# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Neues Jahr, neues Leid | |
> Die Ukraine hofft auf Leopard-Panzer, Russland baut seine Militärspitze | |
> um und die Kämpfe im Donbass gehen weiter: Ein Überblick über den Stand | |
> des Kriegs. | |
Bild: Ein ukrainischer Soldat raucht eine Zigarette im Schützengraben an der F… | |
Wie ist der Stand beim Krieg in der Ukraine? | |
Russland hat seine Lehren aus den vielen Rückschlägen der vergangenen | |
Monate gezogen. Im Frühjahr 2022 versuchte Russland, blitzartig die Ukraine | |
zu überrennen. Das scheiterte. Im Sommer 2022 konzentrierte man sich auf | |
den Osten und versuchte, den Donbass komplett einzunehmen. Es gelangen | |
einige Geländegewinne, aber keine Einkesselung der ukrainischen | |
Verteidiger. Im Herbst 2022 gelang der Ukraine zuerst das Zurückdrängen der | |
russischen Armee rund um Charkiw, später auch im Süden rund um Cherson. | |
Russland startete daraufhin einen Terrorkrieg aus der Luft: Es beschießt | |
zivile Ziele mit Raketen und zerstört systematisch die ukrainische Wasser- | |
und Stromversorgung. Die Kämpfe konzentrieren sich nun im Winter erneut auf | |
den Donbass. Russische Frontalangriffe rund um die Bergbaustadt Bachmut | |
führten zu einigen der blutigsten Schlachten des Krieges bisher. Bittere | |
Gefechte brachten Russland [1][diese Woche die Eroberung der Kleinstadt | |
Soledar] bei Bachmut – ihre erste klare Eroberung seit Sewerodonezk im Juli | |
2022. Die Front insgesamt aber bewegt sich kaum noch. | |
Was ist jetzt zu erwarten? | |
Experten gehen davon aus, dass sowohl Russland als auch die Ukraine | |
Befreiungsschläge in Form großer Offensiven planen – bis hin zu den | |
Extremszenarien eines erneuten russischen Einmarsches von Belarus aus in | |
Richtung Kyjiw, oder einer ukrainischen Großoffensive im Süden Richtung | |
Krim. | |
Die führenden Generäle der Ukraine sagten [2][dem britischen Economist in | |
einem Gespräch Mitte Dezember], sie rechneten mit neuen russischen | |
Großangriffen voraussichtlich im Februar, eventuell auch Anfang März oder | |
schon Ende Januar. Der [3][Militäranalyst Mick Ryan prognostiziert]: „Für | |
Russland wird es darum gehen, Gelände zu sichern, das die Annexionen von | |
2022 konsolidiert, und auf Zeit zu spielen, in der Hoffnung, dass der | |
Westen kriegsmüde wird. Für die Ukraine ist das Ziel von Präsident Selenski | |
explizit beschrieben worden: die Russen aus dem gesamten ukrainischen | |
Staatsgebiet zu drängen und die Ukrainer in den besetzten Gebieten zu | |
befreien.“ | |
Ist Russland überhaupt zu neuen Großoffensiven fähig? | |
Nicht im aktuellen Zustand. Jedenfalls, wenn man den täglich aktualisierten | |
Zahlen der Ukraine über russische Verluste glaubt. Am 13. Januar zählte die | |
Ukraine rund 114.130 getötete russische Soldaten und 342.290 Verwundete. | |
Westliche Schätzungen gehen von deutlich niedrigeren, aber doch untragbar | |
hohen russischen Verlusten aus. Aus Soledar wurde zuletzt der russische | |
Abtransport von sechs Tonnen Leichen pro Tag gemeldet. | |
Nach den vielen Luft- und Raketenangriffen auf die Ukraine der vergangenen | |
Monate gehen auch die Raketen- und Drohnenbestände Russlands zur Neige. | |
Iran und Nordkorea helfen aus, aber das ist kein vollwertiger Ersatz. | |
Im Herbst 2022 befahl Russlands Präsident Putin eine Teilmobilisierung, die | |
300.000 frische Soldaten bringen sollte. Das französische | |
Forschungsinstitut IFRI schätzt, dass 80.000 bereits in die Ukraine | |
geschickt wurden, davon 50.000 direkt an die Front. Westliche Geheimdienste | |
gehen davon aus, dass Russland weitere 150.000 bis 200.000 Soldaten aus der | |
Teilmobilisierung in Reserve hält, um im Frühjahr 2023 eine komplett neue | |
Invasionsarmee losschicken zu können. | |
Was bedeutet die jüngste Umbesetzung an Russlands Armeespitze? | |
Am 11. Januar 2023 wechselte Wladimir Putin [4][zum zweiten Mal seit | |
Kriegsbeginn seine Militärspitze aus]. Abberufen wurde der erst im Oktober | |
zum Oberkommandierenden des Ukrainefeldzugs ernannte Luftwaffengeneral | |
Sergej Surowikin, wegen seiner Strategie des Bombenterrors auf Syriens | |
Rebellengebiete als „General Armageddon“ bekannt. An seine Stelle rückt | |
Generalstabschef Waleri Gerassimow, der die Invasion im Februar 2022 | |
geleitet hatte und als eher glücklos galt. | |
Surowikin bleibt für den Luftkrieg zuständig, aber kommandiert nun keine | |
Bodentruppen mehr. Dies gilt auch als Signal im innerrussischen Machtkampf. | |
Surowikin steht aus seinen Syrien-Zeiten der russischen Söldnertruppe | |
Wagner nahe, deren Chef Jewgeni Prigoschin sich diese Woche öffentlich im | |
eroberten Soledar zeigte und betonte, allein seine Truppen hätten diesen | |
Sieg errungen, nicht die reguläre Armee. Wagner-Kämpfer hatten bereits im | |
Dezember Gerassimow als Versager kritisiert. Werden sie ihm nun folgen? | |
Russlands Verteidigungsministerium begründet die Auswechslung mit der | |
„Erweiterung der Aufgaben“ und der „Notwendigkeit für engere Interaktion | |
zwischen den Gattungen der Streitkräfte“. Das könnte auf die Rückkehr zu | |
großen Bodenoffensiven hindeuten. | |
Westliche Länder wollen der Ukraine mit Panzern helfen. Hilft das in dieser | |
Situation? | |
Als politisches Signal auf jeden Fall. Aber kurzfristig fordern ukrainische | |
Militärs vor allem Drohnen und Munition; auch eine stärkere Luftabwehr. | |
Panzer werden vor allem gebraucht, um Offensiven gegen einen Feind zu | |
führen, der sich nicht bereits zurückzieht. Monatelang lehnten westliche | |
Länder genau deshalb die Panzerforderungen ab, weil sie Angst hatten, | |
Russland zu provozieren. Jetzt ist die Einsicht gewachsen, dass diese | |
Zurückhaltung Russland eher ermutigt hat. | |
Reichlich spät werden nun die Konsequenzen gezogen. Anfang Januar kamen die | |
Zusagen von leichten Panzern aus Frankreich, den USA und Deutschland. Jetzt | |
wird über schwere Panzer gesprochen – [5][Leopard 2 aus deutscher | |
Produktion], Challenger 2 aus Großbritannien, Abrams-Kampfpanzer aus | |
US-Herstellung. Klarheit dürfte das nächste Treffen der | |
Ukraine-Unterstützer auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein am 20. Januar | |
bringen. | |
Wären diese Panzer im September zugesagt worden, als die Debatte um | |
Leopard-Panzer schon einmal tobte, wären sie inzwischen da. Nun dürften | |
sie, wenn freigegeben, erst im Frühjahr einsatzbereit sein, also im | |
Tauwetter, wenn schweres Kriegsgerät im Schlamm steckenbleibt. | |
Könnte eine Eskalation des Krieges durch Verhandlungen vermieden werden? | |
Verhandlungen mit der Ukraine sind aus Moskauer Sicht nur möglich, wenn | |
diese zuvor die „neuen Realitäten“ anerkennt, also die russischen | |
Annexionen ukrainischen Gebiets. Das ist für die Ukraine undenkbar, weil | |
damit nicht nur Gebiete verlorengehen, sondern auch Menschen geopfert | |
werden. | |
Erst diese Woche wurde in einer russischen TV-Talkshow darüber räsoniert, | |
wie man mit jenen Menschen in der Ukraine umgehen solle, die von der | |
„Krankheit des Ukrainismus“ befallen seien. Kann man sie umerziehen oder | |
muss man sie auslöschen? Die Antwort: „Die Kinder kann man umerziehen, aber | |
den Feind muss man auslöschen.“ | |
14 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5908611 | |
[2] https://www.economist.com/zaluzhny-transcript | |
[3] https://twitter.com/WarintheFuture/status/1612943234598305793?s=20&t=2Z… | |
[4] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5908475 | |
[5] /Panzer-fuer-die-Ukraine/!5908521 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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