# taz.de -- Illegale Exporte in die USA: Ist ein Flugblatt eine Straftat? | |
> Das Verwaltungsgericht Oldenburg verhandelt gegen Friesoythe: Die Stadt | |
> verbot, Flugblätter zu verteilen, die zum Whistleblowing aufriefen. | |
Bild: Was Hunde einschläfert, hilft auch, Menschen so einem US-Knast zu töten | |
BREMEN taz | In der Stadt Friesoythe sieht man es nicht so gern, wenn gegen | |
eine ortsansässige Firma demonstriert wird. Auch dann nicht, wenn die – zu | |
Recht – im Verdacht steht, [1][illegal Gift] in die USA exportiert zu | |
haben, das dort genutzt wird, um zum Tode Verurteilte zu exekutieren. Also | |
hat die Stadt dem Friedensaktivisten Hermann Theisen 2018 untersagt, in | |
Friesoythe ein Flugblatt zu verteilen, das die Mitarbeiter:innen der | |
[2][VET Pharma Friesoythe GmbH] zum Whistleblowing aufruft. Doch durfte sie | |
das überhaupt? | |
Darüber verhandelte am Dienstag das Verwaltungsgericht Oldenburg – in | |
Abwesenheit der Stadt Friesoythe, die durch ihren Bürgermeister vertreten | |
sein sollte, wie es im Gerichtsaushang hieß. Der SPD-Mann kam aber nicht. | |
Aus der Weltsicht der Stadt war Theisen eine Gefahr für die öffentliche | |
Sicherheit und Ordnung, sein Flugblatt eine Straftat. Genauer gesagt, der | |
[3][strafbare öffentliche Aufruf zu einer Straftat]: Laut dem Gesetz gegen | |
den unlauteren Wettbewerb (UWG) konnte man damals für den Verrat von | |
Geschäftsgeheimnissen fünf Jahre in den Knast wandern. | |
Theisen wollte die „illegalen Exporte“ der Friesoyther Pharmafirma | |
anprangern. Recherchen des [4][NDR] und der [5][Süddeutschen Zeitung] | |
hatten zuvor ergeben, dass sie wohl mehrere Tonnen des Tierarzneimittels | |
„Beuthanasia-D“ in die USA verschifft hatte – das Medikament wird | |
üblicherweise dazu verwendet, Hunde einzuschläfern. Der Hauptwirkstoff, | |
Pentobarbital, wird in den USA aber auch eingesetzt, um Menschen | |
hinzurichten. Der Export dieses Mittels verstößt deshalb nicht nur gegen | |
das Außenwirtschaftsgesetz, sondern auch gegen die Anti-Folterverordnung | |
der EU. | |
## Heute ist der Aufruf straffrei | |
Also rief Theisen die Mitarbeiter:innen der Firma per Flugblatt auf, | |
die Öffentlichkeit „umfassend und rückhaltlos“ über mögliche illegale | |
Exporte zu informieren. Und zwar nicht ohne eine „Rechtsbehelfsbelehrung“, | |
die darauf hinwies, dass arbeitsrechtliche Konsequenzen und ein | |
Strafverfahren drohen können. | |
Heute ist ein Aufruf wie dieser straffrei, denn eine Richtlinie der EU | |
schützt seit 2018 Whistleblower:innen – den Paragrafen aus dem UWG | |
gibt es nicht mehr, dafür ein [6][Gesetz zum Schutz von | |
Geschäftsgeheimnissen]. Folgerichtig sprach das Oberlandesgericht Oldenburg | |
Herrn Theisen 2019 frei, nachdem das Amtsgericht in Cloppenburg ihn 2018 zu | |
einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt und 47 sichergestellte Flugblätter | |
eingezogen hatte. | |
Theisen „verfolgte das Ziel, eine Diskussion anzustoßen“, attestierte ihm | |
das Oberlandesgericht damals: „Der behauptete Export von Giftstoffen stellt | |
ein ethisch zu missbilligendes Verhalten dar.“ | |
2021 verurteilte das Landgericht Oldenburg den Geschäftsführer und eine | |
weitere Mitarbeiterin von VET Pharma Friesoythe wegen der Exporte zu einer | |
Geldbuße von 10.000 Euro und zog das damit verdiente Geld „in Höhe von | |
777.638,71 Euro“ ein. | |
Theisens Flugblatt war „eine Provokation“, sagte am Dienstag sein Anwalt | |
Martin Heiming, und dass er nicht ernsthaft damit rechnen durfte, dass | |
Mitarbeiter:innen wirklich Interna über den Giftdeal mit den USA | |
ausplaudern. Haben sie auch nicht – bei ihm gemeldet habe sich keiner, | |
sagte Theisen im Gericht. | |
Dass diese Provokation damals strafbar war, glaubt Heiming nicht, der die | |
Stadt Friesoythe „versammlungsfeindlich“ nennt. Denn das UWG, mit dem | |
Friesoythe argumentierte, sei hier „kein passendes Gesetz“. Es ziele auf | |
Wettbewerbsverzerrung ab, und auf Menschen, die daraus Profit ziehen. Auch | |
der Verwaltungsrichter erklärte, dass die Rechtsauffassung der Kommune in | |
der Rechtsprechung „ziemlich umstritten“ und „eher wackelig“ sei. | |
Ein Urteil steht zwar noch aus, doch der Richter ließ durchblicken, dass | |
die Stadt zumindest viel gründlicher hätte prüfen und besser argumentieren | |
müssen, eh sie das Flugblatt verbot – zumal damals bereits rechtlich klar | |
war, dass Whistleblower sehr bald viel besser geschützt sein würden. | |
Auch die Hamburger Zollfahndung war damals schon weiter: Sie bat Theisen um | |
die Namen der Whistleblower:innen – „eine Schizophrenie des | |
Rechtsstaates“, wie der Richter sagte. Schließlich war es dieselbe | |
Staatsanwaltschaft, die Theisen, aber auch die Firma bestraft sehen | |
wollte. | |
11 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ausfuhren-von-Pestiziden/!5881249 | |
[2] https://www.msd-tiergesundheit.de/ueber-uns/standorte/ | |
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__111.html | |
[4] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Liefert… | |
[5] https://www.sueddeutsche.de/politik/exklusiv-deutsches-unternehmen-soll-tie… | |
[6] /Gesetzentwurf-der-Justizministerin/!5738519 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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