| # taz.de -- Umgang mit Krieg: Frieden ist eine Aufgabe | |
| > Es ist fahrlässig, Krieg erzählen zu wollen, als sei er ein populäres | |
| > Strategiespiel. Frieden ist kein Zustand, er braucht die Mühen der | |
| > Vielen. | |
| Bild: Während einem Raketeneinschlag suchen die Menschen Schutz in der U-Bahn … | |
| Krieg ist schlimm, das lernt man als Kind, auch wenn man das Glück hat, | |
| nicht von ihm umzingelt zu werden. Keine Ahnung, ob mir mal erklärt wurde, | |
| was Krieg bedeutet. Ist ja auch schwer. Aber es gab eine Zeit, in der wir | |
| als Antwort auf die Frage Was wünschst du dir?, die oft in Poesiealben | |
| stand, neben Zopfgummis und bedruckter Bettwäsche aufzählten: Dass es | |
| keinen Krieg gibt. | |
| Frieden, das haben sie in der Schule gesagt, ist die Abwesenheit von Krieg. | |
| Das ist eine leere Definition. Wo einmal Krieg war, bleiben | |
| Einschusslöcher. Ich habe die letzten Monate viel über Frieden nachgedacht | |
| – das allein ist ein schuldiger Satz. Ich habe nachgedacht. Es ist grausam, | |
| dass Frieden den einen entrissen wird und die anderen deshalb an | |
| Küchentischen, in Restaurants oder Kolumnen über sein Wesen sinnieren. | |
| Haben wir etwas über Frieden gelernt? Nichts Hilfreiches aus zig Texten | |
| über moderne Panzer, Luftabwehrsysteme und Militäranalysen. Ich weiß nicht, | |
| was das soll. Es ist nicht falsch, Krieg verstehen zu wollen, aber [1][es | |
| ist fahrlässig, ihn zu erzählen, als sei er ein populäres Strategiespiel]. | |
| Wenn ich etwas gelernt haben sollte über Krieg und Frieden, dann von den | |
| Menschen, die den russischen Angriffskrieg in der Ukraine erleben und von | |
| denen, die gegen das iranische Regime kämpfen. | |
| Von denen, die unter fallenden Bomben schreiben, und während Luftalarm. Die | |
| vom Alltag in Bunkern berichten, von Angst und Gewöhnung, [2][vom Gärtnern] | |
| und vom Sterben. Die ihre Haare abschneiden, die sich auf Straßen küssen, | |
| die nach Freiheit rufen, die an Kränen hängen. Von denen, die geflohen | |
| sind, und von denen, die nicht fliehen konnten. Kann man nichts lernen, | |
| wenn man auf die Fotos ihrer Gesichter starrt? Ich bilde mir ein, sogar | |
| dann etwas zu lernen, wenn ich wegsehe. | |
| ## Zerbrechlichkeit des Friedens | |
| Dass es keinen Krieg gibt, ist ein guter Wunsch. Als Kind soll man nur | |
| wünschen, aber später muss man sich auch mit dem Machen beschäftigen, und | |
| vielleicht tun wir das zu wenig, Frieden machen. Während Krieg von ein paar | |
| beschissenen Einzelnen vom Zaun gebrochen werden kann, braucht Frieden die | |
| Mühe der Vielen. Der Getroffenen, ja, aber auch der anderen. Ich denke | |
| nicht, dass man Frieden automatisch für selbstverständlich hält, wenn man | |
| keinen Krieg erlebt hat. Oder dass man erst dann den Wert von etwas | |
| erkennt, wenn man es verliert. | |
| Beides passiert nicht, wenn eine Gesellschaft ihren Job gut macht. Wenn sie | |
| an die Zerbrechlichkeit des Friedens erinnert, wenn sie seine Zartheit | |
| nicht vergisst, dann muss man Krieg nicht am eigenen Körper erfahren, um | |
| Frieden als kollektive Aufgabe anzusehen. Die Bemühung darum kann klein | |
| sein, sie passt überall hinein. In eine Begegnung, in mein Schreiben, dein | |
| Wahlverhalten, unseren Protest. Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von | |
| Krieg, kein Zustand im Minus, sondern eine Summe, unsere. Auch die gehört | |
| zum Nie Wieder, wenn man es ernst meint. | |
| 20 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lin Hierse | |
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