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# taz.de -- Horrorklassiker von T.E.D. Klein: Böses Erwachen
> T.E.D. Klein verpasste dem Horror einen christlichen Hintergrund. Sein
> Klassiker „The Ceremonies“ erscheint jetzt neu auf Deutsch.
Bild: Misogynes Umfeld: Kleidung der Sekte der Shaker an der Ostküste der USA
Aberglaube und religiöser Irrationalismus, so erklärt in T.E.D. Kleins
Roman „The Ceremonies“ ein Literaturwissenschaftler seinen Studierenden,
sind bis heute quicklebendig. Und zwar keine Autostunde von New York
entfernt. Als ein Student diese Behauptung für einen Scherz hält – der
Roman spielt Anfang der 1980er Jahre, als man über das Treiben
evangelikaler Sekten in den USA noch schmunzeln konnte –, stellt ihn Jeremy
Freirs, Kleins Hauptfigur, auf die Probe.
Der Dozent bietet dem jungen Mann einen Dollar an. „Alles, was ich dafür
haben will, fuhr er fort, ist eine schlichte Erklärung, unterschrieben und
mit Datum versehen, dass Sie mir für einen Dollar Ihre unsterbliche Seele
verkaufen.“
Unnötig zu sagen, dass aller gefühlten intellektuellen Überlegenheit zum
Trotz der Student zu einer solchen Unterschrift nicht bereit ist. Das ist
vielleicht die größte Überraschung bei der Lektüre der überarbeiteten
Neuausgabe von T.E.D. Kleins „The Ceremonies“: wie sehr in diesem 1984
erschienenen Klassiker der Phantastischen Literatur (die deutsche
Erstausgabe erschien zwei Jahre später unter dem Titel „Morgengrauen“) mit
all seinem ruralen Horror die gesellschaftliche Spaltung der USA bereits
antizipiert wird.
Gilead heißt der 50 Meilen von New York entfernte fiktive Ort im Hinterland
New Jerseys, an dem Freirs die Ruhe finden will, um endlich seine
Dissertation über den Schauerroman des 19. Jahrhunderts zu schreiben. Wer
bei diesem Ortsnamen gleich an Margaret Atwoods Roman [1][„The Handmaid’s
Tale“] (1985) denkt, liegt nicht ganz falsch. Denn in Kleins Gilead leben
die „Brethren of the Redeemer“, ein Häuflein wackerer christlicher
Fundamentalisten, für die die berühmten Amish People nur eine bloße
Touristenattraktion darstellen.
## Beklemmender Hintergrund
Das streng patriarchale, xenophobe und natürlich auch misogyne Umfeld
(„Keine Sorge“, verkündet einer der Brüder, beschämt vom vorlauten Mundw…
seiner Frau, „ich werde sie das Weinen lehren“) bildet über weite Strecken
des Romans den beklemmenden atmosphärischen Hintergrund für die Ereignisse
auf der Poroth-Farm. Dort, bei Sarr und Deborah Poroth, einem jungen
frommen Ehepaar mit Geldproblemen, hat sich Kleins ungläubiger Protagonist
für die Sommermonate eingemietet.
Ohne zu ahnen, was für eine Rolle ihm zugedacht wurde bei der von allerlei
seltsamen Riten begleiteten Wiederauferstehung einer in den Wäldern
Neuenglands schlummernden uralten Macht. Schon der Horrorexperte S. T.
Joshi hat auf diese Besonderheit von Kleins Roman hingewiesen: „The
Ceremonies“ verbindet auf brillante Weise den modernen psychologischen
Realismus [2][eines Stephen King] oder Peter Straub mit dem kosmischen
Horror eines H. P. Lovecraft oder Arthur Machen.
Für heutige Leser:innen vielleicht spannender ist aber ein anderes
Merkmal des Romans, nämlich die Inszenierung der unheimlichen Macht von
Manipulation. Dabei ist das Erzähltempo zunächst durchaus gemächlich. Bis
die Handlung an Fahrt gewinnt, sind die ersten hundert, zweihundert Seiten
auch schon vorbei; hat sich aber das von langer Hand geplante Räderwerk
erst einmal in Gang gesetzt, lässt sich der 500-Seiten-Roman nur noch
schwer aus der Hand legen.
## Ausbund an Menschenhass
Der Drahtzieher hinter den Kulissen, für den Jeremy Freirs nur ein
„feistes, unwissendes Werkzeug“ ist, ist ein Ausbund an Menschenhass und
hat viele Namen: Absolom Troet hieß er als Junge, als er vor über hundert
Jahren seine Familie auslöschte, Aloysius Rosebottom nennt er sich als
kauziger Spezialist für die folkloristischen Hintergründe der
Gruselgeschichten des Walisers Arthur Machen (1863–1947).
Und von Carol Conklin, einer entlaufenen Nonne und jungen Bibliothekarin,
seinem zweiten „Werkzeug“, lässt er sich „Rosie“ nennen und spielt ihr
gegenüber den leicht trotteligen, scheinbar rührend um die junge Frau
besorgten Alten.
Wie sehr er im Hintergrund alles arrangiert und dabei skrupellos ein
Hindernis nach dem anderen aus dem Weg räumt, weiß nur die Leserschaft: Es
war Rosie, der dem Dozenten zu Beginn den Aushang über die zu vermietende
Ferienwohnung der Poroths zugeschanzt hat, und er ist es auch, der Jeremy
mit Carol verkuppelt und dann darüber wacht, dass diese ihre
Jungfräulichkeit nicht vorzeitig verliert, allen unbeholfenen
Verführungsversuchen Jeremys zum Trotz.
## Aufgestaute Sexualität
In der mitunter doch etwas Fremdscham verursachenden Beziehung zwischen dem
dauerfrustrierten Dozenten und der erschütternd arglosen Bibliothekarin
macht sich noch am ehesten das Alter des Romans bemerkbar. Zugleich aber
durchzieht das Thema der unterdrückten, aufgestauten Sexualität konsequent
diesen Roman, in dem Frauen nur zur Pflanzzeit das Haar offen tragen
dürfen, vor und nach dem ehelichen Beischlaf brav gebetet wird und der
prompt in einer Art orgiastisch-dämonischen Doppelpenetration gipfelt.
„The Ceremonies“ blieb bis heute der einzige Roman des 1947 geborenen New
Yorkers T.E.D. Klein, der angeblich seither an einem „Writer’s block“
leidet. Vielleicht erinnert man sich beim Piper Verlag ja nun auch an
Kleins legendären Novellenband „Dark Gods“ (1979).
18 Dec 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Oliver Pfohlmann
## TAGS
Literatur
Religion
Fundamentalismus
Horror
Klassiker
Literatur
Britische Literatur
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