| # taz.de -- Prozess nach Bedrohung und Beleidigung: „Geh' zurück nach Bagdad… | |
| > Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek verurteilt einen 39-Jährigen zu einer | |
| > Geldstrafe wegen Bedrohung. Strafverschärfend wirkt die | |
| > Ausländerfeindlichkeit. | |
| Bild: Sehen harmlos aus, können aber Ausgangspunkt eines Beleidigungsprozesses… | |
| Hamburg taz | Wenn man etwas erfahren möchte über schnell aufsteigenden | |
| Zorn, ist man richtig an diesem Dienstag in Saal 137 des Amtsgerichts | |
| Hamburg-Wandsbek. Serkan K., ein kräftiger Mann in Polo-Shirt und | |
| Turnschuhen, ist angeklagt wegen Bedrohung und Beleidigung. K. soll | |
| gegenüber mit Fahrrädern spielenden Kindern geäußert haben, dass Helme | |
| „scheiße“ seien und daraufhin mit deren Vater Aziz B. in Streit geraten | |
| sein. Hierbei soll sich K. gegenüber B. ehrverletzend, so heißt es in der | |
| ehernen Sprache der Anklage, geäußert haben: „Was ist denn das für eine | |
| Mischung? Du bist bestimmt Syrer. Ein Flüchtling, der nur wegen dem Geld | |
| hier ist. Geh zurück nach Bagdad.“ Anschließend soll K. ein Messer gezogen | |
| haben. | |
| Glaubt man Serkan K., so stimmt nichts davon. Tatsächlich sei er mit dem | |
| Hund einer Freundin spazierengegangen, einem sehr alten Labrador. Die | |
| Kinder hätten das Tier streicheln wollen, dann sei der Vater dazu gekommen | |
| und habe den friedlich schnüffelnden Hund mit dem Fuß in die Schnauze | |
| getreten. „Ich meinte zu ihm:‚Kollege, was ist mit dir los, bist du | |
| bescheuert?‘“, sagt K. Daraufhin habe B. ihm mit dem Fahrradhelm auf den | |
| Kopf gehauen, er selbst habe nur noch weg gewollt, B. sei ihm aber | |
| hinterher gekommen, zudem noch ein Sicherheitsdienstmann. Und ja, er habe | |
| ein Messer aus seiner Tasche geholt, „einfach, damit sie Abstand halten“ | |
| und nur im Rückwärtsgang. | |
| Es gibt nur zwei Rückfragen zu K.s Aussage. „‚Helme sind scheiße‘, haben | |
| Sie das gesagt?“, fragt der Richter freundlich. „Ich habe gesagt:‚Jungs, … | |
| ich klein war, gab es keine Fahrradhelme‘, das war nur Spaß, ich bin | |
| kinderlieb, ich bin tierlieb“, sagt K. „Was ist das für ein Spaß, wenn sie | |
| stürzen?“, fragt der Richter, aber es ist keine Frage. „Waren Sie | |
| alkoholisiert?“, will K.s Anwalt von ihm wissen. „Ja“, sagt K. | |
| Eigentlich sollten jetzt die Zeugen Aziz B. und Antje B. gehört werden, der | |
| Geschädigte und seine Frau, aber die beiden sind nicht erschienen. | |
| Erschienen ist Abdul E., der Sicherheitsdienstler, der in der Gegend | |
| patrouillierte und die Polizei rief, nachdem Serkan K. sein Messer gezückt | |
| hatte. Abdul E. ist ein schmaler Mann in Daunenjacke und Jeans, er ist | |
| bemüht, ausführlich Auskunft zu geben, und er will es erst einmal selbst | |
| auf Deutsch versuchen, ohne die Hilfe der Dolmetscherin. | |
| ## „Impulsiver Charakter“ | |
| E. stützt in allem die Vorwürfe gegen K. Er verneint, dass der Vater K. | |
| geschlagen habe und er verneint, dass der Vater den Hund getreten habe. | |
| „Nein, mit Hand“, sagt er. Das ist der Moment, in dem Serkan K. das erste | |
| Mal das zeigt, was der Richter später einen „impulsiven Charakter“ nennen | |
| wird. „Tierquäler“, ruft K., sein Anwalt hebt beschwichtigend die Hand. | |
| Die Stimmung ist inzwischen frickeliger, K.s Anwalt fragt immer wieder | |
| nach, wo der Zeuge wann gestanden und was genau er von dort gesehen hat. Er | |
| ist unzufrieden mit der Arbeit der Dolmetscherin, einer jungen Frau mit | |
| Pferdeschwanz. „Ich habe nicht das Gefühl, dass die Dolmetscherin eins zu | |
| eins übersetzt“, sagt er. „Ich mache das seit acht Jahren, ich weiß das�… | |
| sagt sie unbeeindruckt. Als sie fertig ist mit der Übersetzung, wendet sie | |
| sich einmal an das Gericht: „Ich fühle mich durch den Angeklagten bedroht“, | |
| sagt sie. „Er fixiert mich.“ Serkan K. findet das abwegig. Er ist, so | |
| scheint es, ein Mann, der Probleme anzieht. | |
| Eine Woche später, beim zweiten Termin, erscheinen auch Aziz B. und Antje | |
| B. vor Gericht. „Ich muss mich entschuldigen“, sagt Aziz B., „ich habe na… | |
| all den Verschiebungen versäumt, den Termin einzutragen.“ B. ist | |
| Lufthansatechniker, ein großer Mann in Troyer und Lederschuhen und es ist | |
| erstaunlich und nicht erstaunlich zugleich, dass Serkan K. in einer | |
| Prozesspause sagen wird, dass er dieses Portiönchen hätte zusammenfalten | |
| können, wenn er es gewollt hätte. | |
| Aziz B. sagt, er habe sich im Haus befunden und draußen Stimmen vernommen. | |
| Dann sei „ein Begriff, den wir nicht benutzen“, gefallen – „Scheiße“. | |
| Daraufhin habe er die Kinder gerufen, damit sie nicht weiter mit dem | |
| Angeklagten sprächen. „Der Herr kam hinterher, hat weiter erzählt“, sagt | |
| Aziz B. „Ich habe ihn gebeten, fernzubleiben. Er sagte, ich solle nach | |
| Bagdad zurück.“ Aziz B. ist gebürtiger Marokkaner, er lacht kurz, während | |
| er das erzählt. | |
| ## Ein steckengebliebener Heimatforscher | |
| B. sagt, dass Serkan K. keine Stechbewegung mit dem Messer gemacht habe, | |
| „das muss man ehrlicherweise sagen“, und vermutlich ist es das, was der | |
| Staatsanwalt meint, wenn er später sagen wird, dass der Zeuge keine | |
| Belastungstendenz gehabt habe. B. verneint, sich K. genähert oder den Hund | |
| auch nur angefasst zu haben, er habe große Angst vor Hunden. | |
| Die Zeugenaussage seiner Frau bleibt kurz: Sie kann sich an kaum etwas | |
| erinnern. In einer Pause setzt sich Serkan K. auf die Holzbank vor Saal | |
| 137. „Bla, bla“, sagt er, „diese Araber“. Seine Finger sind mit Runen | |
| tätowiert und wenn man ihn fragt, warum, erzählt er mit der | |
| Bereitwilligkeit eines Briefmarkensammlers, den man nach Sondermarken | |
| fragt, von den Hunnen, die einmal in Zentralasien gelebt hätten. A. wirkt | |
| wie ein Heimatforscher, der in seinen Anfängen steckengeblieben ist, er hat | |
| bei Amazon für 80 Euro einen Gentest bestellt und erfahren, dass er zu 80 | |
| Prozent Kelte ist. „Bekomme ich eine Geldstrafe, auch egal“, sagt er, er | |
| sei schon vorbestraft. | |
| Drinnen in Saal 137 wird der Richter Genaueres dazu sagen: A. hat acht | |
| Einträge im Strafregister, wegen Schwarzfahrens und wegen gefährlicher | |
| Körperverletzung. Der Richter fragt nach K.s persönlichen Verhältnissen, um | |
| die Größenordnung einer Geldstrafe abzustecken: K. war im Hamburger Hafen | |
| Großmaschinenführer, derzeit ist er arbeitslos. „Es klingt blöde“, sagt … | |
| ohne das weiter zu erklären, „ich würde gern den Taxischein machen, mein | |
| Vater hatte ein Taxiunternehmen mit 20 Taxis.“ A. hat aber auch 10.000 bis | |
| 15.000 Euro Schulden, „ein Handyvertrag nach dem anderen, Naivität“. | |
| Präzise vorausgesagt hat K. seine Strafe. „Die Hauptverhandlung hat die | |
| Anklagevorwürfe voll bestätigt“, erklärt der Staatsanwalt in seinem | |
| Plädoyer und fordert für Serkan K. 120 Tagessätze à 10 Euro. Der Anwalt | |
| widerspricht und beantragt Freispruch: Die Zeugen seien keineswegs | |
| widerspruchsfrei und der Angeklagte habe sich subjektiv in einer | |
| Notwehrlage befunden. „Mein Mandant hat selbst ausländische Wurzeln, es ist | |
| sinnlos, ihm Ausländerfeindlichkeit vorzuwerfen“, sagt er. | |
| Der Richter glaubt den Zeugen. Er verurteilt K. zu 90 Tagessätzen à 10 | |
| Euro. Strafverschärfend, so erklärt er, sei der „ausländerfeindliche | |
| Charakter“ der Beleidigungen. Der Angriff auf A. sei eine Schutzbehauptung. | |
| „Gott ist mein Zeuge“, ruft K. dazwischen. | |
| 24 Nov 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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