# taz.de -- Urteil nach Abschuss der MH17: Letzter Akt einer Tragödie | |
> 298 Menschen verloren beim Abschuss der MH17 ihr Leben. Mehr als acht | |
> Jahre später endet nun der Prozess – unter anderem mit drei | |
> Schuldsprüchen. | |
Bild: Flughafen Schiphol am Donnerstag: Angehörige der Opfer des Flugzeugabstu… | |
AMSTERDAM taz | Drei Schuldsprüche und ein Freispruch – mit diesem Urteil | |
ging am Donnerstag das Strafverfahren um den Abschuss des Flugzeugs MH17 zu | |
Ende. Die Angeklagten Igor Girkin, Sergej Dubinsky und Leonid Chartschenko | |
wurden für das Herbeiführen des Flugzeugabsturzes mit Todesfolge sowie Mord | |
an allen 298 Insassen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Oleg Pulatow | |
wurde freigesprochen, weil es laut Richter keinen Beweis dafür gebe, dass | |
er eine tragende Rolle gespielt habe. | |
Als erwiesen sieht das Gericht an, dass eine BUK-Rakete von einem Feld nahe | |
der Stadt Perwomajskyj im Rebellengebiet abgefeuert wurde. Dafür gebe es | |
„Beweise im Überfluss“, so der vorsitzende Richter Hendrik Steenhuis. | |
Gleiches gelte für die Beteiligung der russischen Autoritäten. Während der | |
Angeklagte Dubinsky den Einsatz dieser Rakete veranlasst habe, habe | |
Chartschenko bei Transport und Installation aus der Russischen Föderation | |
eine zentrale Rolle gespielt. Girkin habe als militärischer | |
Oberbefehlshaber der selbsternannten Volksrepublik Donezk den Einsatz der | |
Rakete nicht verhindert. | |
Mit dem Urteil kommt ein Marathonprozess mit 68 Sitzungstagen zu seinem | |
Ende, den der Gerichtshof Den Haag im März 2020 im Justizkomplex am | |
Flughafen Schiphol eröffnete. Die vier Verdächtigen Girkin, Dubinsky, | |
Pulatow (alle russische Staatsbürger und hohe militärische Funktionäre der | |
selbsternannten Volksrepublik Donezk) und der Ukrainer Chartschenko, | |
Befehlshaber einer paramilitärischen Einheit im Gebiet Donezk, waren wie | |
während des gesamten Verfahrens abwesend, einzig Pulatow ließ sich durch | |
zwei Anwält*innen vertreten. | |
Piet Ploeg, Vorsitzender der Stiftung „Flugzeugkatastrophe MH17“, die sich | |
als Plattform von Familienmitgliedern der Opfer versteht, beschrieb deren | |
Erwartungen an das Urteil zuvor so: „Die Angehörigen wollen, dass Recht | |
gesprochen wird und die Wahrheit ans Licht kommt. Aber es ist auch in | |
präventiver Hinsicht wichtig. Es darf nicht sein, dass ein Staat, der | |
faktisch an einem Massenmord beteiligt ist, damit davonkommt“, so Ploeg, | |
der 2014 seinen Bruder, Schwägerin und Neffen verlor. Im niederländischen | |
Nachrichtensender BNR sagte er, am wichtigsten sei daher die Frage nach der | |
russischen Beteiligung am Abschuss des Flugzeugs. | |
## Historisches Urteil | |
Gerade zu diesem Thema gab es in der Zeit vor dem Urteil viel | |
Aufmerksamkeit für den Angeklagten Girkin. Der einstige FSB-Offizier und | |
damalige Verteidigungsminister der selbsternannten Volksrepublik Donezk ist | |
aktuell als Freiwilliger am Krieg gegen die Ukraine beteiligt. Ende Oktober | |
wurde er im Süden Russlands nahe der ukrainischen Grenze fotografiert. Die | |
Ukraine hat ein Kopfgeld von 100.000 Dollar auf seine Festnahme ausgesetzt. | |
Der 51-jährige Girkin war im April 2014 an der Besatzung von Slowjansk | |
beteiligt, mit der der Krieg im Donbass begann. Als junger Student hatte er | |
zuvor am Krieg in Transnistrien teilgenommen, später kämpfte er in Bosnien | |
und Tschetschenien. In sozialen Medien kritisierte er jüngst das russische | |
Militär für seine Strategie im Ukrainekrieg. Im Oktober ging Girkin selbst | |
zurück an die Front. Seine Beteiligung am MH17-Abschuss hat er, wie die | |
übrigen Angeklagten, immer bestritten. Über eine BUK-Installation hätten | |
die Separatisten nicht verfügt, sagte er. | |
In den Niederlanden, aus denen mit 196 Toten die meisten Opfer stammen, hat | |
MH17 die Dimension einer nationalen Katastrophe. Darum war gerade in den | |
ersten Jahren der langsame Fortgang der Untersuchungen Anlass wachsenden | |
Unmuts bei Angehörigen und in der Öffentlichkeit. | |
Er stand im Kontrast zur anfänglichen Ankündigung von Premier Mark Rutte, | |
man werde jeden Stein umdrehen und nicht ruhen, bis die Schuldigen gefunden | |
sind. Dem gegenüber fühlte man sich lange missachtet: Bei einem größeren | |
Land wäre der internationale Druck auf Russland höher, hieß es oft. Mit | |
entsprechenden Erwartungen blickte man im Vorfeld auf das Urteil, das die | |
Tageszeitung Volkskrant am Tag der Verkündigung „historisch“, nannte. „Es | |
wird entscheiden, wie der Anschlag auf MH17 in die Geschichte eingeht.“ | |
17 Nov 2022 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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