# taz.de -- Holodomor-Antrag im Bundestag: Verständlich, aber anmaßend | |
> Der Bundestag will die Hungerkatastrophe in der Ukraine unter Stalin als | |
> Völkermord einstufen. Damit wird Geschichte für aktuelle Ziele | |
> zugeschnitten. | |
Bild: Gedenken an die Hungerkatastrophe der Jahre 1932-33, den Holodomor, am 26… | |
Vor ein paar Wochen haben russische Besatzer in Mariupol das Denkmal für | |
die Opfer des Holodomor zerstört. Dieser barbarische Akt verdeutlicht das | |
Ziel dieses Eroberungskriegs – die Ukraine soll unterworfen, ihr nationales | |
Bewusstsein, in dem die Erinnerung an den Holomodor eine wichtige Rolle | |
spielt, unterdrückt werden. | |
SPD, Union, Grüne und FDP [1][wollen im Bundestag nun einen Antrag | |
verabschieden], der zum großen Teil einleuchtet. Man will Kyjiw weiter im | |
Kampf gegen Putins Imperialismus unterstützen und die schütteren Kenntnisse | |
über den Holodomor, die Hungerkatastrophe in den frühen 30er Jahren in der | |
Ukraine, verbreiten. | |
So weit, so gut. Aber Ampel und Union gehen einen Schritt weiter und | |
behaupten, es liege nahe, den Holodomor als Völkermord zu bezeichnen. Das | |
ist zweifelhaft. Viele Historiker halten [2][Stalins Terror Anfang der 30er | |
Jahre] für keine gezielt antiukrainische Vernichtungsaktion. Der Krieg | |
gegen „Kulaken und Volksfeinde“, der Millionen das Leben kostete, traf | |
damals die Landbevölkerung auch in anderen Teilen der UdSSR, nicht nur in | |
der Ukraine. Es ist in der Fachwelt umstritten, ob Stalins Antipathie gegen | |
die Ukraine wirklich ein wesentlicher Antrieb des Mordens war. | |
Der Bundestag ist nun aber keine Historikerkommission. Es hat etwas | |
Anmaßendes, einer komplexen historischen Debatte nun den Weg leuchten zu | |
wollen. Das unterscheidet den Holodomor-Antrag von [3][der | |
Armenienresolution vor ein paar Jahren]. Dass die Morde an den Armeniern | |
1915 geplant und gezielt waren und somit nach der Defintion von 1948 als | |
Genozid gelten, ist ein historischer Fakt. Das ist beim Holodomor anders – | |
und ein zentraler Unterschied. | |
## Warum nicht „Massenmord“? | |
Warum sprechen Unionsparteien und Ampelkoalition nicht von einem | |
Massenmord? Dagegen wäre sinnvoller Einspruch nicht möglich. Es muss aber | |
offenbar das Triggerwort Völkermord sein, weil nur das für Aufmerksamkeit | |
sorgt und größtmöglichen Abscheu zum Ausdruck bringt. Damit drängt sich der | |
Verdacht auf, dass hier Geschichte für gegenwärtige Ziele zugeschnitten | |
wird. Das geschieht für einen guten Zweck: die Unterstützung der | |
angegriffenen Ukraine. Aber es hat einen Preis: eine geschichtspolitische | |
Instrumentalisierung. | |
Fraglich ist auch, ob Völkermord als Schlüsselbegriff für politische | |
Verbrechen hier tauglich ist. Es ist weit einleuchtender, Gewalt des IS | |
gegen die Jesiden, [4][der 10.000 Menschen zum Opfer fielen], als | |
Völkermord zu bezeichnen als Stalins Terror Anfang der 1930er Jahre, der | |
bis zu sieben Millionen in der Ukraine, Kasachstan und in Russland das | |
Leben kostete. Der Kampf um das Etikett Völkermord mag kurzfristige | |
Anerkennungsgewinne bescheren. Ob er der historischen Aufklärung nutzt, ist | |
zweifelhaft. | |
30 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Stalins-Holodomor-als-Voelkermord/!5898247 | |
[2] /Holodomor-in-der-Sowjetunion/!5895422 | |
[3] /Deutsches-Desinteresse-an-Armenien/!5879555 | |
[4] /Zemfira-Dlovani-zu-Jesiden-Verfolgung/!5786396 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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