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# taz.de -- Fußball-WM, Gruppe H: Afrikas Schmerz sitzt tief
> Vor dem Spiel Ghana – Uruguay (16 Uhr) werden Erinnerungen an 2010 wach.
> Mit einem Handspiel hatte Luis Suárez einen Traum zerstört.
Bild: Dominic Adiyiah (re.) hat geköpft, Luis Suárez (hinten) wehrt mit beide…
Die Tränen von Johannesburg, die in jener Julinacht über viele der
grün-gelb-rot geschminkten Gesichter flossen, sind längst getrocknet. Aber
die Erinnerungen an ein denkwürdiges Fußballspiel erwachen gerade wieder zu
neuem Leben – vor dem Duell zwischen Uruguay und Ghana.
Am Freitagabend spielen diese beiden Nationen um die Achtelfinalteilnahme,
Ghana könnte ein Unentschieden reichen, Uruguay muss gewinnen, und in
vielen afrikanischen Schlagzeilen taucht nun der Begriff „Rache“ auf. Als
2010 Ghana zuletzt bei einem Turnier auf Uruguay traf, erlitten die
Westafrikaner nicht nur eine einfache Niederlage. Der ganze Kontinent
erlebte ein Fußballdrama, das tiefe Spuren hinterlassen hat.
Der erste Einzug eines afrikanischen Teams in ein WM-Halbfinale war zum
Greifen nah, als in der letzten Minute der Nachspielzeit beim Stand von 1:1
dieser Kopfball von Ghanas Dominic Adiyiah an Uruguays Torhüter vorbeiflog.
Direkt in Richtung Netz, bevor die Hände von Luis Suárez nach oben
schnellten und den Jubelschrei erstickten, zu dem viele Millionen Menschen
bereits angesetzt hatten. Suárez sah die Rote Karte, doch Asamoah Gyan
drosch den anschließenden Strafstoß an die Latte. Ghana verlor anschließend
auch das Elfmeterschießen.
Als Suárez am Donnerstag gefragt wurde, ob es an der Zeit für ein Signal
der Entspannung sei, sagte er: „Ich werde mich dafür nicht entschuldigen,
die Ghanaer haben den Elfmeter verschossen, nicht ich“, er habe ja kein
Foul begangen und auch niemanden verletzt.
## In Uruguay ein Held, in Ghana verhasst
Man kann das so sehen, der afrikanische Schmerz jedoch bleibt. Bis heute
war keine afrikanische Mannschaft mehr so kurz davor, ein WM-Halbfinale zu
erreichen. „In Uruguay ist er ein Held, obwohl ihn die Menschen in Ghana
für einen Betrüger halten. Die Leute hassen ihn“, sagte Gyan vor ein paar
Tagen. Ghanas Trainer Otto Addo sagt: „Viele Menschen reden von einer
gewissen Symbolik und träumen von Rache, aber für mich ist das überhaupt
kein Thema, das sind einfach zwei unterschiedliche Spiele.“
Gyan selbst hat Suárez schon wenige Wochen nach der WM öffentlich
verziehen, auch wenn er später einmal erzählte, immer noch manchmal von den
Emotionen jenes Moments heimgesucht zu werden. Und viele Ghanaer erinnern
sich noch an die Bilder von Suárez’ Jubel nach Gyans Elfmeterschuss an die
Latte. Und weil der Stürmer vier Jahre später Italiens Giorgio Chiellini in
die Schulter biss und das WM-Publikum mit einer weiteren Aktion schockte,
die als sehr, sehr unfair wahrgenommen wurde.
Um die Größe dieses Moments 2010 in Johannesburg zu verstehen, hilft es,
sich an die Atmosphäre zu erinnern, in der die WM in Südafrika gespielt
wurde. Es war das Turnier Afrikas, das das angeschlagene Selbstvertrauen
des gesamten Kontinents stärken sollte. Damals wurde in Europa kolportiert,
die Afrikaner bekämen die Organisation eh nicht hin. „Diese
Weltmeisterschaft ist ein Symbol. Sie findet nicht nur in Afrika statt, sie
findet auch im Land von Nelson Mandela statt, sie erinnert an seinen Kampf
gegen die Apartheid und daran, was er für die Akzeptanz schwarzer Menschen
getan hat“, sagte der Weltstar Didier Drogba von der Elfenbeinküste damals.
Vor diesem Hintergrund wurde der damalige Schmerz Ghanas zu einer Tragödie
für den gesamten Kontinent, und die Gefahr ist groß, dass die Mannschaft
von Trainer Otto Addo auch in Doha als Verlierer vom Platz geht. Ghana ist
die am schlechtesten gerankte Mannschaft des gesamten Wettbewerbs, ein
Ensemble fast ohne Spieler großer europäischer Klubs. Mohammad Kudus von
Ajax Amsterdam ist der einzige Profi, der zuletzt in der europäischen
Champions League auf sich aufmerksam gemacht hat, Thomas Partey spielt eine
starke Saison beim FC Arsenal.
Ansonsten besteht der Kader vor allen Dingen aus Mittelklasseprofis, die
ordentlich in der Premier League oder in Spanien oder im Falle des
Freiburgers Daniel Kofi-Kyereh in der Bundesliga spielen. Sollte diese
Mannschaft tatsächlich dafür sorgen, dass Suárez in Doha das letzte
WM-Spiel seiner Karriere bestreitet, dann werden sie jedoch als Helden
erinnert werden und von einigen Ghanaern vermutlich auch als Rächer.
2 Dec 2022
## AUTOREN
Daniel Theweleit
## TAGS
Fußball-WM
Ghana
Uruguay
Fußball-WM
Schwerpunkt Boykott Katar
Katar
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