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# taz.de -- Sexuelle Gewalt im indischen Sport: Kriminelle Ignoranz
> Indische Ringerinnen protestieren gegen sexuelle Gewalt. Beschuldigt
> werden Trainer und der Verbandspräsident. Die Regierung schaltet sich
> ein.
Bild: Starke Stimme des Protests: Vinesh Phogat bei einer Demonstration
Mit [1][Indien-Flaggen] in der Hand saßen vergangene Woche junge
Ringer:innen auf dem bekannten Protestplatz in der Hauptstadt Delhi.
Eine Anklage dieser Art gab es im indischen Sport bisher noch nicht:
Angeführt von Vinesh Phogat, fordern die besten Ringer:innen des Landes
den Rücktritt des Verbandsvorsitzenden, der zugleich Politiker in der
Regierungspartei BJP ist. Es geht um sexuelle und psychische Gewalt. Zudem
sollen den Sportler:innen Sponsorengelder vorenthalten worden sein.
Die Freistil-Ringerin Phogat, die bei der WM 2019 Bronze gewann, erklärte:
„Die Ringerinnen wurden in den nationalen Camps von Trainern und auch dem
WFI-Präsidenten Brij Bhushan Sharan Singh sexuell belästigt.“ [2][Das
passiere schon seit Jahren.] Die 28-jährige fordert an der Seite von
Kolleg:innen wie Sakshi Malik oder Bajrang Punia, die jeweils bereits
olympische Medaillen gewonnen haben, die mächtigen Funktionäre heraus.
Phogat sagt, sie kenne mehrere Betroffene. Sie selbst wurde zwar nicht
sexuell belästigt, habe aber Morddrohungen von Funktionären erhalten,
nachdem sie [3][Premierminister Narendra Modi (BJP)] bei einem Treffen nach
den Olympischen Spielen in Tokio auf die Probleme aufmerksam machte. Die
Ringerin aus dem nordindischen Haryana fürchte um ihr Leben, sagte sie
öffentlich und unter Tränen. „Ich habe fast zehn Jahre lang versucht, mit
dem Verband zu sprechen und ihn dazu zu bringen, meine Probleme und die
anderer Ringer zu verstehen. Aber niemand ist auch nur bereit, zuzuhören.“
Mit dem dreitägigen Sitzprotest in der Nähe des Parlamentsgebäudes konnte
Phogat so viel Druck aufbauen, dass Sportminister Anurag Thakur (ebenfalls
BJP) sie einlud, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Das Ministerium
setzte die Aktivitäten der WFI am Wochenende vorläufig aus und kündigte die
Entlassung von Spitzenbeamten an. Gleichzeitig setzte die Regierung ein
Aufsichtsgremium ein, um Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs und
finanzieller Unregelmäßigkeiten gegen den WFI-Präsidenten Brij Bhushan
Singh zu untersuchen.
## Eine Boykottdrohung
Der 66-jährige BJP-Abgeordnete Singh, der den Ringerverband seit 2011
führt, weist die Vorwürfe als „Verschwörung“ zurück. Zunächst beschuld…
er einen Industriellen, später einen Politiker aus der konkurrierenden
Kongresspartei als Drahtzieher einer Kampagne. Singh wäre „bereit, gehängt
zu werden“, wenn nur eine Ringerin den Vorwurf der sexuellen Belästigung
beweisen könne.
Bislang ist die Identität der belästigten Sportlerinnen unbekannt, um sie
nicht in Gefahr zu bringen. „Man werde die Namen der Betroffenen an die
Ermittler weitergeben“, sagte Sakshi Malik. Die Ringer:innen hatten
einen Boykott aller Wettkämpfe angekündigt, sollte Singh nicht abgesetzt
werden.
Nachdem der Sportminister einlenkte, entspannte sich die Lage. „Ich danke
der Regierung im Namen aller meiner Mitstreiter dafür, dass sie unseren
Protest und unsere Forderungen ernst genommen hat“, sagte Bajrang Punia und
betonte: „Unser Kampf richtet sich nicht gegen die Regierung. Wir alle
kämpfen gegen den Verband und seinen Präsidenten.“ Er begrüßte die Zusage,
dass der Vorfall innerhalb von vier Wochen untersucht werden soll. Bis
diese abgeschlossen sei, werde WFI-Chef Singh sein Amt nicht ausüben,
versprach Sportminister Thakur. Die Ringer:innen hatten [4][in einem
offenen Brief] an den indischen olympischen Sportverband (IOA) gefordert,
der Verband müsse sich neu aufstellen und künftig in Absprache mit den
Ringer:innen geführt werden.
Spannungen zwischen Athlet:innen und dem Verband gibt es schon länger.
Vinesh Phogat wurde etwa [5][bei den Olympischen Spielen in Tokio]
verwarnt, da sie sich von ihren Teammitgliedern isolierte. Dabei wollte sie
so die Gefahr einer Corona-Infektion verringern. Nachdem sie keine
olympische Plakette gewonnen hatte, berichtete Phogat, sei sie so sehr
gemobbt worden, dass sie Suizidgedanken hatte.
Vinesh Phogat sagte gegenüber dem Sender NDTV: „Es ist besser, einmal zu
sterben, als jeden Tag langsam zu sterben. Wir können nachts nicht
schlafen, weil wir keine Ahnung haben, ob wir an dem Wettbewerb teilnehmen
werden oder nicht. Wir wissen nicht, ob diese Trainer und ihre Unterstützer
etwas ins Essen mischen und wir bei der Dopingkontrolle positiv getestet
werden könnten.“
24 Jan 2023
## LINKS
[1] https://twitter.com/Phogat_Vinesh/status/1615613720666996736
[2] /Sexualisierte-Gewalt/!5880198
[3] /Deutsch-indische-Beziehungen/!5847514
[4] https://twitter.com/Phogat_Vinesh/status/1616326321180938240
[5] /Bilanz-der-Olympischen-Spiele/!5788048
## AUTOREN
Natalie Mayroth
## TAGS
Sexuelle Gewalt
Ringen
Indien
Sexualisierte Gewalt
Schwerpunkt #metoo
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Cricket
Indien
Kolumne Über den Ball und die Welt
Vereinssport
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