# taz.de -- Wladimir Putins Russland: Mission erfüllt, Putin kann gehen | |
> Die Bilanz von Russlands Präsident Putin ist verheerend – wirtschaftlich, | |
> demografisch und politisch. Das Adjektiv „russisch“ steht für Zerstörun… | |
Bild: Russlands Präsident Wladimir Putin bei dem Besuch einer Rüstungsfabrik … | |
Russlands Wladimir Putin glaubt wahrscheinlich selbst, dass es seine | |
Mission sei, Amerika zu besiegen, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der | |
Russland das Sagen haben wird, und so weiter und so fort. Aber er irrt | |
sich. Seine Mission war es, Russland zu vernichten. Und das hat er auch | |
geschafft. Er kann nun in Frieden gehen. | |
Tatsächlich ist dies das Einzige, was er erreicht hat, sonst nichts. Die | |
Wirtschaft schrumpft, die demografische Situation verschlechtert sich, die | |
technologische Rückständigkeit vertieft sich, überall herrscht eine | |
überwältigende Heuchelei – all dies sind Errungenschaften seiner | |
Regierungszeit. Die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Krieg und | |
Massaker sind der Höhepunkt. | |
Für die Welt ist ein Land verschwunden, mit dem man zusammenarbeiten und | |
interagieren kann. Nun bleibt nur ein Gebiet, von dem eine Bedrohung | |
ausgeht. Um diese abzuwehren, muss man sich zusammenschließen. | |
Ein Land ist mehr als ein Gebiet. Das Territorium geht nirgendwohin, und | |
die Menschen werden zumeist auch bleiben: Selbst heute ist es keine | |
Mehrheit, die Russland verlässt. Ein Land ist eine Kultur, eine | |
Lebensweise, eine Identität, eine Art, in der Welt gesehen zu werden. Das | |
Land ist ein Bindeglied zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit – | |
Kontinuität –, und die Zukunft betrifft sowohl das, was heute ist, als auch | |
das, was früher war. | |
## Das Land nach dem Oktoberputsch 1917 | |
Unser Land ist schon einmal verschwunden – es wurde von den Bolschewiken | |
zerstört. [1][Nach dem Oktoberputsch] gab es ein Territorium, auf dem | |
gewisser Wahnsinn stattfand, aber zu Russland, zu seiner Kultur, zu seiner | |
Geschichte hatte das keinen Bezug mehr, außer zu den pathologischsten | |
Momenten – wie der Zeit der Herrschaft Iwans des Schrecklichen. | |
Das Land wurde zu einer Negation der russischen Geschichte und Kultur, es | |
tötete oder verbannte diejenigen, die das alte Land symbolisierten, und | |
ließ die Erinnerung an diejenigen, die vor 1917 gestorben waren, in | |
Vergessenheit geraten oder entstellte sie. Danach erlebte das Land | |
jahrzehntelang eine lange und schmerzhafte Wiederbelebung – aber es gelang | |
ihm nicht, jemals wieder ganz zu sich zu kommen. | |
Jetzt ist etwas ganz Ähnliches passiert. Bis vor Kurzem wurde das Wort | |
„Russland“ sowohl mit schlechten als auch mit guten Dingen in Verbindung | |
gebracht – Diktatur, Stalin, Lager, aber auch russische Kultur, Aufbruch | |
ins All, Sieg. Aber das ist alles Vergangenheit. So wie einst die Worte | |
„Deutschland“ oder „deutsch“ nicht mit Goethe oder den großen deutschen | |
Wissenschaftlern, sondern mit der SS, dem wahnsinnigen Führer und den Öfen | |
von Auschwitz und Treblinka assoziiert wurden, so wird heute alles, worauf | |
das Adjektiv „russisch“ angewendet wird, nur als Tod, Zerstörung, | |
Aggression und Lüge wahrgenommen. Und das wird lange so bleiben! | |
Das Land ist verschwunden. Und nicht nur das: Alles, was wir [2][seit Ende | |
der achtziger Jahre] aufgebaut haben, ist zerstört worden. Es gibt keine | |
russische Kultur. Ja, die Opernsaison der Mailänder Scala wurde mit Modest | |
Mussorgsky eröffnet und Anton Tschechow wird an allen Theatern der Welt | |
inszeniert. Aber wenn es früher hinter diesen Namen etwas gab, was man | |
große russische Kultur nannte, so stehen Alexander Puschkin oder Pjotr | |
Tschaikowsky heute für sich allein da, ohne Bezug zu einem kulturellen | |
Kontext. Sie sind da, doch hinter ihnen gähnt nichts als Leere. | |
## Es gibt auch keine russische Armee | |
Eine russische Armee gibt es nicht mehr, es gibt [3][nur eine gefährliche | |
bewaffnete Gruppe], die in der Ukraine den Tod sät. Denn eine Armee | |
verteidigt ihr Land und agiert nicht wie Banditen in einem benachbarten | |
Land, ohne ein anderes Ziel als die Verwirklichung vager Fantasien in der | |
ersten Person. Eine moderne Armee ist eine Einheit und besteht nicht aus | |
sich bekriegenden Privatarmeen. Eine moderne Armee hat Disziplin. Dort | |
kommt es auch zu Exzessen, aber sie bestraft Vergewaltiger und Plünderer, | |
anstatt sie zu ermutigen, eine Stadt zu plündern oder Einheiten von | |
Verbrechern den Titel der Garde zu verleihen. Es gibt keine Armee mehr. | |
Mit dem Wort Russland verbindet man seit Peter dem Großen die Vorstellung | |
von militärischer Macht. Jetzt hat Putin der Welt gezeigt, dass es | |
überhaupt keine Macht gibt. Dies ist bereits gefährlich für die Sicherheit | |
des Gebiets, das Russland bis vor Kurzem war. Stalins erfolgloser | |
Winterkrieg gegen Finnland (er dauerte von November 1939 bis März 1940 und | |
offenbarte Schwächen der sowjetischen Armee; d. Red.) veranlasste Hitler | |
zum Einmarsch in die UdSSR – warum nicht angreifen, wenn die Rote Armee | |
schwach war? | |
Die von der Nato ausgehende Bedrohung wurde natürlich von unseren Behörden | |
erfunden, wohingegen die Bedrohung durch China oder einige Taliban sehr | |
real ist. Ihr entschlossenes Handeln gegenüber benachbarten Gebieten ist | |
wahrscheinlicher geworden. Früher gab es (in den Augen der Welt) ein | |
militärisch starkes Land und jetzt, egal wie viele Trickfilme über | |
Wunderwaffen gezeigt werden, egal wie viele Paraden abgehalten werden, ist | |
alles, was übrig bleibt, ein Gebiet, das für jeden Aggressor zugänglich | |
ist. | |
## Russland hat keinen Präsidenten mehr | |
Auch in Russland gibt es eigentlich keinen Präsidenten. Es ist nicht so, | |
dass er keine Legitimität durch Wahlen hätte. Ein Präsident, König oder | |
Sultan ist jemand, der die Ordnung aufrechterhält (nicht unbedingt die | |
verfassungsmäßige, aber eine gewisse) und mit der Außenwelt und dem eigenen | |
Land kommuniziert. | |
Die Ordnung ist ebenso wie die Verfassung schon lange nicht mehr gegeben – | |
Brände, schmutzige Abwässer, Nichteinhaltung eingegangener Verpflichtungen | |
(bald wird man im Gefängnis landen, wenn man offizielle Versprechen der | |
letzten Jahre veröffentlicht, denn der Staat wird diskreditiert). | |
[4][Doch Putin verweigert die Kommunikation. Er trat zum Beispiel nicht auf | |
dem letzten G20-Gipfel auf], der eine großartige Gelegenheit geboten hätte, | |
der Welt zu erklären, dass sie im Unrecht sei, während Putin im Gegenteil | |
in allem recht habe. | |
Auch mit seinen eigenen Leuten will er nicht kommunizieren – [5][er hat die | |
Pressekonferenz] und die verfassungsmäßig vorgeschriebene Rede vor der | |
Föderationsversammlung (sie besteht aus beiden Kammern des Parlaments; d. | |
Red.) abgesagt, genauso wie den Neujahrsempfang – er will nicht einmal zu | |
„seinen Getreuen“ sprechen. | |
Vor nicht allzu langer Zeit trat Putin auf dem Valdai-Forum (einem seit | |
2004 jährlich im Herbst in Russland stattfindenden Treffen von | |
Journalisten, Politikern, Experten/Wissenschaftlern und Personen des | |
öffentlichen Lebens aus Russland und anderen Ländern; d. Red.) auf. Dort | |
sagte er: „Warum brauchen wir eine Welt ohne Russland?“ Genau diese Art von | |
Welt – ohne Russland –, ist dank Wladimir Putins Bemühungen im Jahr 2022 | |
entstanden. | |
Aus dem Russischen [6][Gemma Terés Arilla] | |
21 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Leonid Gozman | |
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