| # taz.de -- China-Restaurants in Berlin: Die Gaststätte als Ausstiegsmodell | |
| > China-Restaurants sind besser als ihre Ruf und haben eine lange | |
| > Tradition. Außerdem macht es Spaß, dort Kellner*innen in Gespräche zu | |
| > verwickeln. | |
| Bild: Kann ganz schön lecker sein: Essen im China-Restaurant | |
| Einmal die 576, bitte? Von wegen! Viele der angeblich über 10.000 | |
| China-Restaurants in Deutschland und 400 China-Restaurants in Berlin sind | |
| trotz ihrer Liebe zu recht ähnlich wirkenden großen Aquarien und Goldvasen | |
| besser als ihr Ruf. | |
| Sie haben ja auch eine hundertjährige Tradition. Angeblich wurde das erste | |
| China-Restaurant 1923 vom ehemaligen Koch der chinesischen Gesandtschaft | |
| gegründet – und zwar ausgerechnet in der Berliner Kantstraße, die bis heute | |
| als die asiatischste Straße der Hauptstadt gilt. | |
| Das Restaurant, das nach der nordchinesischen Stadt Tianjin benannt wurde | |
| und damals Tientsin hieß, gibt es nicht mehr; in der Kantstraße 130b | |
| befinden sich nur noch ein Brillenladen und eine Apotheke im Erdgeschoss. | |
| Dennoch ist es interessant, sich auf seine Spuren zu begeben, denn | |
| angeblich avancierte es bald zum Treffpunkt der chinesischen Community in | |
| Berlin. | |
| ## Marx in Deutschland studieren | |
| Zwischen den Kriegen waren vor allem Chinesi*nnen nach Berlin gekommen, | |
| um hier zu studieren. Die deutsche Journalistin und Autorin chinesischer | |
| Abstammung Dagmar Yu-Dembski hat schön beschrieben, wie sich die Schriften | |
| von Marx und Engels in China zu verbreiten begannen – und einige | |
| wohlsituierte Söhne und Töchter deren Werke in ihrem Ursprungsland | |
| studieren wollten. | |
| Zu den prominentesten chinesischen Berlinern dieser Zeit gehörten der | |
| spätere Ministerpräsident Zhou Enlai, der langjährige Armeeführer Zhu De | |
| und der Trotzkist Zheng Chaolin. Eine der damals bekanntesten Chinesinnen | |
| war Song Qingling, die nach dem Tod ihres Mannes, des Republikgründers Dr. | |
| Sun Yatsen, vorübergehend nach Berlin ins Exil ging. All diese Menschen | |
| werden zumindest kulinarisch Sehnsucht gehabt haben nach China, dem Land | |
| mit einer der vielfältigsten Küchen der Welt. | |
| Und wie steht es heute mit den China-Restaurants? Wer in den Karten noch | |
| immer nur auf die krosse Ente und die Frühlingsrollen starrt und partout | |
| nichts findet, was wirklich nach China schmeckt, der kann ja mal versuchen, | |
| die oder den nächstbesten Kellner*in in ein Gespräch zu verwickeln. Bald | |
| wird sich herausstellen, dass in vielen dieser Restaurants nach wie vor | |
| interessante Exilant*innen ein- und ausgehen, zum Beispiel der Autor | |
| [1][Liao Yiwu] oder bildende Künstler wie [2][Ai Weiwei] oder Meng Huang. | |
| Und noch etwas: Nach wie vor sind viele Besitzer*innen der sogenannten | |
| China-Restaurants aus ganz anderen Gründen nach Deutschland gekommen als | |
| fürs Kochen. Einige von ihnen wurden nach Deutschland geschickt, weil sie | |
| hier ein ungeliebtes Fach studieren sollten und das Restaurant als Ausstieg | |
| aus den Karriereplänen der Eltern benutzten. Andere sind vor der | |
| gescheiterten Revolution 1989 geflohen. | |
| Die meisten haben tolle Geschichten zu erzählen – und empfehlen danach oft | |
| sehr gern ein Gericht, das weiter hinten in der Speisekarte steht und ganz | |
| anders schmeckt als erwartet. | |
| 5 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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