# taz.de -- Hockeyweltmeister Deutschland: Fehlt nur noch die Anerkennung | |
> In einem dramatischen Finale besiegt das deutsche Hockeyteam Belgien. Am | |
> Status einer Randsportart dürfte das wenig ändern. | |
Bild: Dramatik zeigt sich in Gesichtern: Moritz Trompertz (r.) jubelt nach dem … | |
Auf dem blauen Kunstrasen im Hockeystadion von Bhubaneswar lag ein buntes | |
Menschenknäuel. Auf der einen Seite fielen die deutschen Spieler in ihrem | |
schwarzen Dress vor Freude übereinander her. Auf der anderen wurden diverse | |
Tribünen und Triumphbögen für die Siegerehrung installiert. Und etwas | |
abseits saß Bundestrainer André Henning im Tor und versuchte unter den | |
Augen von 16.000 begeisterten Zuschauern heimlich ein paar Tränen zu | |
verdrücken. | |
Im wohl besten Spiel [1][dieser WM] hatte seine Mannschaft zuvor im | |
Penaltyschießen den Titelverteidiger und Olympiasieger Belgien geschlagen. | |
Henning muss in diesem Moment bewusst geworden sein, dass seine Jungs hier | |
im indischen Bundesstaat Odisha nicht nur den dritten Weltmeistertitel | |
gewonnen, sondern auch den Stoff für Legenden gewoben haben. | |
Wenig später auf der Pressekonferenz hatte sich der 39-Jährige wieder | |
gefangen und erst einmal das Handy gezückt, um den Presseraum zu | |
fotografieren. Dass vor ihm geschätzte 100 Journalisten und 20 Kamerateams | |
sitzen, bekommt auch ein Hockeyweltmeister nicht alle Tage zu sehen. Nach | |
seinen Tränen befragt, sagte Henning mit einem breiten Lachen: „Ich kenne | |
viele der Spieler, seit sie 13 oder 14 sind. 2013 bin ich mit ihnen hier in | |
Indien Juniorenweltmeister geworden. Seitdem haben sie so viele wichtige | |
Spiele oftmals unglücklich verloren. Der Titel jetzt ist einfach so | |
verdient.“ | |
Natürlich musste Henning auch die außergewöhnlichen Comebackfähigkeiten des | |
deutschen Teams erklären. Sowohl im Viertel- und Halbfinale als auch im | |
Endspiel hatte das Team um Kapitän Mats Grambusch jeweils mit 0:2 | |
zurückgelegen. Unter den Journalisten hatten schon Witze die Runde gemacht. | |
Etwa dass die Deutschen erst dann als geschlagen gelten können, wenn sie im | |
Bus sitzen. | |
## Erst die Dramatik, dann der Glanz | |
Genau für diese Stärke habe man das Training komplett umgestellt, | |
berichtete Hening. „Wir sind im Sommer zum Beispiel nach Schweden gefahren. | |
Auf eine kleine Insel. Ganz ohne Hockeyschläger und Handys. Dort haben sich | |
die Jungs geschworen, so hart zu trainieren wie noch nie.“ Deutschland, so | |
erklärte es der Bundestrainer den vorwiegend indischen Journalisten, sei | |
eines der wenigen Länder mit dezentralisiertem Training. Da komme es stark | |
auf die Eigenmotivation an. Und genau das hätte in den engen Spielen sehr | |
geholfen. „Wir waren hier physisch und mental extrem stark. Das haben auch | |
die Gegner gemerkt. Und für uns war gut zu merken, dass die anderen müde | |
werden, wir aber nicht!“ | |
Einer, der wie kein anderer für diesen Willen steht, war mit Sicherheit der | |
28-jährige Niklas Wellen. Der Stürmer vom Crefelder HTC leistete gerade im | |
Finale ein unfassbares Pensum und brachte sein Team mit einem Tor nach | |
sehenswerter Technik in der 28. Minute zum zwischenzeitlichen 1:2 zurück | |
ins Spiel. Der hoch aufgeschossene Schlaks, der für die WM sogar die Geburt | |
seines ersten Kindes verpasste und nach dem Finale zum besten Spieler des | |
Turniers gekrönt wurde, brachte es auf dem Punkt: „Wir bekommen erst jetzt | |
die Aufmerksamkeit, die wir längst verdienen. Und das ist umso absurder, da | |
wir nach Titeln gerechnet die erfolgreichste Mannschaftssportart | |
Deutschlands sind.“ | |
Die außergewöhnliche Dramatik der deutschen K.-o.-Spiele, so Wellen, könnte | |
dieser deutschen Hockeynationalmannschaft einen besonderen Glanz verleihen. | |
Tatsächlich hatte sich das Team im Viertelfinale gegen England einer | |
ungewohnten Manndeckung erwehren müssen und, so gab es André Henning später | |
zu, „57 Minuten Scheiße“ gespielt. Mit viel Glück hatte es nach 60 Minuten | |
2:2 gestanden. Und Penaltys verliert Deutschland gegen England bekanntlich | |
nie. | |
Die Australier ließen den Deutschen im Halbfinale dagegen viele Räume und | |
dort drehte Hennings Team schon nach der Halbzeit die Partie. Gegen die | |
Belgier, zu diesem Zeitpunkt noch Titelverteidiger, Olympiasieger und | |
möglicherweise eine der besten Mannschaften, die jemals Hockey gespielt | |
hat, standen die Weichen dann eigentlich schon zum Ende des zweiten | |
Viertels auf Sieg. Nachdem die Deutschen ein 0:2 in eine 3:2-Führung | |
verwandelt hatten, verwandelte der Belgier Tom Boon zwei Minuten vor | |
Schluss noch eine Strafecke und machte damit klar: Das war Belgiens goldene | |
Generation, die würde ihren Thron nicht kampflos räumen. | |
Bei allen Comebacks musste Deutschland nun ein weiteres Penaltyschießen | |
überstehen. Und Belgien hatte Vincent Vanasch, den besten Torhüter des | |
Turniers, der bereits beim WM-Finale 2018 an gleicher Stelle das | |
Penaltyschießen für Belgien gewonnen und das Kunststück im Halbfinale gegen | |
die Niederlande bei dieser Weltmeisterschaft wiederholt hatte. Das war | |
seine Zone. Er wusste, was zu tun war. Doch auch Deutschland hatte in dem | |
extra dafür eingewechselten Jean-Paul Danneberg einen | |
Shootout-Spezialisten. An ihm scheiterte im achten Penalty der unglückliche | |
Tanguy Cosnys und ließ den belgischen Traum der Titelverteidigung platzen. | |
Auf die frisch gekürten Weltmeister wartet im Sommer eine | |
Heim-Europameisterschaft in Mönchengladbach. Für die, so Niklas Wellen, | |
wünsche sich die Mannschaft, dass sich dann herumgesprochen habe, „was für | |
eine Supertruppe da gerade [2][Hockey] für Deutschland“ spielt. | |
## Sportmacht Indien | |
Für den Rest der Hockeywelt bleibt hingegen ein Turnier in [3][Indien], | |
welches die Hoffnung nährt, dass die Begeisterung auf dem Subkontinent dem | |
Nischensport neues Leben einhauchen kann. Auch deshalb wird über die | |
Wiederbelebung der Hockey India League nachgedacht, für die schon einmal | |
zwischen 2013 und 2017 die besten Spieler der Welt aufgelaufen waren. | |
Dass Indien Sportevents im Weltmaßstab organisieren kann, will man in | |
diesem Jahr noch einmal beweisen, wenn im September und Oktober die WM im | |
Cricket stattfindet. Es ist kein Geheimnis mehr, dass diese beiden | |
Weltmeisterschaften eine Probe sind. Denn das seit diesem Jahr | |
bevölkerungsreichste Land der Welt will sich um die Ausrichtung der | |
Olympischen Spiele 2036 bewerben. Im Zentrum steht dabei Achmedabad, die | |
5,6 Millionen Einwohner zählende Heimatstadt des amtierenden | |
Premierministers Narendra Modi. Die Hockey-WM 2023 in Odisha kann dafür als | |
ausgezeichnetes Bewerbungsschreiben betrachtet werden. | |
30 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Henkel | |
Karl-Udo Wenholt | |
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