# taz.de -- Ausstellung „Flying Foxes“: Kapitalismuskritik mit Megayacht | |
> Im Kunstverein Hamburg zeigt der amerikanische Künstler Cory Arcangel die | |
> Zusammenhänge zwischen digitalen Medien und globaler Produktion. | |
Bild: Die Installation „Runners“ arbeitet mit den Instagram-Feeds von Onlin… | |
136 Meter: So lang ist die Yacht, die – als Foto – die Wände des | |
Ausstellungsraums schmückt. Allerdings ist nicht die ganze „Flying Fox“ zu | |
sehen, so heißt das Boot, sondern nur ein Ausschnitt; durch die | |
großformatige Reproduktion verpixelt, also nicht sofort zu erkennen. An der | |
Imposanz ändert das nichts. Entstanden ist das Foto mit einer Handykamera | |
im Hafen von Stavanger, Norwegen, der Wahlheimat von [1][Cory Arcangel]. | |
In seinen Arbeiten beschäftigt sich der US-amerikanische Künstler, Jahrgang | |
1978, mit der Verbindung von digitaler Technologie und zeitgenössischer | |
Popkultur. Seine Spielfläche sind die „digitalen Medien“, seine „Flying | |
Foxes“ betitelte Hamburger Ausstellung, kuratiert von Nicholas Tammens, | |
komplementiert also „Data Streaming: Unter diesem Titel werden im | |
Obergeschoss des Kunstvereins derzeit Arbeiten von Michel Majerus gezeigt. | |
Das Hauptaugenmerk liegt bei Arcangel nun auf der Videoarbeit „Runners“: | |
Auf den ersten Blick sind das zwei überdimensional große Handys, | |
nebeneinander in die Horizontale gekippt. Auf beiden Bildschirmen läuft ein | |
Instagram-Feed von rechts nach links, eigentlich also von unten nach oben; | |
so langsam, so, dass die Betrachter*innen die Bilder und kurzen Videos | |
anschauen können. Auf dem linken Riesenhandy ist es das Profil des | |
Handelsriesen Amazon, rechts jenes des Ölkonzerns ConocoPhillips. Bilder | |
und Videos sind daher eine Mischung aus Unternehmensselbstdarstellung und | |
Werbeangeboten. Jeder Beitrag wird „gelikt“, danach wird weiter gewischt: | |
Die Rolle der User*in übernimmt ein Bot, er likt und scrollt. | |
Das dadurch simulierte User*innenverhalten kann zu einer passiven | |
Überstimulation führen. Die Installation saugt ihr Publikum in eine | |
Marketingwelt der Großkonzerne und wirkt dabei geradezu hypnotisierend. Die | |
bewegten Bilder auf den hellen Bildschirmen spiegeln sich an den | |
Ausstellungswänden wider – und damit an der „Flying Fox“. | |
Wer aus der Medienparalyse erwacht, könnte sich fragen, was jene Darbietung | |
mit der Megayacht zu tun hat. Die Antwort ist so einfach, wie sie komplex | |
ist: Das implizite Thema der Ausstellung sind die unsichtbaren, | |
symbolischen Fäden des kapitalistischen Lebensnetzes. Die „Flying Fox“ | |
steht dabei symbolisch für einen exorbitanten Reichtum, regelmäßiger Gast | |
an Bord soll neben anderen Berühmtheiten der Tech-Milliardär und | |
Amazon-Besitzer Jeff Bezos gewesen sein. Der Hafen wiederum, in der die | |
Megayacht seit Längerem liegt, ist zudem [2][bekannt als eine Art | |
Steueroase]: Der Begleittext zu „Flying Foxes“ berichtet von entfallender | |
Mehrwertsteuerpflicht auch für ganz woanders gebaute Boote. | |
Neben solchen Steuerschlupflöchern ist es vor allem der digitale | |
Massenkonsum, der die Dividende von Tech-Konzernen in die Höhe treibt. Die | |
Strukturen hinter all den bequem zu nutzenden Online-Plattformen sind für | |
die User*innen intransparent. Algorithmen und das permanente Erfassen | |
ihrer Daten lassen die Konsument*innen auch zu Produzent*innen | |
werden; was sie von sich preisgeben, hält nicht nur Social Media am Leben. | |
Die User*innen gestalten freilich weniger, als dass für sie gestaltet | |
wird: ein Angebot, die Waren, die sie kaufen sollen. Dieses Prinzip ist | |
sehr effektiv, Amazon verkaufte an den „Prime-Days“ 2022 innerhalb von zwei | |
Tagen 300 Millionen Artikel. Der Konzern ist einer der wenigen richtig | |
großen Gewinner der wirtschaftlichen Krisen des vergangenen Jahres. | |
Ein weiterer ist der texanische Ölproduzent ConocoPhilipps, den man auf dem | |
rechten Bildschirm sehen kann; ein Lieferant des Treibstoffs, der das | |
kapitalistische Netzwerk am Leben hält: Energie. Die wird benötigt, um | |
Waren herzustellen und sie zu transportieren. Und schlussendlich auch für | |
die Benutzung von Luxusgütern wie Autos, Flugzeuge oder eben Megayachten: | |
Der enorme Bedarf an Energie ist dabei unweigerlich ein Resultat des | |
steigenden Massenkonsums. | |
Arcangels Ensemble vereint so den Zusammenhang zwischen digitalem | |
Marketing, der dahinterstehenden Infrastruktur und dem daraus | |
resultierenden ganz materiellen Reichtum. Ohne den moralischen Zeigefinger | |
zu heben, schafft es der Künstler, ein Bewusstsein zu wecken für die sonst | |
nicht ohne Weiteres sichtbaren Strukturen des heutigen Konsums. | |
11 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Paul Weinheimer | |
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