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# taz.de -- Auftakt im Wirecard-Prozess: Fünf Stunden Verlesung der Anklage
> Am Anfang des Mammutprozesses um Wirecard geht es erst mal um die Wucht
> der Vorwürfe. Der Hauptangeklagte gibt sich betont entspannt.
Bild: Gegenwärtiger Wohnsitz JVA Stadelheim: Ex-Wirecard-Chef Markus Braun (M.…
München taz | Die Vorwürfe lauten bandenmäßiger Betrug, Veruntreuung,
Fälschung von Geschäftsberichten: In München hat am Donnerstag der
Wirecard-Prozess vor der Wirtschaftsstrafkammer mit der Verlesung der
umfangreichen Anklageschrift begonnen. [1][Hauptangeklagter ist Markus
Braun, der ehemalige Vorstandsvorsitzende] des einst hoch gelobten
Tech-Unternehmens aus Aschheim bei München. Zudem müssen sich die einstigen
Manager Oliver Bellenhaus, Wirecard-Statthalter in Dubai, und der frühere
Leiter des Bereichs Rechnungswesen Stephan von Erffa verantworten.
Sie sollen, so formuliert es Staatsanwalt Matthias Bühring, eine
„kriminelle Bande“ gebildet haben. Die Kurzfassung der Anklageschrift
umfasst 89 Seiten. Die meisten Geschäfte der im Juni 2020 binnen weniger
Tage zusammengebrochenen Firma soll es gar nicht gegeben haben, vor allem
jene im Ausland mit dem weit verzweigten Netz von Tochter- und
Partnerunternehmen. Alles ein großer Bluff, so die Schlussfolgerung.
Bei Wirecard, das 2018 zur Krönung in den Deutschen Aktienindex DAX
aufgenommen worden war, handelt es sich demnach um den größten Fall von
Wirtschaftskriminalität in der Geschichte der Bundesrepublik. Als Schäden
werden aufgelistet: 3,1 Milliarden Euro geplatzter Bankkredite, 20
Milliarden Verlust bei den Aktionären, unter denen auch viele Privatanleger
waren, die etwa für die Rente vorsorgen wollten. Sowie 1,9 in Singapur
verschwundene Milliarden, von denen niemand weiß, ob es sie denn gegeben
hat.
Dieses fehlende Geld sorgte letztlich dafür, dass die Wirtschaftsprüfer von
Ernst & Young dem Unternehmen nicht wie die Jahre zuvor eine korrekte
Buchführung bescheinigten. Der Börsenkurs rauschte in den Keller, Wirecard
war pleite.
## Brauns größtes Problem: Kronzeuge Bellenhaus
Gegen halb zehn wird Markus Braun in den Hochsicherheits-Gerichtssaal an
der Justizvollzugsanstalt Stadelheim geführt. Er trägt einen dunklen
Rollkragenpulli und ein gleichfarbiges Jackett, nach zweieinhalb Jahren in
Untersuchungshaft sieht er gut aus, schlank. Freundlich und scheinbar gut
gelaunt beantwortet er die Fragen des Vorsitzenden Richters Markus Födisch
zur Person. Ob sein gegenwärtiger Wohnsitz weiterhin die
Justizvollzugsanstalt Stadelheim ist? „Absolut richtig“, sagt Braun.
Direkt hinter Braun, ihm im Genick, sitzt sein größtes Problem: der
Mitangeklagte Bellenhaus, ebenfalls weiter in U-Haft, Kronzeuge. Bei den
Ermittlern soll er umfangreich ausgesagt und viele der Betrugsvorwürfe
bestätigt haben. Braun wie auch Bellenhaus wollen aussagen. Während Braun
sich weiterhin für unschuldig hält und die Position vertritt, dass er von
den Machenschaften nichts gewusst habe, dürfte Bellenhaus ihn schwer
belasten.
Mit Pausen, aber insgesamt mehr als fünf Stunden lang rattert die
Staatsanwaltschaft die Anklage runter. Von verschiedensten Treuhandkonten
etwa in Dubai oder auf den Philippinen ist die Rede – „tatsächlich gab es
die Geschäfte nicht“, so der Anklagevertreter.
Reihenweise seien „Reports ohne Grundlage“ erstellt worden, man habe
„unzutreffende Bilder der Lage des Unternehmens weitergegeben“. In den
Bilanzen seien „Vermögenswerte, die nicht existierten“, gelistet. Man habe
die Verhältnisse „unrichtig abgebildet“. Der Staatsanwalt meint: „90
Prozent des Umsatzes waren tatsächlich nicht vorhanden.“ So geht es weiter
und weiter und weiter.
## Braun wird wohl den flüchtigen Marsalek belasten
Die Motive der Bandenmitglieder seien offensichtlich: Das Unternehmen
sollte immer weiter wachsen, die Kurse steigen. So sorgten sie für ihr
eigenes Einkommen und für erfolgsabhängige Boni. Zudem sind demnach
Geldbeträge in unbekannter Höhe aus der Firma entwendet worden.
Der zweite Hauptverdächtige, das Vorstandsmitglied Jan Marsalek, ist nicht
in München. Ihm war direkt nach der Pleite die Flucht gelungen, wohl nach
Moskau. Braun wird im Laufe des Prozesses wohl versuchen, die Schuld von
sich auf Marsalek zu schieben, der ihn hintergangen habe. Und das
Verhältnis so darstellen, als hätten sie beide ohne größere
Berührungspunkte nebeneinander her gearbeitet. In der Anklage ist aber
immer wieder die Rede davon, dass Braun und der „M.“ genannte Marsalek
gemeinsame Mitglieder der Bande gewesen seien.
Die Anklage ist verlesen, nun müssen die Vorwürfe auch bewiesen oder aber
widerlegt werden. Dafür besteht viel Zeit, 100 Verhandlungstermine bis zum
Ende des Jahres 2023 sind bisher festgesetzt.
8 Dec 2022
## LINKS
[1] /Pleite-Unternehmen-Wirecard/!5845238
## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
Wirecard
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Strafprozess
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Gerichtsprozess
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