# taz.de -- Bevölkerungsrückgang in China: China fehlen bald Arbeitskräfte | |
> Erstmals seit 1961 schrumpft die Zahl der Chinesinnen und Chinesen. | |
> Experten warnen vor den Folgen einer überalterten Gesellschaft für die | |
> Wirtschaft. | |
Bild: Ein Kind ist in China heute die soziale Norm | |
PEKING dpa | Chinas Bevölkerung ist im vergangenen Jahr erstmals seit sechs | |
Jahrzehnten geschrumpft. Ende Dezember habe das bevölkerungsreichste Land | |
der Welt 1,411 Milliarden Einwohner gehabt und damit rund 850.000 weniger | |
als ein Jahr zuvor, teilte das Statistikamt in Peking am Dienstag mit. | |
Experten sprechen von einem „Wendepunkt“ in Chinas Geschichte und warnen | |
vor verheerenden Folgen einer „unvorstellbaren“ Bevölkerungskrise. | |
„Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind düsterer als | |
erwartet“, meint der US-Sozialwissenschaftler Yi Fuxian von der Universität | |
von Wisconsin. „China wird eine Schrumpfung durchlaufen müssen.“ Auch müs… | |
es [1][seine Sozial- und Wirtschaftspolitik] ändern. Auf den Überschuss an | |
Werktätigen, der Chinas Wirtschaftswunder als „Werkbank der Welt“ | |
angekurbelt hatte, folgt jetzt Arbeitskräftemangel: „Chinas | |
Produktionssektor wird unterbesetzt und überaltern – und so schnell | |
abnehmen wie der Japans“, so Yi Fuxian. | |
Es war der erste Bevölkerungsrückgang seit 1960 und 1961, berichtete das | |
Statistikamt, ohne die Zahlen gesondert zu kommentieren. Damals waren in | |
den verheerenden Hungersnöten als Folge der irregeleiteten | |
Industrialisierungskampagne des „Großen Sprungs nach vorn“ von Mao Tse-tung | |
viele Millionen Menschen ums Leben gekommen. | |
Die Geburtenrate lag im vergangenen Jahr nur noch bei 6,77 Neugeborenen auf | |
1.000 Menschen – ein historischer Tiefpunkt. Erstmals in der Geschichte der | |
Volksrepublik lag die Zahl der Geburten unter 10 Millionen. Nur 9,56 | |
Millionen Babys wurden geboren, während 10,41 Millionen Menschen gestorben | |
sind, wie das Statistikamt berichtete. Die Sterberate habe bei 7,37 auf | |
1.000 Menschen gelegen. Damit ergebe sich ein Bevölkerungswachstum von | |
minus 0,6 auf 1.000 Menschen. | |
Der unabhängige Forscher Yi Fuxian, der seit langem die chinesische | |
Bevölkerungsentwicklung kritisch verfolgt, hält auch die jetzigen Zahlen | |
unverändert für geschönt. Nach seinen Berechnungen schrumpft die | |
chinesische Bevölkerung sogar schon seit vier Jahren. Immerhin sieht er ein | |
offizielles Eingeständnis, dass der Rückgang rund zehn Jahre früher | |
eingetreten ist als bisher von der Regierung vorhergesagt. Anders als bei | |
den Hungersnöten 1960 und 1961 sei der Trend jetzt allerdings | |
„unumkehrbar“, meint Yi Fuxian. | |
Unaufhaltsam gehen seit Jahren die Geburten zurück, während die | |
Gesellschaft überaltert. Die Auswirkungen der seit 1979 verfolgten | |
„Ein-Kind-Politik“ werden immer spürbarer. Die Aufhebung der umstrittenen | |
Geburtenkontrolle führte 2016 nur kurzzeitig zu einem leichten Anstieg der | |
Geburten. Nur ein Kind zu haben, ist in China heute die soziale Norm. Zwei | |
Generationen haben es nie anders erlebt, so dass es tief in der | |
Gesellschaft verankert ist. | |
Daneben sehen Experten die hohen Kosten für Wohnraum, Bildung und | |
Gesundheitsversorgung in China sowie die schwindende Bereitschaft zur | |
Heirat als wesentliche Gründe für die beunruhigende Entwicklung. [2][Die | |
seit drei Jahren andauernde Coronapandemie] und hohe Arbeitslosigkeit | |
gerade unter jungen Menschen schufen weitere Unsicherheiten, die den Trend | |
noch beschleunigt haben dürften. Knapp jeder fünfte junge Mensch zwischen | |
16 und 24 Jahren ist in Chinas Städten ohne Job. | |
Als Reaktion auf den Geburtenrückgang und die rapide Überalterung wurden | |
2021 auch drei Kinder erlaubt. Außerdem bemüht sich die Regierung seither, | |
es jungen Paaren leichter zu machen, für Kinder zu sorgen. Die Kosten für | |
Kindergärten und Schulbildung wurden gesenkt. Finanzhilfen wurden gewährt, | |
Mutterschafts- und Elternurlaub erleichtert. Viele Frauen befürchten, dass | |
sich eine Mutterschaft negativ auf ihre berufliche Karriere auswirkt. | |
Die Folgen der Bevölkerungskrise [3][für die zweitgrößte Volkswirtschaft] | |
sind enorm. Schon länger müssen immer weniger Werktätige immer mehr alte | |
Leute versorgen. Jeder fünfte Chinese ist heute älter als 60 Jahre. | |
Unterstützten 2020 fünf Beschäftigte zwischen 20 und 64 Jahren einen | |
älteren Menschen über 65 Jahre, werden es 2050 nur noch 1,5 Arbeitnehmer | |
sein. „Ohne soziales Netz, ohne die Sicherheit der Familie wird sich eine | |
Rentenkrise zu einer humanitären Katastrophe entwickeln“, warnt Forscher Yi | |
Fuxian. | |
17 Jan 2023 | |
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