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# taz.de -- Anti-Corona-Maßnahmen in China: Das Ende der „Null Covid“-Stra…
> Protestwelle und ökonomische Misere bringen Chinas Führung zum Umdenken:
> Zwangseinweisungen und Lockdowns sind Vergangenheit.
Bild: Flächendeckende Lockdowns sind ab jetzt verboten, Straßenszene in Pekin…
Peking taz | Chinas pandemischer Paradigmenwechsel ließ sich bereits seit
Tagen erahnen, doch am Mittwoch hat die Staatsführung das landesweite Ende
von „[1][Null Covid]“ besiegelt: In einem neuen Zehn-Punkte-Plan werden
nahezu sämtliche der drakonischen Corona-Maßnahmen entweder deutlich
aufgeweicht oder ganz über Bord geworfen.
Die Öffnung ist beachtlich: Infizierte, die bisher unter Zwang in
Quarantänespitäler transferiert wurden, dürfen sich nun in den eigenen vier
Wänden auskurieren. Flächendeckende [2][Lockdowns], die oft über Nacht
ganze Stadtviertel lahmlegten, sind fortan verboten. Und auch die
stadtweiten Massentests sind aufgehoben: Nur bestimmte Einrichtungen wie
Pflegeheime, Schulen oder große Firmen können noch den Nachweis eines
aktuellen PCR-Tests verlangen.
Bei etlichen Chinesen dürften die neuen Maßnahmen für ein tiefes Durchatmen
sorgen, macht das neue Regelwerk doch wieder eine zuverlässige
Alltagsplanung möglich. Doch gleichzeitig ist auch nach knapp drei Jahren
„Null Covid“ die Unsicherheit darüber zu spüren, wie das „Leben mit dem
Virus“ konkret ausschauen wird.
Ausgerechnet in Peking, dem politischen Machtzentrum, ist der Wind des
Wandels besonders deutlich zu spüren: Viele der PCR-Teststationen sind
bereits aus dem Stadtbild verschwunden, während die Restaurants und Bars
wieder ihren Betrieb geöffnet haben. Gleichzeitig ist das Virus, das
während der gesamten Pandemie stets eine weit entfernte, geradezu abstrakte
Gefahr darstellte, nun im Alltag der Leute angekommen: Unzählige Menschen
kurieren derzeit in den eigenen vier Wänden ihre Symptome aus, ohne ihre
Ansteckung den Behörden zu melden. Noch vor wenigen Wochen kannten nur die
wenigsten Chinesen in ihrem entfernten Bekanntenkreis überhaupt jemanden,
der sich mit dem Virus angesteckt hat.
## Impfkampagne für Senioren soll Millionen Tote vermeiden
Längst jedoch sind die offiziellen Zahlen kein zuverlässiger Indikator mehr
für das tatsächliche Infektionsgeschehen: Denn während die registrierten
Fälle der Gesundheitskommission auf niedrigem Niveau stagnieren –
landesweit liegen sie bei derzeit lediglich 25.000 –, gibt es zweifelsohne
in der Hauptstadt so viele Covid-Infizierte wie noch nie. Nur tauchen sie
nicht mehr in den Statistiken auf.
Bald jedoch werden sich die Fälle allerdings sehr wohl in den
Krankenhäusern bemerkbar machen. Um eine Überlastung des Gesundheitssystems
zu vermeiden, forcieren die Behörden nun eine gezielte Impfkampagne unter
den Senioren. Nur 40 Prozent der Über-80-Jährigen haben bislang eine
Booster-Dosis erhalten, bis Ende Januar sollen es bereits 90 Prozent sein.
Sollte das ambitionierte Ziel nicht erreicht werden, dürfte China auf eine
gesundheitspolitische Tragödie zusteuern: Sämtliche der aktuell
publizierten Prognosen gehen von mindestens einer Million Virustoten aus,
im schlimmstmöglichen Szenario rechnet das in London ansässige Unternehmen
„Airfinity“ gar mit 2,1 Millionen Toten.
Um einer möglichen Panik innerhalb der Bevölkerung vorzubeugen, haben die
Staatsmedien in wenigen Tagen eine Propagandakehrtwende von 180 Grad
hingelegt. „Eine Omikron-Infektion ist den Symptomen einer Grippe sehr
ähnlich“, lautet etwa ein Beitrag des Fernsehsenders CCTV. Darin wird ein
Gesundheitsexperte zitiert, der behauptet: „Viele Symptome sind milder als
eine schwere Influenza“. Dass sämtliche Medien des Landes „Null Covid“ n…
bis letzte Woche als „alternativlos“ und Beleg für die Überlegenheit des
chinesischen Systems proklamierten, davon ist nun keine Rede mehr.
Ganz offensichtlich ist die pandemische Strategie Xi Jinpings vorzeitiger
gescheitert, als es sich die Staatsführung noch vor Kurzem einzugestehen
bereit war. Anders lässt sich nicht erklären, warum diese nun ausgerechnet
zum pandemisch ungünstigen Winterbeginn öffnet. Zudem fängt in etwas mehr
als einem Monat bereits das chinesische Neujahrsfest an, während der
mehrere hundert Millionen Chinesen in ihre Heimatorte reisen – und auch das
Virus in die westlichen Hinterlandprovinzen schleppen werden, wo die
medizinische Versorgung nur höchst rudimentär ist.
## Ökonomische Misere als Ergebnis von „Null Covid“
Doch der zuletzt überkochende Volkszorn ließ der Parteiführung keine Wahl
mehr. Ende November gipfelte der Frust der Leute in der wohl größten
[3][Protestwelle] seit Jahrzehnten: In dutzenden Städten sind die Menschen
gegen die ausufernden Lockdowns auf die Straße gezogen. Die jetzigen
Lockerungen sind vor allem als Versuch zu verstehen, die öffentliche
Meinung wieder zu besänftigen.
Gleichzeitig hat auch der wirtschaftliche Druck eine entscheidende Rolle
gespielt. Erst am Mittwochmorgen lieferte das Pekinger Zollamt desaströse
Zahlen: Im Vormonat ist Chinas Außenhandel um satte 9,5 Prozent
zurückgegangen – und damit noch stärker eingebrochen als zu Beginn der
Pandemie. Auch die Exporte, der bislang zuverlässigste Grundpfeiler der
chinesischen Volkswirtschaft, gingen um 8,7 Prozent zurück.
Die ökonomische Misere ist zu weiten Teilen der rigiden „Null
Covid“-Strategie geschuldet, doch manche Gründe liegen tiefer: Auch die
anhaltende Immobilienkrise sowie die global schwache Nachfrage haben Chinas
Wirtschaftsmotor ins Stocken geraten lassen. Die Weltbank erwartet nur mehr
ein Wachstum von 2,8 Prozent für das laufende Jahr, was gemessen am
chinesischen Entwicklungsstadium bei Weitem nicht genug ist. Am Mittwoch
hat das Politbüro in Peking in einer Stellungnahme deutlich gemacht, dass
man für 2023 den Fokus wieder verstärkt auf die Wirtschaft und das stark
angeschlagene Vertrauen der Märkte legen möchte. Von „Null Covid“ war
hingegen keine Rede mehr.
7 Dec 2022
## LINKS
[1] /Das-Ende-von-Chinas-Null-Covid-Politik/!5899999
[2] /Corona-Lockdown-in-Peking/!5896146
[3] /Neue-Protestbewegung-in-China/!5897233
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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