# taz.de -- Fußballkultur und Hegemonie: Sätze stoppen, Wörter schießen | |
> Erst der Diskurs konstruiert den Sport. Auf diese Weise bleibt die WM in | |
> Katar eine deutsche Veranstaltung. | |
Bild: Fußball ist doch nichts als Reden: Hansi Flick (li.) und Oliver Bierhoff… | |
Fußball hat ja, wem sage ich das, nichts mit Füßen und nichts mit Bällen zu | |
tun. Ein bisschen schon, zugegeben: Dass hier und da mal Bälle gestoppt | |
oder geschossen werden, das ist sozusagen der Ausgangspunkt. Das | |
Hauptgeschäft aber ist das Reden über Fußball. Ob dieser eine Ball der | |
[1][Japaner] draußen oder Linie war, das entscheidet sich doch nicht auf | |
dem Platz. Dann wär’s ja auch schnell vorbei. Das ist vielmehr Gegenstand | |
des Redens über Fußball. | |
Neu ist die Erkenntnis nicht, Marxisten würden, geschult an dem | |
italienischen Theoretiker Antonio [2][Gramsci], von der Bedeutung | |
kultureller Hegemonie sprechen. Sieger ist der, über den man spricht. „Wie | |
viele Divisionen hat der Papst?“, soll Stalin 1945 gehöhnt haben, als ihm | |
jemand die Macht der katholischen Kirche schilderte. Wenige Jahre später | |
war Stalin weg, die Sowjetunion gibt es auch nicht mehr. Aber über die | |
katholische Kirche redet man fast so viel wie über den Fußball. | |
So gesehen ist die Fußball-WM in Katar eine deutsche, sie wird von der | |
deutschen Fußballöffentlichkeit dominiert: Die Auftaktniederlage gegen | |
Japan war das Gesprächsthema der ersten Turniertage; das Ausscheiden trotz | |
Sieg über Costa Rica war ein wichtigeres Thema als etwas das Aus des | |
gleichfalls als Favorit angereisten Belgien; die Mund-zu-Geste des | |
DFB-Teams und der stark von Deutschen geführte Diskurs über die „One | |
Love“-Binde dominiert den WM-Diskurs; entsprechend fokussiert sich auch die | |
Kritik an dem, was als „europäische Doppelmoral“ gilt, auf die Deutschen. | |
Diese vielen Gründe, warum die katarische WM eine deutsche ist, werden nun | |
verlängert. Während man von einem dänischen, kamerunischen oder | |
uruguayischen Teammanager noch nichts gehört hat, ist der Rücktritt des | |
DFB-Mannes in dieser Funktion mehr als nur die Vermeldung einer Personalie. | |
Fußball ist Reden über Fußball. Als das deutsche Team 2004 bei der EM | |
gescheitert war, sorgte allein der Umstand, dass Griechenland, das dann den | |
Titel holte, von dem deutschen Otto Rehhagel trainiert wurde, dafür, dass | |
man hierzulande wenigstens das Finale zur Kenntnis nahm. Und nicht wenige | |
halten in der Rückschau die EMs und WM 2008, 2010 und 2012 für erfolglose | |
Turniere, denn man erinnert sich nicht an von Deutschen hochgestemmte | |
Pokale und Bierduschen. Dass die DFB-Elf jeweils mindestens das Halbfinale | |
erreichte, ist eine Information, die bloß solche Menschen interessiert, für | |
die Fußball etwas mit Kicken, Treten, Schießen und Ergebnissen zu tun hat. | |
Eine Minderheit also, denn vor allem ist Fußball ja Reden. | |
6 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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