als Kofferwort | |
| aus „Ekkehard“ und „Streletzki“ versteht, dem Vor- und Nachnamen seines | |
| Besitzers. | |
| Das wussten Sie schon? Aber ist Ihnen auch bekannt, dass Herr Streletzki | |
| gemeinsam mit seiner Frau Sigrid eine Kunstsammlung mit Werken renommierter | |
| zeitgenössischer Künstler:innen im Umfang der Sammlung einer größeren | |
| Megayacht besitzt – und dies für alle sichtbar im Atrium und im gesamten | |
| Hotel- und Kongressbereich? Lautet Ihre Antwort nun „Nein“, dürften Sie | |
| Berliner:in sein, denn im Gegensatz zu Ihnen haben alle anderen | |
| Bundesbürger:innen im nach eigenen Angaben größten „Hotel-, | |
| Congress-&-Entertainment-Center Europas“ in ihrem Leben entweder schon | |
| gefühlt einmal übernachtet oder zweimal bei „Stars in Concert“ geklatscht. | |
| Haben Sie die letzte Frage allerdings bejaht, werden Sie sich sicherlich | |
| daran erinnern, dass in fast allen 1.125 Zimmern „spannende Originale | |
| russischer Künstler:innen hängen“, und vielleicht ist Ihnen Herr | |
| Streletzki auch schon einmal mit einem seiner bekanntesten Zitate auf den | |
| Lippen im Flur entgegengeeilt: „Wenn man in jedem Zimmer nur fünf Minuten | |
| bleibt, um die Kunst zu betrachten, dann bräuchte man sechs Tage und acht | |
| Stunden“. | |
| Dies jedenfalls (für Sie nachgerechnet: Wir kommen auf drei Tage und acht | |
| Stunden) verrät er der Sammlungsmanagerin, der Bunte-Kolumnistin Mon | |
| Muellerschoen, im Katalog zur hauseigenen Sammlung. Und was vordergründig | |
| entweder nach Drohung oder nach Steilvorlage für „Wetten, dass..?“ klingt, | |
| gewährt nur eine leise Vorahnung! Denn wie viele Tage erst muss man im | |
| Hotel spannende Originale russischer Künstler:innen betrachten, wenn der | |
| nebenan im Bau befindliche „Estrel Tower“ nach seiner Fertigstellung (circa | |
| 2024) mit 176 Metern und 525 Zimmern und Suiten auf 45 Etagen das höchste | |
| Haus Berlins sein wird? (für Sie überschlagen: 5,66 Tage). | |
| ## Große Kunst wohnt im Estrel | |
| Im Estrel wird also hoch gesammelt. [2][„Hier wohnt große Kunst“], heißt … | |
| auf der Sammlungswebsite, und wem das zu sehr nach Deichkind-B-Seite | |
| klingt, der hat doch wohl etwa nicht Anselm Reyles thronend im Atrium | |
| aufgehängte 5,66-mal-5,66-Meter-Aluminiumarbeit „Windspiel (Raute; | |
| Diamond)“ übersehen? Dabei ist es womöglich gar kein windsimulierender | |
| Motor, sondern ein herüberwehender Genius Loci, der hier für die nötige | |
| Bewegung sorgt – befindet sich des Künstlers sagenumwobenes Ateliergelände | |
| doch „nur eine kurze Joggingrunde vom Estrel Berlin entfernt“ (für Sie | |
| nachgejoggt: hin und zurück 6,4 Kilometer). | |
| „Oh, wie schön ist Ostberlin!“, ruft man also – Friedrich Merz in Gedank… | |
| – das Atrium betretend aus, vorbeiflanierend an Erwin Wurms bodypositivem, | |
| männlichen Bauchfrei-Model „GOOF“ (Bronze mit schwarzer Patina) zur | |
| Rechten, Peter Halleys abstrakten, farbenfrohen Acrylgemälden zur Linken. | |
| Aber, Moment! Ist das gar keine Kunst, sondern ein kaputtes Leitsystem des | |
| Hotels? Jein, denn wie es so schön im Katalog heißt, können Halleys Werke | |
| „auch als Kritik an einer Gesellschaft verstanden werden, die sich | |
| zunehmend von Systemen der Kommunikation abhängig macht. | |
| Genau aus diesem Grund war Halley begeistert, dass seine Arbeit im Estrel | |
| über zwei Monitoren hängt.“ „… oder kann das weg?“, meint man hingegen | |
| gleich daneben diejenigen Gäste zu hören, die mit ihren Trolleys eine nicht | |
| vorgesehene Abkürzung zwischen Rezeption und Atrium nehmen. Sie quetschen | |
| sich durch eine enge Lücke zwischen Andreas Schmittens Arbeit „Wald“ und | |
| einem architektonisch unabdingbaren Pfeiler („dabei steht der,Wald’ mit | |
| seiner Minimal-Art-Präsenz doch direkt vor einem – im Estrel Berlin“). | |
| Ärgerlich wiederum für jene Gäste, die sich räsonierend auf der | |
| Ledersitzgruppe neben Schmittens „riesiger Installation“ niedergelassen | |
| haben – so kommt man nicht zum Lesen! Dabei befindet sich hier doch eine | |
| ebenso riesige Schrankwand mit Kunstbibliothek und Kaminfeuer-Video. | |
| Kontext auf mehreren Regalmetern: Monografien, hier und da eine Sleek oder | |
| ein Gagosian-Katalog, aber auch Burton Andersons „Die 100 besten | |
| italienischen Rotweine“! Interessant auch der wuchtige Katalog der Art | |
| Basel 2017, schräg und etwas verloren in einer Regalecke. Ein besonders | |
| guter Jahrgang? Geht so, er verdeckt nur die dahinter eingelassene | |
| Steckdose. | |
| 10 Feb 2023 | |
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| [1] /Sonnenallee-in-Berlin-Neukoelln/!5911109 | |
| [2] https://www.estrel.com/de/art | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Conrads | |
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