# taz.de -- Die Wahrheit: Das schottische Gespür für Schnee | |
> Wer hat die meisten Wörter für das herabrieselnde Weiß? Die Inuit? | |
> Mitnichten! | |
Vorigen Mittwoch war „Imbolc“ – Frühlingsanfang. Jedenfalls nach dem | |
keltischen Kalender. Außerdem ist der 1. Februar auch St. Brigid’s Day. | |
Weil die Iren lange Wochenenden lieben, hat man den Feiertag zu Ehren der | |
Heiligen auf den heutigen Montag verlegt. Er wird in diesem Jahr zum ersten | |
Mal begangen, er ist das weibliche Gegenstück zum Nationalfeiertag, dem St. | |
Patrick’s Day. | |
In Irland war es zum Frühlingsanfang recht mild, aber unsere keltischen | |
Cousins und Cousinen auf der anderen Seite der Irischen See haben | |
vermutlich ihre Kalender verbrannt. Falls sie bei dem Wetter überhaupt ein | |
Streichholz entzünden konnten. Die Schotten hatten sich weiße Weihnachten | |
gewünscht. Stattdessen bekommen sie einen weißen Frühling. Die Meteorologen | |
prophezeien Schottland einen eiskalten Februar mit Stürmen wie im | |
legendären Winter 2018, als das Beast from the East das Land einfror. | |
Wenigstens gibt es im Schottischen genügend Worte, um die weiße Pracht zu | |
beschreiben, nämlich 421 Stück, darunter so schöne Begriffe wie „Skovin“ | |
für eine große Schneeflocke. „Flother“ ist ein einziges Schneeflöckchen. | |
„Flindrikin“ oder „Driffle“ beschreibt einen leichten Schneefall. Wenn … | |
hingegen richtig schneit, nennt man es „Sneesl“. Und falls jemand im | |
Schneegestöber eine Erscheinung hat, so leidet er unter „Snaw-Ghast“. | |
Akademiker der Universität Glasgow hatten vor einiger Zeit die Bevölkerung | |
dazu aufgerufen, lokale schottische Wörter zu melden, um einen | |
umfangreichen Thesaurus zu erstellen. Neben dem Wetter betrafen die meisten | |
Einsendungen den Sport. Wer hätte gedacht, dass nicht der Fußball die | |
meisten Synonyme verzeichnet, sondern das Murmeln. So heißt es zum Beispiel | |
„Runtit“, wenn man alle Murmeln an den Gegner verloren hat, während „Nie… | |
einen Murmelschummler entlarvt. Aber bei der Schnee-Wortvielfalt können | |
auch die Murmeln nicht mithalten. | |
## Einpacken | |
Die Inuit dürfen einpacken mit ihren lächerlichen 50 Worten für Schnee. Und | |
diese Zahl beruht auch nur auf einer Behauptung des Anthropologen Frank | |
Boas, der sie 1911 in seinem „Handbuch der nordamerikanischen Indianer“ | |
aufgestellt hat. 80 Jahre später nahm der schottische Linguist Geoffrey | |
Pullum von der Universität Edinburgh diese Theorie gründlich auseinander. | |
In seinem Buch „Der große Eskimo-Vokabelschwindel“ schreibt er: „Diese | |
angebliche lexikalische Extravaganz stimmt so hervorragend überein mit den | |
vielen anderen Facetten ihrer polysynthetischen Perversion: Nasen reiben, | |
Fremden die Ehefrau leihen, rohen Seehund-Schwabbelspeck essen, die Oma den | |
Eisbären zum Fraß vorwerfen.“ Das alles seien Belege für Rassismus. | |
Das nützt den Schotten mit ihrem winterlichen Frühling nichts, Aber sie | |
können sich damit trösten, dass irgendwann „Unbrak“ einsetzt: Tauwetter. | |
6 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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