# taz.de -- Friesoythe bekämpft Friedensaktivisten: Keine Erstattung dem Proze… | |
> Die Stadt Friesoythe verbot Hermann Theisen rechtswidrig, Flugblätter | |
> gegen Gift-Export zu verteilen. Sie versteht nicht, warum sie jetzt | |
> verklagt wurde. | |
Bild: Brachte Friesoythe 2018 unerfreuliches Medieninteresse ein: die Firma VET… | |
BREMEN taz | Nur weil man Kläger ist, heißt das ja noch lange nicht, dass | |
man auch zum eigenen Gerichtsverfahren kommen muss. Findet jedenfalls die | |
Stadt Friesoythe. Deren Bürgermeister Sven Stratmann (SPD) war ja | |
schließlich auch nicht zu dem [1][Prozess am Oldenburger | |
Verwaltungsgericht] gefahren, nur weil er der Beklagte war. Mehr als 30 | |
Kilometer wären das gewesen. | |
Friedensaktivist Hermann Theisen – der Kläger – aber kam, sogar aus | |
Hirschberg an der Bergstraße, das liegt etwas nördlich von Heidelberg, über | |
500 Kilometer entfernt. Und er ist als klarer Sieger aus dem Verfahren | |
hervorgegangen, bei dem es um die Frage ging, ob die Stadt Friesoythe ihm | |
2018 verbieten durfte, ein Flugblatt zu verteilen. Durfte sie nicht, | |
entschied das Verwaltungsgericht. Also müsste die Stadt jetzt – als | |
Prozessverliererin – Herrn Theisen 308,10 Euro erstatten, nämlich seine | |
Fahrt- und Übernachtungskosten. Das will sie nicht, und dafür lieber noch | |
mal das Verwaltungsgericht bemühen. | |
Es könnte eine Anekdote sein, eine Art „Faschingswitz“, wie Theisen sagt. | |
Es reiht sich aber ein in eine jahrelange Auseinandersetzung mit ihm, bei | |
der Friesoythe sich lieber auf die Seite einer ortsansässigen Firma stellt, | |
der [2][VET Pharma Friesoythe GmbH]. Die hat illegal einen tödlichen | |
Giftstoff unter anderem in die USA exportiert. Das zum US-Konzern [3][Merck | |
Sharp & Dohme (MSD)] gehörende Unternehmen ist mit 170 | |
Mitarbeiter:innen schon einer der größeren Arbeitgeber der Region. Es | |
produziert jährlich rund 500.000 Liter sterile Tierarzneimittel. | |
## Gift zur Vollstreckung der Todesstrafe | |
Dazu gehört Beuthanasia-D, ein Medikament, das dazu dient, Hunde | |
einzuschläfern. Der Hauptwirkstoff Pentobarbital wird in den USA | |
eingesetzt, um Menschen hinzurichten. Das Präparat wirkt wie ein starkes | |
Betäubungsmittel, legt Herz und Atmung lahm; irgendwann tritt der Hirntod | |
ein. Wenn es Hinweise darauf gibt, dass das Gift zur Vollstreckung der | |
Todesstrafe verwendet werden könnte, verstößt sein Export gegen das | |
[4][Außenwirtschaftsgesetz] und die [5][Anti-Folterverordnung der EU]. 2018 | |
gab es laut Amnesty International faktisch keine großen Pharmakonzerne | |
mehr, die den USA noch Pentobarbital lieferten. | |
Also hat man in Friesoythe ausgeholfen. Recherchen von [6][NDR] und | |
[7][Süddeutscher Zeitung] hatten ergeben, dass mehrere Tonnen der | |
Injektionslösung Beuthanasia-D illegal exportiert wurden, zu einer | |
US-amerikanischen Schwesterfirma. Es ist jedoch nicht erwiesen, dass die | |
Lieferung aus Friesoythe am Ende tatsächlich für Hinrichtungen verwandt | |
wurde. | |
Die Staatsanwaltschaft ermittelte in insgesamt fünf Fällen aus den Jahren | |
2017 und 2018, bei denen Pentobarbital in die USA, aber auch nach Asien | |
geliefert wurde. 2021 verurteilte das Landgericht Oldenburg den | |
Geschäftsführer und eine weitere Mitarbeiterin von VET Pharma Friesoythe | |
wegen der Exporte zu einer Geldbuße von 10.000 Euro und zog das damit | |
verdiente Geld „in Höhe von 777.638,71 Euro“ ein. | |
Als Herr Theisen 2018 aus den Medien von der Sache erfuhr, wollte er die | |
Pharmafirma anprangern. Und deswegen in Friesoythe ein Flugblatt verteilen, | |
das die Mitarbeiter:innen zum Whistleblowing aufrief. Sie sollten die | |
Öffentlichkeit „umfassend und rückhaltlos“ über mögliche illegale Expor… | |
informieren, hieß es da. | |
Es war „eine Provokation“, sagte sein Anwalt, er rechnete nicht damit, dass | |
wirklich Interna ausgeplaudert würden. Gleichwohl enthielt sein Flugblatt | |
einen Hinweis, wonach Whistleblower:innen arbeitsrechtliche Konsequenzen | |
und ein Strafverfahren drohen könnten. | |
Die Stadt Friesoythe verbot Theisen, die Flugblätter zu verteilen, zehn | |
Exemplare landeten später dennoch unter den Scheibenwischern von Autos der | |
Mitarbeiter:innen. Aus Sicht der Stadt war Theisen sogar „eine Gefahr für | |
die öffentliche Sicherheit“ – und sein Flugblatt eine Straftat. | |
Theisens Interesse, mit dem Flugblatt „seine politische oder | |
moralisch-ethische Überzeugung kundzutun“ stehe „außerhalb der Schranken | |
der Grundrechte“, fand man in Friesoythe. Und berief sich darauf, dass laut | |
dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) der Aufruf zum | |
Whistleblowing ein Aufruf zu einer Straftat sei – und damit also auch | |
strafbar. | |
Diese Rechtsauffassung war schon 2018 fragwürdig, rügt das | |
Verwaltungsgericht Oldenburg in seinem Urteil, denn eine in Deutschland | |
noch nicht umgesetzte, aber schon gültige [8][EU-Richtlinie von 2016 | |
schützt Whistleblower:innen]. Den Paragrafen aus dem UWG gibt es heute | |
nicht mehr. Es war also für Friesoythe zumindest „deutlich absehbar“, dass | |
Theisens Flugblatt schon bald nicht mehr strafbar sein würde. | |
Trotzdem beharrte die Stadt auf ihrem Verbot. Dafür hätte sie eine | |
umfassende „Gefahrenprognose“ anstellen und Theisen Grundrechte auf | |
Demonstrations- und Meinungsfreiheit würdigen müssen, so das Gericht. | |
Friesoythes Verbotsbescheid lässt eine solche inhaltliche | |
Auseinandersetzung „indes nicht in ausreichender Weise erkennen“. Er war | |
also rechtswidrig. | |
Klein beigeben will man in Friesoythe nicht: Das Gericht wird nun „um | |
Mitteilung gebeten“, ob das persönliche Erscheinen Theisens „zur | |
Rechtsverfolgung erforderlich“ war. Ja, sagt der Kläger, es gab ja Fragen | |
des Richters, die nur er hatte beantworten können. „Hätte Friesoythe bei | |
der Verhandlung nicht mit Abwesenheit geglänzt, so wäre ihre mehr als | |
peinliche Anfrage überflüssig gewesen“, so Theisen. „Jetzt nachzutreten | |
bedarf doch eines gehörigen Maßes an Chuzpe.“ | |
## Die Stadt kam nicht zur mündlichen Verhandlung | |
Die Stadt Friesoythe sagt demgegenüber, dass sie „selbstverständlich alle | |
Kosten übernehmen wird“, aber das Gericht um Festsetzung des konkreten | |
Betrages gebeten habe. Man werde „die angemessenen Kosten des Klägers | |
übernehmen“, sagt die Erste Stadträtin Heidrun Hamjediers der taz. | |
Friesoythe lege Wert auf die Feststellung, „dass die ursprüngliche mit | |
Auflagen versehene Genehmigung der Whistleblower-Aktion rechtlich nicht | |
haltbar“ war und deshalb schon 2019 revidiert worden sei. Damit sei der in | |
dem aktuellen Verfahren angegriffene Bescheid bereits „gegenstandslos | |
geworden“. | |
Deshalb kam die Stadt auch nicht zu der mündlichen Verhandlung nach | |
Oldenburg: Das Verfahren habe nach Einschätzung Friesoythes „keinen | |
weiteren Erkenntnisgewinn“ mit sich gebracht: „Es war nicht erkennbar, was | |
die Stadt viereinhalb Jahre nach dem Ereignis noch erhellendes zum Vorgang | |
hätte beitragen können.“ Und schließlich sei man ja auch nicht vor-, | |
sondern nur eingeladen gewesen, so Hamjediers. Und so eine Einladung | |
beinhalte immer auch das Recht, sie nicht anzunehmen. | |
21 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Illegale-Exporte-in-die-USA/!5904987 | |
[2] https://www.niedersachsen-technikum.de/unternehmen/teilnehmende-unternehmen… | |
[3] https://www.msd.de/ | |
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/awg_2013/ | |
[5] https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Antragsarten/Anti_… | |
[6] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Liefert… | |
[7] https://www.sueddeutsche.de/politik/exklusiv-deutsches-unternehmen-soll-tie… | |
[8] https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20190410IPR37529/whistleb… | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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