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# taz.de -- Reform Berliner Bundestagswahlkreise: Wahlsieger am Reißbrett
> Die Linke wirft der SPD vor, die Wahlkreise für die Berliner
> Bundestagswahl zu ihren Gunsten zuzuschneiden. Auch Grüne und CDU würden
> verlieren.
Bild: SPD ärgert sich nicht
Berlin taz | Die Reform der Berliner Bundestagswahlkreise vor der kommenden
Wahl 2025 könnte vor allem der SPD zum Vorteil gereichen. Linken, Grünen
und CDU droht dagegen der Verlust bisheriger Mandate. Das ergibt sich aus
zwei alternativen Vorschlägen der Landeswahlleiterin an die
Wahlkreiskommission des Bundestags, die der taz vorliegen. Hintergrund ist
die für eine angestrebte Verkleinerung des Bundestages notwendig gewordene
Verringerung von bislang 12 auf zukünftig 11 Berliner Wahlkreise.
Eine erste Variante sieht vor, den 2021 von den Linken gewonnenen Wahlkreis
Lichtenberg aufzulösen und auf umliegende Wahlkreise zu verteilen. Das
Mandat entfiele ersatzlos. Der Vorschlag treibt insbesondere die Linke um:
Bedroht wäre schließlich eines von drei bundesweiten Direktmandaten, das
der Partei zuletzt gerade so den Fraktionsstatus im Bundestag gesichert
hat. Auch die CDU hätte bei dieser Variante das Nachsehen und könnte ihr
Direktmandat in Reinickendorf an die SPD verlieren.
Ein anderer, von der Landeswahlleitung favorisierter Vorschlag sieht die
Aufteilung des Wahlkreises Pankow sowie Umverteilungen in Reinickendorf und
Spandau vor. Bei diesem Vorschlag würden die Grünen ihr in Pankow
gewonnenes Mandat ersatzlos verlieren und wiederum die SPD einen Wahlkreis
gewinnen, der bisher an die CDU fiel.
In beiden Varianten wäre also die SPD die große Gewinnerin. Holte sie bei
der Wahl 2021 noch 4 von 12 Berliner Bundestagswahlkreisen direkt, wären es
bei gleichbleibender Stimmenverteilung zukünftig 5 von 11.
Die vorgeschlagenen Neufassungen gehen auf die turnusgemäßen Prüfungen der
Wahlbezirke zurück. Die Landeswahlleitungen müssen dafür Vorschläge an die
Wahlkreiskommission des Bundestages übermitteln. Diese legt im Januar ihre
Vorschläge dem Bundestag vor, der dann final entscheidet. Grundsätzlich
gilt, dass alle Wahlkreise ähnlich groß sein sollen und nicht mehr als 15
Prozent von der durchschnittlichen Wahlkreisgröße (rund 250.000
Wahlberechtigte) abweichen sollen.
In Berlin liegen derzeit zwei Wahlkreise deutlich unter dem Schnitt:
Spandau-Charlottenburg-Nord (–16,8 Prozent) und Reinickendorf (–18,6
Prozent). Erstaunlich scheint angesichts dessen, dass bei den vorliegenden
Vorschlägen von Landeswahlleitung und Innenverwaltung die Schere auch in
Pankow und Lichtenberg angesetzt wird.
Entsprechend sind die Vorschläge außerhalb der SPD nicht gerade gut
angekommen. Bei den Grünen hat man Bauchschmerzen. Und der Berliner
Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg wirft der als Innenverwaltung
verantwortlichen SPD gleich „Gerrymandering“ (siehe Kasten) vor: Mit dem im
englischen Sprachgebrauch gebräuchlichen Begriff wird die vor allem aus den
USA bekannte Unsitte bezeichnet, Wahlkreiszuschnitte für Parteipolitik zu
missbrauchen.
„Beide Varianten sind offensichtliche Fälle von Gerrymandering“, sagt
Schlüsselburg, „es gibt kein sachliches Argument, warum Lichtenberg als
dynamischer und wachsender Wahlkreis kein eigener Wahlkreis bleiben
sollte.“ Die mangelnde Größe Charlottenburg-Nords und Reinickendorfs sollte
seiner Ansicht minimalinvasiv vor Ort korrigiert werden.
Schlüsselburg kritisiert zudem, dass die Innenverwaltung von Iris Spranger
(SPD) die Vorschläge aus dem Juli den Parteien erst Mitte November vorlegte
– mit gerade einmal einer zweiwöchigen Frist zur Stellungnahme.
„Wahlkreiszuschnitte in Hinterzimmern beschädigen das Vertrauen in die
Demokratie“, sagt Schlüsselburg, „die SPD und die Landeswahlleitung müsst…
nach der von ihr verantworteten Wahlwiederholung eigentlich das Vertrauen
in die Wahldemokratie stärken – dann aber versuchen sie, den Volksentscheid
von der Abstimmung zu trennen, und überraschen uns nun mit kurzer
Fristsetzung beim Neuzuschnitt der Wahlkreise.“ Die Linke hat die
Vorschläge in ihrer Stellungnahme entsprechend kritisiert und abgelehnt.
Sie spricht sich für die zweite Variante mit Änderungen aus und will den
Wahlkreis Lichtenberg und Pankow weitgehend unangetastet lassen.
Die SPD teilte der taz mit, Vorschläge der Wahlkreiskommission zur Kenntnis
genommen und keine Stellungsnahme abgegeben zu haben. Die Innenverwaltung
äußerte sich auf taz-Anfrage dazu bislang nicht.
## Erinnerung an PDS-Zeiten
Der Linken könnte damit ein ähnliches Szenario wie der Vorgängerpartei PDS
drohen. Nachdem diese 1998 noch vier Direktmandate im Osten Berlins
gewonnen hatte, blieben ihr nach der Neuaufteilung der Wahlkreise vor der
Bundestagswahl 2002 nur noch zwei sichere Wahlkreise übrig. Weil die Partei
dann knapp an der 5-Prozent-Hürde scheiterte, zogen damals nur noch Gesine
Lötsch in Lichtenberg und Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf als direkt
gewählte Abgeordnete in den Bundestag ein – eine PDS-Fraktion gab es nicht
mehr.
Abgeschafft worden waren zuvor die Wahlkreise
Hohenschönhausen-Pankow-Weißensee, mit der Folge, dass die Partei im neuen
Wahlkreis Pankow ins Hintertreffen geriet. Keine Chance mehr hatte die PDS
zudem im neu zusammengesetzten Ost-West-Wahlkreis Mitte, nachdem sie zuvor
den alten Wahlkreis Mitte-Prenzlauer Berg dominiert hatte. Die PDS war
damit die einzige große Verliererin der damaligen Wahlkreisreform.
Parallel zur turnusmäßigen Prüfung der Wahlkreise arbeitet die
Bundesregierung derzeit an einer grundlegenden Reform des Wahlrechts, um
den durch Überhangmandate überdimensionierten Bundestag zu verkleinern.
Sollte diese kommen, könnten die nun diskutierten Wahlkreiszuschnitte
wiederum Makulatur sein.
30 Nov 2022
## AUTOREN
Erik Peter
Gareth Joswig
## TAGS
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Berlin
Innensenatorin Iris Spranger
Ampel-Koalition
Ampel-Koalition
Bundestagsabgeordnete
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