# taz.de -- Neue Netflix-Serie „Kaleidoskop“: Farben statt Zeit | |
> Diese Serie über einen Raubüberfall will anders erzählen. Den | |
> Zuschauer*innen liefert sie keine starre Episoden-Reihenfolge, sondern | |
> die freie Wahl. | |
Bild: Bastelnde Banditen: Roger (l., Rufus Sewell) und sein Chef Pap (Giancarlo… | |
Angesichts des kaum noch zu überblickenden Überangebots im Serien- und | |
Streamingbereich wird es immer schwerer, irgendwie aus der Masse | |
herauszustechen und aufzufallen. Die einen versuchen das mit prominenten | |
Gesichtern in den Hauptrollen (so „Gaslit“ mit Julia Roberts und Sean | |
Penn), andere mit erfolgserprobten Marken (etwa das „Game of | |
Thrones“-Prequel „House of the Dragon“). Doch für „Kaleidoskop“, jet… | |
zu sehen bei Netflix, wurde ein anderer Ansatz gewählt: Hier geht es | |
weniger darum, was wie erzählt wird, als darum, wie das Publikum die Serie | |
sieht. | |
Nichts weniger als den Abschied vom linearen Erzählen mache „Kaleidoskop“ | |
zum Ereignis, so die Ansage. Die acht Episoden, erdacht und als Showrunner | |
betreut vom Schriftsteller und Drehbuchautor Eric Garcia („Anonymus Rex“), | |
werden nicht in einer festgelegten Reihenfolge gezeigt und sind | |
entsprechend nicht durchnummeriert. Die Zuschauer*innen können vielmehr | |
selbst entscheiden (oder es dem vermeintlichen Zufall überlassen), in | |
welcher Anordnung sie den einzelnen Stationen der Geschichte folgen; die | |
Folgen sind zur besseren Unterscheidung nach Farben benannt. Von einer | |
Serie als Puzzle spricht die Marketing-Abteilung bei Netflix, und rein | |
theoretisch wird hier das Bingen zu einem gänzlich individuellen Erlebnis. | |
So ungewöhnlich dieser narrative Ansatz zunächst erscheint, so klassisch | |
ist eigentlich der Plot. „Kaleidoskop“ erzählt die Geschichte eines groß | |
angelegten Raubüberfalls und folgt dabei nur allzu gerne den Konventionen | |
des Heist-Genres. Als Vorlage dient ein wahrer Fall: 2012 verschwanden | |
während des Hurrikans „Sandy“ im Bankenviertel von Manhattan Anleihen im | |
Wert von 70 Milliarden Dollar. | |
Genau dieser Coup ist hier das Ziel des ein wenig in die Jahre gekommenen | |
Meisterdiebes und Safeknackers Leo Pap ([1][Giancarlo Esposito]). Der hat | |
sich ein Team aus sechs Mitstreiter*innen mit höchst unterschiedlichen | |
Talenten und Fähigkeiten zusammengestellt, um die kostbaren Papiere aus den | |
unterirdischen Tresoren des zwielichtigen Roger Salas ([2][Rufus Sewell]) | |
zu entwenden, der für einige der reichsten Menschen der Welt darauf | |
aufpassen soll. | |
Über zweieinhalb Jahrzehnte zieht sich die Geschichte hin. Die Episode | |
„Violet“ etwa spielt 24 Jahre vor der eigentlichen Tat, „Pink“ sechs Mo… | |
danach. In dieser Zeit lernen die Zuschauer*innen das Gauner-Trüppchen, | |
hinter dem eine ehrgeizige FBI-Agentin (Niousha Noor) her ist, | |
unterschiedlich gut kennen. Doch so viel sei verraten: Allzu ungewöhnlich | |
sind die Figuren nicht gestaltet, von der geheimnisvollen Latina über den | |
Nerd, der von seinem Anteil später vor allem ein teures Schlagzeug kaufen | |
will, bis hin zum aufbrausend-gewalttätigen Macho. Auch sonst halten sich | |
die Überraschungen hier eher in Grenzen, weswegen Protagonist Pap | |
erzählerisch für seinen Plan eine ganz andere Motivation als das Geld | |
braucht und jede*r genug Geheimnisse mit sich herumträgt, so dass die | |
Zuschauer*innen immer wieder Loyalitäten und Absichten hinterfragen. | |
Der Plot mag herkömmlich sein, hält aber doch genug Wendungen und Tempo | |
bereit, um nicht zu langweilen. Außerdem beweist Giancarlo Esposito in der | |
Hauptrolle einmal mehr, dass er – dem dank „[3][Breaking Bad]“, „[4][Be… | |
Call Sau]l“ und „[5][The Mandalorian]“ der späte Durchbruch gelang – z… | |
eindrücklichsten und charismatischsten Schauspielern gehört, die der | |
US-Serienbetrieb dieser Tage zu bieten hat. | |
Was nun allerdings den vermeintlich bahnbrechenden (Nicht-)Aufbau der Serie | |
angeht, erschließt sich nicht wirklich, wo der Zugewinn fürs Publikum | |
liegt. Ohne Frage ist es erfreulich, dass „Kaleidoskop“ nicht – wie gefü… | |
in jeder zweiten sonstigen Serie dieser Tage – zwischen seinen | |
verschiedenen Zeitebenen mehrfach pro Folge hin- und herspringt, sondern | |
ihnen jeweils ganze Episoden widmet. Das erspart jede Menge Seh-Frust. | |
Doch nicht nur, weil als Abschluss der Serie unbedingt die Folge „Weiß“ | |
empfohlen wird, liegt der Verdacht nahe, dass es durchaus eine oder | |
zumindest ein paar von Garcia vorgesehene (und sicherlich nicht zwingend | |
chronologische) Reihenfolgen gibt, in denen die Geschichte besonders gut | |
funktioniert. Und so komplex oder einfallsreich, dass man sie immer wieder | |
sehen und unterschiedliche Konstellationen ausprobieren will, ist sie dann | |
eben doch nicht. | |
1 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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